Machtkampf in Rumänien

Vorgeschichte

Als die postkommunistische PSD (Sozialdemokratische Partei) 2004 die Lufthoheit über das Land verloren hatte, geriet sie in eine innere Krise, die bis Ende 2009 anhielt. Seither ist sie mit einer neuen Führungsriege bestrebt, sich den Staat wieder unter Kontrolle zu bringen. Sie bedient sich dabei einer politischen Allianz, der USL (Sozial-Liberale Union) mit der Nationalliberalen Partei (PNL) und der zwar kleinen aber einflussreichen Konservativen Partei (PC). Es ist programmatisch eigentlich eine unnatürliche Allianz, sie wird jedoch durch das gemeinsame Ziel zusammengehalten, den Präsidenten Traian Basescu abzusetzen.

Nach dem Machtwechsel 2004 regierte die mitte-rechts angesiedelte Liberal-Demokratische Partei (PDL) in wechselnden Koalitionen unter dem Patronat ihres ehemaligen Vorsitzenden Präsident Basescu. Basescu, ein sehr eigenwilliger und autoritärer Politiker, hat die Regierungstätigkeit über seine präsidialen Kompetenzen hinaus maßgeblich bestimmt. Sein oberstes innenpolitisches Ziel war von Anfang an, die Netzwerke der PSD-Ära zu zerschlagen und wichtige Funktionen des Staates mit eigenen Vertrauensleuten zu besetzen. Dabei ging er nicht selten auch hemdsärmelig vor. Es ist ihm jedoch gelungen, nachweisbaren Verfassungsbruch zu vermeiden. Unter dem Etikett der Korruptionsbekämpfung wurden massenhaft Prozesse gegen ehemalige Funktionsträger und Netzwerker der PSD angestrengt. Diese wiederum hatten sich in der Tat mit beachtlicher krimineller Energie (Bestechung, Erpressung u.a.) skrupellos bereichert und erfolgreich die Justiz manipuliert. Die zeitweilige Justizministerin Monica Macovei („Jeanne d’Arc des rumänischen Rechtsstaats“) und heutige EU-Abgeordnete versuchte zwar mit äußerster Rigorosität, Missstände in der Justiz zu beseitigen und die Rechtsstaatlichkeit voranzutreiben, scheiterte jedoch auch am Widerstand des eigenen Lagers, das ebenfalls nicht frei von Korruption war und die eigenen Interessen gefährdet sah. Im Mittelpunkt der strafrechtlichen Untersuchungen standen der ehemalige Ministerpräsident und politisches Schwergewicht der PSD Adrian Nastase und seine Entourage, zu der auch der junge Victor Ponta und heutige Ministerpräsident gehörte. Es gelang ihnen immer wieder die Prozesse auf skandalöse Weise zu verschleppen oder versanden zu lassen. Dem Präsidenten wurde ihrerseits vorgeworfen, seine schützende Hand über korrupte Vertreter des eigenen Lagers zu halten und die Strafverfolgung gegen Vertreter des gegnerischen Lagers voranzutreiben. Diese verworren Lage mag ein wesentliches Motiv für die wieder konsolidierte PSD gewesen zu sein, die USL zu schmieden mit deren oberstem Ziel, den Präsidenten mit allen Mitteln zu entfernen.

