Nicolae

Diese Episode erscheint auch in meinem Buch „Rückblicke“

Im Frühherbst 1968 fuhr ich mit einem Zug von Graz nach Wien. In Graz hatte ich gerade einen Sommerkurs am „Graz-Center“ zur ost- und südosteuropäischen Geschichte absolviert. Das Graz-Center war eine Einrichtung mehrerer amerikanischer Universitäten, u.a. der Universitäten von Dallas, Williamsburg und Delaware, für europäische Studien. Zu den amerikanischen Studenten wurden auch einige ausgewählte Studenten deutscher und österreichischer Universitäten eingeladen. Ich war vom Institut für Osteuropakunde der Universität Mainz dorthin delegiert worden. Außer mir nahmen noch drei weitere Studenten aus Deutschland an dem Lehrgang teil, eine Exilbulgarin von der Universität München und je ein Student der Universitäten Freiburg und Marburg. Der große Vorteil für mich war, daß ich, nachdem die Lehrveranstaltungen in englischer Sprache abgehalten wurden, mein Schulenglisch erheblich ausbauen konnte. Die Veranstaltungen waren sehr lehrreich, der Höhepunkt war jedoch eine Exkursion mit der Eisenbahn in die Voivodina und nach Banja Luka in Bosnien. Auffällig war, daß die amerikanischen Studenten, obwohl sie europäische Geschichte studierten, von der politischen Geographie Europas eine nur sehr oberflächliche Ahnung hatten. Auch die Mehrsprachigkeit der Menschen in der Region rief bei ihnen große Verwunderung hervor. Im Übrigen waren die Professoren und Studenten aus Amerika fast zur Gänze glühende Anhänger der Republikaner und damit des Präsidentschaftskandidaten Richard Nixon.1 Ich war jetzt wieder auf dem Weg zurück nach Wien, wo ich seit einigen Monaten Quellen für meine Dissertation auswertete. Meine hauptsächlichen Fundorte waren das Haus-Hof- und Staatsarchiv auf dem Josephsplatz, das Militärarchiv in der Stiftsgasse und die Nationalbibliothek in der neuen Hofburg, wo ich meinen festen Arbeitsplatz hatte.

Mir gegenüber im Abteil saß ein dunkelhaariger Mann im Alter von ca. 30 bis 35 Jahren. Seine Kleidung und seine Schuhe waren abgetragen. Sein Gesicht war eingefallen und sein linkes Auge war blau-gelb unterlaufen, als hätte er vor Kurzem eine Schlägerei gehabt. Auffällig war seine große Nervosität. Ich fragte ihn, ob er auch auf dem Weg nach Wien sei, und er antwortete in sehr schlechtem Deutsch, daß er aus Rumänien geflohen sei und jetzt zu Verwandten nach Wien fahre. Als ich ihm sagte, daß ich aus Siebenbürgen stamme und recht gut rumänisch könne, wich seine Nervosität schlagartig und seine Augen begannen zu glänzen. Seine Worte überschlugen sich geradezu, als er sagte: „Oh, wie ist es schön, daß ich nach Wochen wieder in meiner geliebten Muttersprache sprechen kann. Meine Muttersprache, mein Volk und mein Gott sind mein Halt. Alles andere ist unwichtig. Ich bin auch ein Siebenbürger. Mein Geburtsort ist Mandra,2 woher auch Horia Sima3 stammt. Meine Eltern waren wie fast das ganze Dorf glühende Anhänger der Legion und trugen mit Stolz das grüne Hemd und das Kreuz der Legion.4 Sie flohen nach dem mißglückten Putsch gegen Antonescu mit Horia Sima nach Deutschland, entschlossen sich aber, nach dem Verrat Rumäniens im August 1944 in die Heimat zurückzukehren und sich dem bewaffneten Widerstand in den Südkarpaten anzuschließen.5 Andere Legionäre sind nicht diesen Weg gegangen. Sofern sie sich nicht im Westen niedergelassen haben, haben sie versucht, sich mit dem neuen Regime zu arrangieren und sind teilweise sogar der kommunistischen Partei beigetreten. Gott hat diese Verräter hart bestraft, denn sie sind allesamt späteren Säuberungswellen zum Opfer gefallen. Von meinen Eltern habe ich nie wieder etwas gehört. Entweder sind sie im Kampf gefallen, oder sie wurden gefangenengenommen und sind in einem Arbeitslager oder Gefängnis zugrunde gegangen. Sie tauchten nämlich auch nach der Generalamnestie des Jahres 19646 nicht auf. Ich bin deshalb bei meinen Großeltern aufgewachsen, die beide insgeheim bis heute treue Verehrer des Capitan Codreanu sind. Auf Sima sind sie weniger gut zu sprechen. Sie werfen ihm vor, zu viel mit ausländischen Geheimdiensten paktiert und die reine Lehre der Legion verfälscht zu haben. Sie haben mich im Geiste von Codreanu erzogen und dafür bin ich ihnen dankbar. Angesichts dieser Umstände wurde ich von jeglicher höherer Bildung ausgeschlossen. Man steckte mich zwangsweise in eine Berufsschule, wo ich recht und schlecht zum Metallarbeiter ausgebildet wurde. Die Aufforderung, mich in der Pionier- und in der kommunistischen Jugendorganisation zur sozialistischen Persönlichkeit umerziehen zu lassen, lehnte ich ab, was zu erheblichen Schikanen durch die Lehrer und den Parteisekretär der Schule führte. Zum regulären Militärdienst wurde ich nicht zugelassen, sondern musste einen dreijährigen Ersatzdienst in einer Arbeitsbrigade am Bau des Donau-Scharz-Meer-Kanals ableisten.7 Dort arbeitete ich mit vielen politischen Gefangenen und Straftätern zusammen. Es waren schwere Jahre, aber ich überstand sie unbeschadet. Die vielen Schikanen und Herabsetzungen, denen ich ausgesetzt war, brachten mich schließlich zur Überzeugung, daß ich im gegenwärtigen Rumänien keine Zukunft mehr hatte. Auch glaubte ich, daß ich, wenn mir die Flucht in den Westen gelingen würde, dort durch Aufklärung und Aufrüttelung der Öffentlichkeit viel mehr für mein Volk tun könnte als in meiner Heimat. Monatelang spielte ich in Gedanken alle Fluchtmöglichkeiten durch, bis ich mich schließlich entschloss, bei Orsova über die Donau nach Jugoslawien zu schwimmen und mich dann nach Österreich durchzuschlagen. Ich verfiel deshalb auf diesen Gedanken, weil kürzlich erst zwei meiner Cousins diesen Weg erfolgreich gegangen waren.