Außen- und europapolitisch haben Basescu und die von ihm dominierte Regierungspartei PDL recht erfolgreich agiert und Rumänien geschickt in die EU geführt. Unter anderem wegen seiner Volkstümlichkeit war der Präsident in der Bevölkerung sehr beliebt, weswegen er ja auch anlässlich seines ersten Amtsenthebungsverfahren im Jahre 2007 bei der Volksabstimmung mit 75% der Stimmen im Amt bestätigt wurde. Seine Popularität sank jedoch sprunghaft in den Jahren 2009 bis 2011, einerseits wegen seiner umstrittenen Personalpolitik bei Kabinettsbildungen und selbstherrlichen, machmal sogar skurrilen Auftritten in der Öffentlichkeit, und andererseits wegen der drastischen Sparprogrammen infolge der durch die Finanz- und Wirtschaftskrise wachsenden Haushaltsschwierigkeiten. Aufgrund der Sparauflagen des IWF und der EU verfügte die Regierung eine vorübergehende Gehaltskürzung im öffentlichen Dienst und Rentenkürzungen, was Ende 2011 und vor allem im Januar 2012 zu massenhaften und teilweise gewalttätigen Protesten im ganzen Land führte. Diese Proteste wurden von der USL geschickt aufgeheizt und gesteuert. Die Folge war der Sturz der Regierung Boc im Februar 2012 und die Bildung einer Übergangsregierung unter dem parteilosen Mihai Razvan Ungureanu, die jedoch von Anfang an mit einer schrumpfenden Parlamentsmehrheit zu kämpfen hatte. Es gelang nämlich der USL, mit Versprechungen und wohl auch mit Bestechungen viele PDL-Abgeordnete zum Übertritt zu bewegen. Schließlich wechselten auch die Ungarnpartei (UDMR) und die Fraktion der Minderheiten die Seiten und die Regierung Ungureanu wurde am 27.04.12 abgewählt. Neuer Ministerpräsident wurde 07.05.12 der 39-jährige Parteivorsitzende der PSD Victor Ponta.

Regierung Ponta

Die erste Maßnahme der neuen Regierung war die Rücknahme der Sparmaßnahmen der Vorgängerregierung, ohne die Gegenfinanzierung sicherzustellen. Diese Maßnahme trug dann auch wesentlich zu dem glänzenden Sieg der USL bei den Kommunalwahlen am 10.06.2012 bei. Nach der Kommunalwahl ging die Regierung zum Angriff auf die Opposition und den Präsidenten über und handelte nach einer ausgeklügelten Strategie. Formales Ziel war, in aller Eile die Wege zur Absetzung des Präsidenten zu ebnen. Dahinter steckten aber auch andere, sehr eigennützige Absichten. Es ist der EU-Abgeordneten Monica Macovei sicher zu glauben, wenn sie behauptet, für die Regierung sei dringlichstes Ziel gewesen, die Korruptionsanwaltschaft DNA, deren Mandat im August ausläuft, unter Kontrolle zu bringen. Weil der Präsident Vorschläge der Regierung zur Neubesetzung der DNA mit willfährigen USL-Leuten ablehnen könne, gehe man kurzerhand gleich gegen ihn selbst vor. Der Fall Adrian Nastase kam der Regierung sehr ungelegen und war aus Sicht der PSD ein vorzeitiger Betriebsunfall. Der ehemalige PSD-Ministerpräsident und Mentor des Regierungschefs Ponta wurde nämlich, nachdem er schon am 30.03.2012 wegen Erpressung und anderer Delikte zu 3 Jahren Haft auf Bewährung verurteilt wurden war, am 20.06.2012 wider Erwarten und zum Entsetzen seiner Anhänger zu 2 Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Sein mysteriöser Selbstmordversuch bei der Abführung und Versuche des Innenministers Rus, ihm den Strafvollzug zu ersparen sowie massive Bedrohung der zuständigen Richter blieben erfolglos. Ihm und anderen Netzwerkern der PSD drohen noch viele weitere Verurteilungen, wenn es nicht gelingt, die Verfahren unter Kontrolle zu bringen. Vorläufig behilft man sich mit diversen Tricks wie im Falle Voiculescu. Der Medienmogul und Oligarch Dan Voiculescu, ein ehemaliger Securitatemitarbeiter und Devisenbeschaffer Ceausescus sowie Ehrenvorsitzender der USL, ist wegen diverser schwerwiegender Korruptionsdelikte, Erpressung und Bestechung beim Obersten Gericht angeklagt. Am Tag nach der Verurteilung von Adrian Nastase hat er in einer Blitzaktion seinen Senatssitz aufgegeben, um einer kurz bevorstehenden Verurteilung zu entgehen. Er macht sich dabei die Regel zunutze, dass für seine Verfahren jetzt nicht mehr das Oberste Gericht zuständig ist, wie immer bei hohen Mandatsträgern, und sein Fall vom Bukarester Bezirksgericht neu aufgerollt werden muss. Bis dann alle Instanzen durchlaufen werden, tritt die Verjährung in Kraft. Dieser Aspekt erklärt sicher die atemberaubende Hast, in der die USL in den letzten Wochen vorgegangen ist.