Der Mann sah müde aus und schloß die Augen. Nach einiger Zeit sagte er: „Ich heiße Nicolae und du?“ „Karl“ erwiderte ich. „Meine Flucht war gut vorbereitet. Nicht nur daß ich kräftig im Alt trainiert habe, nein, ich habe mir sogar bei einem Zigeuner in Hermannstadt ein paar Hundert Deutsche Mark besorgt8, die ich mit meinen Papieren wasserdicht verpackt und mit einem Leinengürtel um den Bauch gebunden habe. Allerdings mußte ich für das Geld den gesamten Schmuck meiner Mutter, den sie vor ihrer Flucht ins Gebirge auf dem Speicher unseres Hauses versteckt hatte, hergeben. Ich erkundete tagelang den günstigsten Ort an der Donau, wo ich losschwimmen konnte, und beobachtete die Grenzsoldaten sehr genau. Ich wußte, wann Wachablösung war und sogar wann sie zu saufen begannen. In einem mir günstig erscheinenden Moment sprang ich ins Wasser und schwamm los. Die Kugeln der Wachsoldaten, die sie schreiend hinter mir herschossen, verfehlten mich weit. Auf der anderen Seite wurde ich sofort von den Serben verhaftet. Als erstes nahmen sie mir mein Geld weg. Die Papiere durfte ich behalten. Die Serben waren überhaupt sehr unangenehm. Erst wollten sie mich gleich wieder nach Rumänien abschieben. Die Verständigung war sehr schwierig, denn sie konnten weder Rumänisch noch Englisch, das ich einigermaßen beherrsche. So behalf ich mir mit meinen Russischkenntnissen, die ich mir in der Schule erworben hatte.9 Als ich massiv gegen die Rückführung nach Rumänien protestierte, kam ich zunächst für drei Wochen in ein Massengefängnis, wo noch mehr rumänische Flüchtlinge einsaßen und darauf warteten, nach Österreich abgeschoben zu werden. Eines Tages wurde ich wieder verhört und gründlich untersucht, da die Serben vermuteten, ich hätte noch weiteres Geld in meine Kleidung eingenäht. Bei dieser Gelegenheit wurde ich auch brutal verprügelt. Daher habe ich das blaue Auge. Schließlich wurde ich in ein kroatisches Gefängnis verlegt, wo ich sehr korrekt behandelt wurde. Gestern wurde ich dann in aller Form nach Österreich abgeschoben. Die österreichischen Behörden waren sehr freundlich, gaben mir einen Passierschein nach Wien und sogar eine Fahrkarte dorthin. Ich hatte nämlich geltend gemacht, dass ich dort nahe Verwandte hätte, die sich weiter um mich kümmern würden. Sie machten mir lediglich zur Auflage, mich gleich nach der Ankunft in Wien bei der Polizei zu melden. Da ich auch müde wurde, beendeten wir das Gespräch und dösten beide vor uns hin. Am Wiener Südbahnhof zeigte ich Nicolae, mit welcher Tram er nach Ottakring zu seinen Verwandten gelangen konnte, gab ihm von meinem spärlichen Bargeld noch ein paar Schillinge für die Fahrkarte und wollte mich verabschieden. „Wo finde ich Dich?“ fragte er vor dem Einsteigen. Ich gab ihm schnell meine Adresse und die Telefonnummer meines Verbindungshauses, in dem ich damals wohnte, und ging meiner Wege.

Es vergingen einige Wochen und meine Quellenstudien, die Aktivitäten meiner Verbindung, der ich mich angeschlossen hatte, und meine Liebschaft, die ich während meines Studiums in Innsbruck kennengelernt und in Wien wieder getroffen hatte, nahmen mich so in Anspruch, daß ich nicht mehr an Nicolae dachte. Eines Tages ging ich die Treppe der neuen Hofburg zum Heldenplatz hinunter, als mich jemand auf Rumänisch anrief: „He, sasule (He, Sachse) kennst Du mich nicht mehr?“ Es war Nicolae, den ich tatsächlich kaum wieder erkannte. Er sah sehr gut aus. Er trug neue Schuhe, eine gut gebügelte schwarze Hose und ein grünes Hemd mit Epauletten. Um seinen Hals hing ein Legionärskreuz. Auf dem Kopf trug er ein grünes Uniformschiffchen leicht zur rechten Seite geneigt. Über seiner Schulter hing eine nagelneue braune Ledertasche. „Na, sowas, du siehst ja aus wie ein Legionär.“ „Mein Leben lang habe ich davon geträumt, ein Legionär zu sein. Jetzt habe ich schon das Hemd und das Kreuz. Ein alter Legionär, der hier in Wien lebt, hat mir die seinen geschenkt. Er ist inzwischen zu gebrechlich, um sie noch zu tragen. Mir fehlt nur noch die Initiation. Ich werde nach Spanien fahren und sie von Horia Sima persönlich vornehmen lassen. Dann werde ich den Dienst an meinem Volk von dort aus aufnehmen. Komm, ich lade dich zu einem Kaffee ein, dann erzähle ich dir alles.“ Hast du überhaupt Geld?“ „Mehr als ich brauche. Mein Vater hat meinen Verwandten während des Aufstandes der Legion in Bukarest im Januar 1941 unter eigener Lebensgefahr das Leben gerettet und jetzt haben sie sich revanchiert und mir zum Abschied 100.000 Schilling geschenkt. Obwohl ich mich im Zorn von ihnen getrennt habe, habe ich das Geld genommen. Erstens haben sie genug davon und zweitens bin ich es meinem Vater schuldig. Sie wohnen übrigens in einem hochherrschaftlichen Haus in einer ruhigen Strasse von Ottakring.“ Wir gingen in das Selbstbedienungscafé der Nationalbibliothek und setzten uns an einen Tisch in einer Ecke, wo niemand uns zuhören konnte. „Na, meine Verwandten sind eine der größten Enttäuschungen meines Lebens. An einem der ersten Abenden nach meiner Ankunft in Wien führten sie mich in das Restaurant Bukarest, wo man viele Landsleute antreffen könne, war die Begründung. In der Tat waren dort neben anderen viele Rumänen, allerdings ein durcheinadergewürfelter Haufen. Von wohlhabenden und ärmlichen Exulanten, Angehörigen des alten rumänischen Adels, rumänischen Geschäftsleuten aus anderen Ländern und Angehörigen der aktuellen diplomatischen Vertretung Rumäniens war alles vorhanden. Alle parlierten vertraulich miteinander, soffen zusammen und grölten laut. Es war eine groteske Gesellschaft. Daruberhinaus fiedelte ununterbrochen eine Zigeunerkapelle, und der schmierige Primas mit fettigen langen Haaren ließ sich lächelnd beklatschen und heimste enorme Trinkgelder ein. All das hatte nichts mit legionärer Moral zu tun und widerte mich an. Als meine Tante dann auch noch einen fetten Rumänen umarmte und auf die Backe tätschelte und nachher sagte, das sei der Botschaftssekretär gewesen, der Stammgast hier sei, war ich regelrecht erschrocken. Auch meine Verwandten schienen Stammgäste zu sein, denn sie wurden von allen Seiten angesprochen und tauschten mit fast jedem Höflichkeiten aus. Auffällig war auch, daß immer wieder drahtige Männer in dunklen Anzügen auftauchten, kurze Gespräche führten, unauffällig Briefumschläge austauschten und wieder verschwanden. Mit meinen Verwandten gingen zweimal je einer von ihnen kurz hinaus und meine Verwandten kamen mit je einem Umschlag wieder herein, legten ihn mit einem triumphierenden Lächeln in die Tasche und parlierten unbefangen weiter. Damals konnte ich mir noch keinen Reim darauf machen. Der Alte, der mir seine Legionärskleidung geschenkt hatte, klärte mich auf. Er sei ein einziges Mal im Restaurant Bukarest gewesen und ihm sei sofort klar geworden, welcher Abschaum an Menschen sich dort versammele. Nicht nur daß man dem Gefiedel der widerlichen Zigeuner nach jedem Stück frenetischen Beifall zolle, nein, die ganze Gesellschaft sei durch und durch korrupt. Ehemalige Legionäre wie meine Verwanden fraternisierten mit den Kommunisten in der rumänischen Botschaft und verkauften skrupellos gegen viel