Verfahren gegen den Präsidenten

Zunächst, sozusagen als Vorspiel, lieferten sich Ponta und Basescu einen bizarren Schlagabtausch mit erheblichen Folgen in der Frage, wer von ihnen beiden das Land auf dem EU-Gipfel Ende Juni 2012 vertreten solle. In der Vergangenheit hatte der Präsident wie selbstverständlich und im Einklang mit der Verfassung das Land bei solchen Ereignissen vertreten. Jetzt beanspruchte der Premier diese Rolle für sich und ließ sich dafür ein Mandat durch Parlamentsbeschluss erteilen, worauf die Opposition sofort beim Verfassungsgericht klagte. Ohne das Urteil abzuwarten entzog die Regierung mittels einer Eilverordnung dem Verfassungsgericht die Kompetenz, über Parlamentsbeschlüsse zu urteilen. In diesem Zusammenhang bediente sich die Regierung eines äußerst raffinierten Schachzugs. Um steuernd eingreifen zu können, zog die Regierung gleich nach Regierungsantritt kurzerhand die Verfügungsgewalt über den Staatsanzeiger an sich, wodurch sie ein sehr wirksames Instrument zur Manipulation in ihrer Hand hat. Regierungserlasse, Parlamentsbeschlüsse und Verfassungsgerichtsurteile erlangen nämlich nur Gültigkeit, wenn sie im Staatsanzeiger veröffentlicht worden sind. So wurde die Eilverordnung der Regierung, in der sie dem Verfassungsgericht wichtige Kompetenzen entzogen hatte, binnen Stundenfrist veröffentlicht, während sie die Veröffentlichung des Verfassungsgerichtsurteils, das, obwohl es der Opposition recht gab, mittlerweile sowieso ohne Wirkkraft war, dennoch wochenlang verschleppt wurde, weil man auf jeden Fall auf Sicherheit gehen wollte. Die Regierungsdelegation hatte in Brüssel einen schweren Stand, weil der Premier mittlerweile mit gravierenden Plagiatsvorwürfen hinsichtlich seiner Doktorarbeit aus dem Jahre 2003 konfrontiert war, und dessen Doktorvater nun ausgerechnet der inzwischen inhaftierte ehemalige Premier Adrian Nastase war.
Nach der Rückkehr der Regierungsdelegation ging es dann Schlag auf Schlag. Als erstes wurde, ohne dass er dazu einen Anlass gegeben hatte, der Volksanwalt, der mit seinem Veto eine Regierungs- oder Parlamentsverfügung blockieren kann, kurzerhand abgesetzt und durch einen linientreuen USL-Mann ersetzt. Gleich danach wurden die Vorsitzenden der beiden Kammern (beide PDL) durch USL-Vertreter ersetzt. Zum Senatspräsidenten wurde der Vorsitzende der PNL Crin Antonescu, also der USL-Partner von Victor Ponta, gewählt. Der Senatspräsident ist das interimistische Staatsoberhaupt, wenn der Präsident suspendiert wird, oder aus andern Gründen seine Amtsgeschäfte nicht wahrnimmt, und zu diesem Zweck hat sich Antonescu in dieses Amt wählen lassen. Parallel dazu wurde das sehr renommierte Rumänische Kulturinstitut – Institutul Cultural-Roman (ICR) dem Präsidentenamt entzogen, der Verwaltungsrat des Staatsfernsehens TVR mit ausschließlich USL-Parteigängern besetzt, ein striktes Mehrheitswahlrecht eingeführt, das bei den bevorstehenden Parlamentswahlen eindeutig die USL begünstigt und nach Prognosen mehrerer Forschungsinstitute die Opposition auf unter 10% drücken könnte. Geplant war auch die zügige Neubesetzung des Postens des Generalstaatsanwalts und anderer hoher Funktionsträger, ohne ihre Mandatsfrist abzuwarten. In diesem Zusammenhang gab es einen öffentlichen Skandal, der noch nicht ausgestanden ist. Mitarbeiter der DNA erhoben Anklage gegen George Balan, Mitglied des Obersten Magistraturrats, der die Tätigkeit von Anwälten und Richtern überwacht. Nach Medienberichten soll Balan Ponta mit dem Ziel kontaktiert haben, im Herbst die Nachfolge der Generalstaatsanwältin Laura Kövesi anzutreten. Außerdem soll Balan vom Geheimdienst des Innenministeriums kompromittierendes Material über Transportminister Ovidiu Silaghi (PNL) angefordert haben, um die Zustimmung der PNL-Führung zu erhalten. Involviert ist auch ein Berater des Magistraturrats, Marcel Sampetru, der den Vorsitz der DNA anstrebt. Die Ereignisse spitzten sich jedoch mit der Suspendierung des Präsidenten am 06.07.2012 zu. Laut Verfassung kann der Präsident nur bei schwerem Verfassungsbruch oder Hochverrat suspendiert werden. Offiziell wurde dem Präsidenten nun Amtsmissbrauch, Beeinflussung der Justiz und fehlende Überparteilichkeit vorgeworfen. Das Verfassungsgericht hat jedoch befunden, dass Verfassungsbruch nicht nachweisbar sei, wohl aber gelegentliche Amtsüberschreitungen. Allerdings hat dieser Beschluss keine bindende Wirkung. Die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Volksabstimmung über das weitere Schicksal des suspendierten Präsidenten wurde auf den 29.07.2012 festgelegt. Zwecks Absicherung einer erfolgreichen Abstimmung hat die Regierung mittels einer weiteren Eilverordnung entschieden, dass die Abstimmung unabhängig von der Wahlbeteiligung Gültigkeit erlangt. Damit wäre das Schicksal des Präsidenten auf jeden Fall besiegelt. Dagegen hat die Opposition geklagt und das Verfassungsgericht hat diese Regelung für verfassungswidrig erklärt und für die Gültigkeit der Abstimmung eine Wahlbeteiligung von mindesten 50 % plus einer Stimme aller wahlberechtigten Bürger gefordert. Auch diese Aussage des Verfassungsgerichts wurde für irrelevant erklärt.

Internationale Kritik

Die Sachlage änderte sich dramatisch mit der immer harscher werdenden Kritik seitens der EU und mehrerer EU-Länder, u.a. auch seitens der Bundeskanzlerin Merkel, an den Vorgängen in Bukarest. Am deutlichsten äußerte sich die Justizkommissarin Viviane Reding, die sogar so weit ging, die Suspendierung der EU-Mitgliedschaft in Erwägung zu ziehen. Andere hochrangige Vertreter der EU brachten die mögliche Stilllegung der EU-Gelder ins Gespräch. Mitte des Monats Juli reiste Ponta nach Brüssel zum Rapport bei EU-Kommissionspräsident Barroso, der ihm einen harten Forderungskatalog überreichte und eine umgehende schriftliche Antwort forderte. Die Katalog beinhaltete u.a. Achtung der Unabhängigkeit der Justiz sowie deren Entscheidungen durch die Regierung, Wiederherstellung der Befugnisse des Verfassungsgericht, Wiedereinsetzung eines Volksanwalts im Einvernehmen mit allen Parlamentsfraktionen zur Bekämpfung der Korruption, transparente Verfahren bei der Einsetzung von Generalstaatsanwalt und Direktor der Antikorruptionsanwaltschaft DNA, keine Gesetzesänderungen durch Notverordnungen, keine Begnadigungen durch den Interimspräsidenten. In Brüssel versprach der Premier, sämtliche Forderungen zu erfüllen. Nach seiner Rückkehr wollte aber nichts mehr davon wissen. Der Interimspräsident Crin Antonescu empörte sich sogar sehr aggressiv und wies die Kritik aus dem Ausland harsch zurück. Die schriftliche Antwort ist erst nach Ermahnung seitens der Kommission halbherzig übermittelt worden, sodass Barroso süffisant meinte: „Rumänien ist vom Abgrund gewichen, wir können aber noch nicht sagen, dass wir mit dem Prozess zu Ende sind“. Der Premier musste sich auch von der Justizkommissarin und sogar vom EU-Präsidenten van Rumpuy deutliche Kritik anhören. Seine Gespräche mit den Vertretern des EU-Parlaments wurden ebenso zum Spießrutenlaufen wie seine Gespräche in der Kommission. Der Vorsitzende der Fraktion der Europäischen Volkspartei Joseph Daul nannte die Vorgänge in Bukarest lapidar einen Staatsstreich und wollte ihn gar nicht erst empfangen. Milder verliefen seine Gespräche mit dem Parlamentspräsidenten, dem Sozialdemokraten Martin Schulz, und dem Vorsitzenden der Fraktion der Sozialdemokratischen Parteien Hannes Swoboda. Beide hatten ihren „persönlichen Freund“ sehr lange in Schutz genommen und die Vorgänge in Bukarest bagatellisiert. Jetzt aber ermahnten auch sie ihn, wenn auch freundschaftlich, die verfassungsmässige Ordnung voll wiederherzustellen.