Geld Informationen an alle möglichen Geheimdienste. Ob es sich um KGB, Mossad oder CIA handele, sei ihnen gleichgültig. Sie seien nur an Geld interessiert. Ja, sie schreckten auch nicht vor Denunziationen zurück, was etlichen ihrer treu gebliebenen Landsleuten das Leben gekostet habe.10 Die ganze Gesellschaft, auch meine Verwandten, seien demoralisiert und gewissenlos. Alle paktierten nicht nur mit den Geheimdiensten, sondern gingen auch anderen undurchsichtigen Geschäften nach. Am meisten würden sie aber mit dem Verkauf gestohlener Ikonen und anderer liturgischer Gegenstände sowie illegaler beschaffter Wertgegenstände verdienen. Als ich meine Verwandten zur Rede stellte, lachten sie mich aus und nannten mich einen Träumer. Auch Codreanu sei ein weltfremder Träumer und Idiot gewesen. Sie hätten lange gebraucht, um dies zu begreifen. Man müsse schließlich sehen, wo man bleibe. Ihnen ginge es jetzt besser denn je. Die Legion sei eine Verirrung der Geschichte gewesen. Wortlos verließ ich ihr Haus und wohne seither beim Alten. Dorthin ließen sie mir auch die 100.000 Schillinge kommen. Ich weiß, daß es schmutziges Geld ist, aber ich brauche es für meine Aufgabe.“ Ich wußte zunächst nicht, was ich zu dem Erzählten sagen sollte, und schwieg. Nach einiger Zeit sagte Nicolae: „Du Sachse, ich habe Euch immer bewundert. Ihr habt Euch über Jahrhunderte eine Lebensform geschaffen, die ihresgleichen sucht. Euer Gemeinschaftssinn, eure Tüchtigkeit und hohe Bildung hatte ein stabiles Fundament: eure feste Verankerung in eurem evangelischen Glauben. Jedes Volk, das mit sich im Reinen ist, ist verwurzelt in in seinem unerschütterlichen Glauben. Wird dieser Glaube infrage gestellt, zerfällt das Volk und wird früher oder später untergehen. Der Nationalsozialismus hatte ursprünglich gute und edle Ansätze. Erst als er dem Größenwahn und der Gottlosigkeit verfiel, war er zum Scheitern verurteilt. So hat auch eure Volksgruppenführung11 das Sachsenvolk in die gefährlichste Krise seiner Geschichte gestürzt. Ihre nihilistische Arroganz und Machtbesessenheit hat euch zerstört. Einer meiner Onkel war Verbindungsmann der Legion zur Volksgruppenführung und war gar nicht gut auf den Volksgruppenführer Andreas Schmidt zu sprechen. Ich habe ihn nur einmal gesehen, als er meinen Onkel in Mandra besuchte. Ich war aber noch ein Kind und habe daher nur eine blasse Erinnerung an ihn. Jetzt rate ich euch aber dringend: Findet zu eurem Glauben zurück! Bringt eure Volksseele zu dem zurück, was sie einmal war! Dann könnt ihr wieder genesen und habt mit Gottes Hilfe eine Überlebenschance. Für mein Volk ist der angemessen Glaube die unverfälschte Orthodoxie. Sieh her!“: Dann zog er ein Büchlein aus seiner Tasche. „Dies sind die Grundsätze unseres ermordeten Capitans. Er war unser Messias. Das wussten seine Feinde und haben ihn deshalb heimtückisch umgebracht. Sie hatten Angst vor ihm. Sie fürchteten ihn zu Recht, denn sie waren alle Opfer der jüdischen Korrumpierung, wie auch der Kommunismus eine jüdische Machenschaft ist. Auch die westlichen Demokratien sind jüdisch verseucht, wie auch das jüdische Kapital der Wallstreet die amerikanische Politik kontrolliert. Oder schau dir eure Studenten in Deutschland an, die in diesen Tagen wüst herum randalieren und den Marxismus verkünden. Auch sie sind Opfer einer zerstörerischen jüdischen Strategie. Wenn sie so weitermachen, wird auch eure sogenannte Demokratie zugrunde gerichtet. Hier drin aber steht das Gegenprogramm des Capitans, seine Botschaft. Sein Aufruf, dem Weltjudentum mit ganzer Kraft entgegenzutreten. Das Buch ist mein Leitfaden, an den ich mich mein Leben lang halten werde. Du solltest es auch lesen.