Mittlerweile ist auch der turnusmäßige Fortschrittsbericht der EU-Kommission der seit dem Beitritt Rumäniens zur EU im Jahre 2007 jährlich erstellt wird, erschienen, und das Zeugnis fällt denkbar schlecht aus:
Der derzeitige Machtkampf mit Präsident und Verfassungsgericht löse ernste Sorge aus, heißt es. Brüssel wirft der Regierung von Ministerpräsident Victor Ponta systematische Verletzungen des Rechtsstaats und der Unabhängigkeit der Justiz vor und will das Land deswegen unter verschärfte Beobachtung stellen.
Die Brüsseler Behörde habe nach wie vor „schwerwiegende Bedenken“. Die Kritik bezieht sich vor allem auf die Krise um das Amtsenthebungsverfahren des Präsidenten Die „aktuellen Kontroversen gefährden die bisher erreichten Fortschritte stark und werfen ernsthafte Fragen nach der Zukunft der bereits eingeleiteten Reformen auf“, schreibt die EU-Kommission.
Rumänien müsse den Respekt für den Rechtsstaat und unabhängige richterliche Überprüfungen sicherstellen. Die EU-Kommission fordert eine Reihe von Reformen sowie die Rücknahme mehrerer Eilverordnungen bis Jahresende. Dann soll ein neuer Bericht prüfen, ob Ponta die Forderungen der Kommission wie von ihm versprochen erfüllt hat.
Ministerpräsident Ponta kündigte an, die rechtlichen Vorgaben für das umstrittene Amtsenthebungsverfahren gegen Staatschef Basescu zu befolgen. „Ich habe mich gegenüber Brüssel verpflichtet, dass dieses Gesetz in Kraft bleibt und bei dem Referendum am 29. Juli angewendet wird“, sagte er. Demnach müssen sich bei der Volksabstimmung über die Absetzung des Präsidenten mehr als die Hälfte der eingetragenen Wähler beteiligen, damit das Votum gültig ist.

Politischer Kampf vor dem Referendum

In der Zwischenzeit hat ein hässlicher Kampf um die Wählerstimmen begonnen, der in seiner Härte und Zügellosigkeit auch für Rumänien ein Novum ist. Besonders unangenehm fällt der Interimspräsident Antonescu auf, der nicht nur die dem Amt angemessene Überparteilichkeit vermissen lässt (dem Präsidenten Basescu wurde ja mit als Grund für seine Suspendierung gerade die fehlende Überparteilichkeit zum Vorwurf gemacht), sondern sich auf den öffentlichen Versammlungen besonders aggressiv und nationalistisch gebärdet. Die Versammlungen und öffentlichen Diskussionen in Rundfunk und Fernsehen sowie in Zeitungen strotzen vor Schmähungen, Verunglimpfungen und Beleidigungen. Die politische Klasse gebärdet sich wie im Delirium. Bedenklich stimmt auch die Ankündigung mehrerer USL-Repräsentanten, der Kampf mit allen Mitteln ginge auch nach dem Referendum weiter, wenn es nicht gelänge, den Präsidenten am 29.07. aus dem Amt zu jagen. Außerdem würden Basescu selbst, aber auch Monica Macovei und andere hohen Parteiführer der PDL wegen Volksverhetzung und Rufschädigung des Vaterlands durch absichtliche Aufhetzung der EU und des übrigen Auslands vor Gericht gestellt, ist aus der Umgebung des Justizministers Corleteanu zu hören.
Nachdem die USL sich dem Druck der EU beugen mußte, kann das Referendum nur validiert werden, wenn über 50% der ca. 18 Millionen Wähler, von denen sich zur Zeit über 3 Millionen im Ausland befinden, ihre Stimme abgeben. Das heißt, es müssen über 9 Millionen Wähler mobilisiert werden, und das mitten in der Urlaubszeit. Es ist daher nicht verwunderlich, dass seitens der USL eine große Nervosität an den Tag gelegt wird und sie mit allen legalen, halblegalen und illegalen Mitteln versucht, die Wähler zu den Urnen zu bringen. So hat beispielsweise der Generalsekretär der PSD alle kommunalen Mandatsträger seiner Partei angewiesen, am Wahltag Freikarten für die Strände, Schwimmbäder und Veranstaltungsorte zu verteilen, Tompolas vor den Wahllokalen abzuhalten und diverse Kleingeschenke für die Wähler bereitzuhalten. Die Zahl der Wahllokale werden drastisch erhöht und insbesondere in den Ferienorten am Meer an die Strände plazziert. Selbst am Omul, dem höchsten Berg der Karpaten, wo sich um diese Jahreszeit viele Touristen tummeln, sollen Wahllokale aufgestellt und Freikarten für die Seilbahnen verteilt werden. Nachdem man in Rumänien in jedem beliebigen Wahllokal seine Stimme abgeben kann, wird es sicher zu einem massenhaften Abstimmungstourismus kommen, worüber die Busunternehmer sich freuen werden. Ob die Gerichte die deshalb zu erwartenden zahlreichen Anfechtungen und Klagen werden bewältigen können, ist sehr zweifelhaft. Die PDL und der suspendierte Präsident rufen die Bevölkerung einerseits verhalten auf, sich ab der Abstimmung zu beteiligen, raten aber auch gleichzeitig zum Wahlboykott. Es ist eine geradezu absurde Situation.
Dass sich die rumänische Währung nicht zuletzt wegen der Vorgänge in den letzten wenigen Wochen im freien Fall befindet und die Auslandsinvestitionen auf ein Minimum zurückgegangen sind, wird nur am Rande zur Kenntnis genommen. Einige besonnene Analytiker erwarten den Besuch des IWF, der sich zu Verhandlungen unmittelbar nach dem Referendum angekündigt hat, mit Spannung und Sorge. Denn ohne harte Sparauflagen werden die Gespräche wohl nicht vonstatten gehen. Und was dann? Der große Wunsch Rumänien, endlich in den Schengenraum aufgenommen zu werden, rückt wohl auch in weite Ferne. Und hat der abgesetzte Senatspräsident Vasile Blaga nicht recht, wenn er sagt: „Das kommt davon, wenn man Kindern die Führung des Staates überlässt“. Man könnte fast ergänzen: „auch noch ungezogenen Kindern“.