“ Mir wurde allmählich unwohl bei diesen Ungeheuerlichkeiten. „Ich merke, das gefällt dir alles nicht“, fuhr er fort. „Wir brauchen den neuen Menschen, wie der Capitan ihn entworfen hat. Dann erst werden die Völker zur Ruhe kommen und sich nicht mehr gegenseitig zerfleischen. Bis dahin ist aber ein gnadenloser Kampf nötig, und wir dürfen auch nicht vor Gewalt zurückschrecken. Diesem Kampf will ich ab jetzt mein Leben widmen.“ Seine Auslassungen wurden mir nun endgültig zu viel und erschreckten mich geradezu. Ich hatte den Eindruck, daß er sich im Verlauf seines Wiener Aufenthalts selbst erheblich radikalisiert hatte und möglicherweise zu allem fähig war. Er war nicht mehr der eher nüchterne Nicolae, den ich im Zug von Graz nach Wien kennengelernt hatte. Ich fragte mich, wie so etwas möglich war, fand aber keine Antwort. Mich begann vielmehr zu schaudern. Deshalb bedankte ich mich bei ihm für den Kaffee, wünschte ihm alles Gute und verabschiedete mich von ihm. Er schaute mich verblüfft an und winkte mir zaghaft hinterher.

Ob Nicolae seiner Überzeugung treu geblieben ist, vermag ich nicht zu sagen, denn ich habe ihn nie wieder gesehen und auch nie wieder etwas über ihn erfahren.

  • 1Der Präsidentschaftswahlkampf zwischen dem Republikaner Richard Nixon und dem Demokraten Hubert Humphrey war gerade in der Schlußphase und die Demoskopen prognostizierten ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
  • 2Mandra ist eine rumänische Ortschaft an den Ausläufern des Fogarascher Gebirges im Kreis Kronstadt.
  • 3Horia Sima (1906 – 1993) wurde nach der Ermordung des Gründers und „Capitans“ der „Legion des Erzengels Michael“ bzw, der personell identischen Kampforganisation „Eiserne Garde“, Corneliu Zelea Codreanu (1899 – 1938), dessen Nachfolger. Die Eiserne Garde war eine klerikal-faschistische, radikal antisemitische, antiziganistische und antikommunistische Organisation. Von allen faschistischen Organisationen der Zwischenkriegszeit ist sie am ehesten mit der kroatischen Ustascha von Ante Paveleci zu vergleichen, wobei allerdings die Ustascha radikal-katholisch war und die Eiserne Garde sich einer mystischen Orthodoxie verpflichtet fühlte. Auf das Konto der Eisernen Garde gingen mehrere politische Morde und Attentate. Mit Unterstützung durch das Dritte Reich ging jedoch die Legion unter Horia Sima eine Koalition mit Marschall Ion Antonescu (1882 – 1946) ein und beteiligte sich an dem kurzlebigen „nationallegionären Staat“ (September 1940 – Januar 1941). Als die Legion im Januar 1941 gegen Antonsecu putschte, ließ Hitler die Eiserne Garde fallen und stellte sich auf die Seite von Antonescu. Sima floh mit einer Schar von Gesinnungsgenossen nach Deutschland und wurde dort in „Schutzhaft“ genommen. Nach dem am 23.08.1944 erfolgten Frontwechsels Rumäniens führte Sima bis zum Kriegsende eine wirkungslose Exilregierung in Wien und ließ sich dann in Spanien nieder, wo er bis zu seinem Tode im Jahre 1993 unbehelligt die Ideologie der Legion weiter propagierte. In Rumänien wurde er in Abwesenheit mehrfach zum Tode verurteilt. Die in Rumänien verbliebenen Legionäre waren nach dem mißglückten Putsch gegen Antonescu unter seiner Herrschaft, aber auch unter dem späteren kommunistischen Regime mehreren Verfolgungswellen ausgesetzt. Eine Wiederbelebung des legionären Gedankens nach 1989 durch überlebende Altlegionäre gelang nur vereinzelt, aber ohne irgendeine Wirkkraft im späteren politischen Geschehen.
  • 4Die Legion war straff in sogenannten „Nestern“ organisiert. Äußeres Erkennungsmerkmal war des grüne Uniformhemd und das Keltenkreuz, das jeder Legionär um den Hals trug.
  • 5Bereits nach dem Frontwechsel Rumäniens im Jahre 1944 verschanzten sich heterogene bewaffnete Gruppen in den Süd- und Westkarpaten, dem Donaudelta, im Banat und an verschiedenen anderen unwegsamen Orten und widersetzten sich dem unter Kontrolle der Sowjetarmee stehenden Übergangsregime. Es handelte sich um Angehörige der königlichen Armee, die den Frontwechsel verweigert hatten und nicht wie andere Einheiten mit den deutschen Truppen abgezogen waren, um versprengte deutsche Wehrmacht- und Waffen-SS-Angehörige, Gefolgsleute des Marschalls Antonescu, verschiedene andere antikommunistische Gruppen und Grüppchen sowie um im Lande verbliebenene oder zurückgekehrte Legionäre. Die im Volksmund „Partisanen“ , vom Regime „Terroristen“ genannten Widerstandskämpfer wurden ausreichend von der umliegenden Bevölkerung mit Nahrungsmitteln unterstützt, waren gut bewaffnet, litten jedoch unter empfindlichem Munitionsmangel. Nach Ausbruch des kalten Krieges wurden sie in geringem Umfang von westlichen Geheimdiensten mit Munition und anderem Material unterstützt und vereinzelt sogar personell aufgestockt. Da die Widerstandsgruppen sehr heterogen waren, gab es kein koordiniertes Vorgehen und es kam sogar zu massiven inneren Konflikten, was ihre Schlagkraft sehr schwächte. Der Widerstand brach Ende 1956 allmählich völlig zusammen, als nach der Niederschlagung des Volksaufstandes in Ungarn deutlich wurde, daß von den Westalliierten keine aktive Hilfe mehr zu erwarten war. Einige wenige Widerstandsnester sollen aber bis zum Jahre 1970 durchgehalten haben. Im Übrigen kam es bis zum Jahre 1956 landesweit immer wieder auch zu mehr oder weniger intensiven bäuerlichen Revolten gegen die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft.
  • 6In den 1960er Jahren drang kaum etwas über politischen Widerstand in Rumänien nach außen. Wie in allen Ostblockstaaten kam es allerdings auch in Rumänien zu einer Reihe von Schauprozessen. 1964 wurde eine Amnestie ausgerufen, bei der angeblich alle politischen Gefangenen, mehr als 50.000, freigelassen wurden. Später stellte sich heraus, dass ein erheblicher Teil der politischen Gefangenen nicht unter die Amnestie gefallen war und weiter einsaß, wobei die Kriterien ihrer Nichtfreilassung unklar blieben.
  • 7In diese Arbeitsbrigaden wurden alle Wehrpflichtigen, die eine „ungesunde Herkunft“ hatten, gesteckt, wie die Söhne von „Chiaburen (Großbauern)“, ehemaligen Unternehmern, nichtorthodoxen Geistlichen, ehemaliger nichtkommunistischer Politiker, Legionäre und vor allem der meisten Angehörigen der deutschen Minderheit. Sie wurden beim Bau von Großprojekten wie dem Donau-Schwarzmeer-Kanal und dem Bicaz-Stausee sowie im Straßenbau eingesetzt.