Annex: Plagiatsaffaire

Am 18. Juni veröffentlichte die britische Naturwissenschaftsmagazin Nature einen Bericht, in dem dem Premierminister Ponta vorgeworfen wurde, in seiner Dissertation vom Jahre 2003 zum Thema „Das internationale Strafrecht“, bewertet mit summa cum laude, massiv plagiiert zu haben, was dieser jedoch vehement bestritt. Das Delikate daran ist, dass sein Doktorvater ausgerechnet der im gleichen Zeitraum wegen Korruption zu 2 Jahren Haft ohne Bewährung verurteilte ehemalige Ministerpräsident Adrian Nastase ist und in dessen Kabinett er Staatssekretär war. Ein pikantes Nebendetail in der Affäre ist auch die Tatsache, dass der von Ponta eingesetzte interimistische Unterrichtsminister Liviu Pop am 10. Juni alle Mitglieder des Nationalen Ethikrates für wissenschaftliche Forschung, technologische Entwicklungen und Innovationen (ANCS) gegen linientreue PSD-Getreuen auswechselt hat. Das Gremium hat eine beratende Funktion und war mit der Untersuchung des Plagiatsfall Ioan Mang befasst. Mang musste wegen erwiesener Plagiatsvorwürfe nach zehn Tagen von seinem Posten als Unterrichtsminister zurücktreten. Zuvor war bereits seine Vorgängerin Carina Dumitrescu über ähnliche Vorwürfe gestürzt. Damit war die Gefahr für Ponta noch nicht gebannt, denn eigentlich zuständig für derartige Fälle ist der Nationalrat für die Anerkennung von Universitätsdiplomen (CNATDCU). Dieser Nationalrat hat auch getagt und ist zu einem vernichtenden Urteil gelangt. Dieses Urteil hat jedoch keine Rechtsgültigkeit erlangt, da der interimistische Unterrichtsminister Pop als letzte Amtshandlung (am Tag darauf wurde er durch Ecatarina Andronescu ersetzt, deren Stuhl aber wegen des Vorwurfs der Inkompatibilität auch wackelt) das Gremium mitten in seiner Abschlusssitzung kurzerhand wegen Ineffizienz auflöste. Damit glaubte Ponta, sich nun genügend abgesichert zu haben. So ist seine leichtfertige Äußerung gegenüber der spanischen Zeitung El Pais zu erklären, er würde, wenn man ihm ein Plagiat nachweisen würde, selbstverständlich zurücktreten. Mittlerweile hat ihm der neubesetzte Nationale Ethikrat auch den erwünschten Persilschein ausgestellt, wobei durchgesickert ist, dass alle Mitglieder vor der entscheidenden Sitzung in einem Umschlag das vorformulierte Urteil ausgehändigt bekommen haben sollen. Allerdings gibt es noch ein weiteres Gremium, nämlich den Ethikrat der Universität Bukarest, und der hat am 19. Juli ein vernichtendes Urteil gefällt. Dabei hat er sich von der Drohung der Unterrichtsministerin Andronescu, der Universität das Promotionsrecht zu entziehen, falls es zu einem solchen Urteil kommen sollte, nicht beeindrucken lassen. Die Universität plädiert für die Aberkennung des Titels, kann sie aber selbst nicht vornehmen, da nach rumänischer Regelung nur das Unterrichtsministerium dies auf Ansuchen der Universität tun kann. Frau Andronescu hat jedoch öffentlich verkündet, sie denke gar nicht daran und habe den Bericht auch gar nicht gelesen. Für sie gelte nur das Urteil des Nationalen Ethikrates und der sei eindeutig zugunsten Pontas. Alle anderen Urteile seien politisch motiviert und kämen aus der Giftküche von Traian Basescu. Damit sei die Angelegenheit ein für alle Mal erledigt. Ist sie wirklich erledigt? Wohl kaum! Für Victor Ponta steht viel auf dem Spiel. Nicht nur dass er seinen Titel verliert, auf den er nach eigener Aussage außerordentlich stolz ist, sondern sein Rücktritt wird dann wieder akut und auch strafrechtliche Konsequenzen sind nicht auszuschließen. Seine politische Karriere wäre auf jeden Fall erheblich gefährdet. Auch seine berufliche Karriere bekäme einen empfindlichen Knick. Er ist nämlich 2004 in die Bukarester Anwaltskammer aufgenommen worden, ohne sich der dafür in der Regel notwendigen Prüfung gestellt zu haben. Die Kammer kennt allerdings zwei Ausnahmen. Entweder der Antragsteller war mindestens zehn Jahre im höheren Justizdienst tätig (Staatsanwalt oder Richter), was auf Ponta nicht zutrifft, oder er kann ein Doktorat mit der Bestnote nachweisen, und davon hat er Gebrauch gemacht. Als Anwalt hat er bereits etliche Millionen Euro verdient. Verliert er nun seinen Titel, so steht seine Mitgliedschaft in der Anwaltskammer auf dem Spiel. Pikant ist auch die Tatsache, dass Ponta in seinem offiziellen Lebenslauf und in Who is Who angegeben hat, an der Universität Catania und an einer britischen Universität je ein Masterstudium absolviert zu haben. Beides hat sich als unzutreffend herausgestellt, worauf er sich auf Fehlinformationen durch seine Mitarbeiter herausgeredet hat. Mittlerweile sind diese Angaben getilgt worden.

Karl Scheerer
21.07.2012