  • 8Es gab vor allem in Hermannstadt einen Zigeunerstamm, der insgeheim mit Gold handelte und über eine große Menge an Devisen verfügte. Die Polizei hat diese illegale Tätigkeit trotz regelmäßiger Razzien nie ganz unterbinden können.
  • 9Mit der Schulreform von 1948 wurde das Russische als Pflichtsprache ab der vierten Jahrgangsstufe in allen Schulen eingeführt, was zu einer kuriosen Situation führte. Über Nacht mussten mehrere Tausende Russischlehrer aus dem Boden gestampft werden. In Schnellkursen bildete man ausgewählte Lehrkräfte dafür aus, was dazu führte, daß die Lehrkräfte das Russische genauso mangelhaft beherrschten wie ihre Schüler. Ende der 50er Jahre wurde das Russische als Pflichtsprache wieder abgeschafft.
  • 10In der Tat war Wien in der letzten Phase des Krieges, aber vor allem nach dem Krieg ein Tummelplatz internationaler Geheimdienste und ist es etwas abgeschwächt bis heute geblieben. Treffpunkte waren Lokale wie das Restaurant Bukarest aber auch viele andere konspirative Orte. Von hier aus gingen viele politische Mordaufträge aus. Das KGB bediente sich dabei insbesondere des bulgarischen Geheimdienstes, auf dessen Konto nicht wenige Morde in ganz Europa gingen.
  • 11Im August 1940 wurde Siebenbürgen im Zweiten Wiener Schiedsspruch geteilt und die NSDAP der deutschen Volksgruppe in Rumänien übernahm die alleinige Vertretung der im rumänischen Teil lebenden Volksdeutschen. Am 27. September 1940 wurde der Siebenbürger Sachse und SS-Offizier Andreas Schmidt vom Leiter der Volksdeutschen Mittelstelle, SS-Obergruppenführer Werner Lorenz, zum Volksgruppenführer in Rumänien ernannt und war nun der mächtigste Mann unter den Rumäniendeutschen. Zudem war er ein Schwiegersohn des Leiters des SS-Hauptamtes und Generals der Waffen-SS, Obergruppenführer Gottlob Berger, und hatte damit beste Beziehungen zur obersten SS-Führung. Die Volksgruppenführung wurde auf Berliner Druck hin zur Körperschaft des öffentlichen Rechts erhoben und entzog sich dadurch der direkten Einflußnahme durch die rumänische Regierung. Dabei zeigte sich bald, daß Schmidt ein reiner Karrierist war und jegliche Befehle der übergeordneten Stellen im Deutschen Reich auszuführen bereit war, auch wenn dies mit Risiken und Nachteilen seiner Landsleute verbunden war. Als es im Januar 1941 zu einer Rebellion der Eisernen Garde gegen den rumänischen Diktator Ion Antonescu kam, konnte er sich weiter profilieren und sich in Berlin als wichtigster Ansprechpartner im Land präsentieren. Im Inneren der sächsischen Gesellschaft liquidierte er alle überkommenen Einrichtungen und traditionellen Lebensformen und setzte an ihre Stelle nach den Vorbildern im Deutschen Reich NS-Organisationen und NS-Rituale. Als entschiedener Atheist brachte er die evangelische Kirche unter seine Kontrolle und ließ durch seinen von ihm eingesetzten Bischof das „deutsche Christentum“ propagieren. Das bisher kirchliche und hoch entwickelte deutsche Schulwesen unterstellte er der Volksgruppenführung. Nach dem Frontwechsel Rumäniens im August 1944 versuchte er noch einen bewaffneten Widerstand gegen die vorrückenden sowjetischen Truppen zu organisieren. Er geriet jedoch sehr bald in sowjetische Gefangenschaft und starb unter ungeklärten Umständen im Gefangenenlager Workuta. Seine Gesinnungsgenossen wurden entweder gefangen genommen oder flohen ins Deutsche Reich. Einige wenige schlossen sich dem bewaffneten Widerstand in den Südkarpaten an.