Toleranz in Siebenbürgen

Der Text geht auf einen Vortrag zurück, den der Autor mehrfach gehalten hat.

Religiöse und ethnische Toleranz in Siebenbürgen

Einleitung

Siebenbürgen ist weltweit bekannt durch sein einzigartiges Ensemble an siebenbürgisch- sächsischen Kirchenburgen, die ein Zeugnis ablegen von permanenter Kriegsgefahr. In der Tat gab es insbesondere vom 15. bis zum 17. Jahrhundert kaum ein Jahr ohne militärische Auseinandersetzungen verschiedenster Art und Intensität. Es war auch die Zeit, in der sich die politische Landkarte durch den Vorstoß der Osmanen grundlegend änderte. Nachdem die Osmanen die gesamte Balkanhalbinsel und die beiden Donaufürstentümer Moldau und Walachei unterworfen hatten, fiel ihnen 1526 auch das bis dahin mächtige Königreich Ungarn zum Opfer. Nach einem daraufhin folgenden mörderischen Kriegsspektakel wurde das Königreich endgültig zerstört und es gab fortan für über 150 Jahre das „dreigeteilte Ungarn“. Ein schmaler Streifen im Westen und im Norden fiel an die Habsburger. Die große Donautiefebene sank zu einem osmanischen Paschalik herab. Einzig das im geschützten Karpatenbogen liegende Siebenbürgen konnte in lockerem und zeitweise unterbrochenem Vasallenverhältnis zur Pforte seine innere Selbständigkeit bewahren. Da sich die Osmanen wenig in die inneren Angelegenheiten, und schon gar nicht in religiöse Fragen, einmischten, sofern ihnen der Tribut regelmäßich entrichtet wurde, entwickelte sich in dieser abgeschiedenen Region ein einzigartiger modus vivendi, der in der Forschung und Literatur nicht selten als das siebenbürgische „Modell“ religiöser und ethnischer Toleranz bezeichnet wird, also eher ein Miteinander als ein Gegeneinander, welch letzteres andernorts immer wieder zu blutigen Konflikten geführt hat. Zwar gab es auch in dieser Region sehr viele blutige Konflikte und Plünderungen, vielleicht sogar noch mehr als anderswo, aber deren Ursachen waren ganz anderer Natur und hatten ihre Anlässe nicht in ethnischen oder gar religiösen Gegensätzen, die, wären sie zum Ausbruch gekommen, das gesamte staatliche und gesellschaftliche Gefüge gesprengt hätten. Die Auswirkungen dieses „Modells“ sind bis zum heutigen Tage erkennbar und geben dem Land seinen einzigartigen Charme. Selbstverständlich gibt es auch heute hier und dort Spannungen, aber im Großen und Ganzen herrscht ein friedliches, oft partnerschaftliches Zusammenleben. Spannungen werden, wenn sie überhaupt auftreten, durch Ideologen bewirkt, von notorischen Nationalisten oder religiösen Eiferern, die es auf der ganzen Welt gibt. Im alltäglichen Zusammenleben ist davon kaum etwas zu bemerken. In den ethnisch gemischten Dörfern oder Städten leben beispielsweise orthodoxe Rumänen, unitarische Ungarn und evangelisch-lutherische Sachsen in der Regel kollegial zusammen. Sie sind allesamt mehrsprachig und respektieren die jeweiligen Konfessionszugehörigkeiten. Ökumenische Gottesdienste sind auf der Tagesordnung.

Gab es in Siebenbürgen eine echte Toleranz?

Angesichts dieser Umstände könnte man zum Schluß gelangen, als hätte sich ausgerechnet in diesem weitentfernten Außenposten des christlichen Abendlandes der Toleranzgedanke bemerkenswert frühzeitig durchgesetzt und sich tief im Bewußtsein der seit eh und je gemischten Bevölkerung etabliert. Vordergründig könnte man zwar zu diesem Schluß gelangen, aber es wäre nur die halbe Wahrheit. In einem kürzlich erschienen Artikel schreibt mein rumänischer Freund Vasile Munteanu, ein orthodoxer Priester: „Dann wenn wir über religiöse Toleranz sprechen als Ausdruck des Verständnisses für interkonfessionelle und interethnische Duldsamkeit muß man sich im Klaren sein, daß diese Idee einer höheren Einsicht entspringt. Zu ihr gelangt man sehr schwer und nur mit großer Anstrengung. Dort, wo diese Einsicht fehlt, sind Spannungen, Zusammenstöße und Religionskriege eine konstante Erscheinung im Leben der Völker. Religiöse Toleranz ist ein feines Gleichgewicht, zu dem man nur durch Einsicht, durch Kenntnis deiner Nächsten und durch Hinnahme der Tatsache, daß jemand anders als du selbst ist, gelangt. Bezüglich Siebenbürgen im 16. und 17. Jahrhundert können wir nicht den aktuellen Sinn des Toleranzkonzeptes in Betracht ziehen. Wir müssen vielmehr eine klare Unterscheidung zwischen dem aktuellen Wortsinn und den Absichten der Menschen der damaligen Periode treffen. In der damaligen Zeit bestand nämlich nicht die Bereitschaft, im eigentlichen Wortsinn andere Religionen innerlich zu dulden und zu verstehen, sondern es gab eher aus politischer Einsicht das Einvernehmen zwischen den Fürsten und den staatstragenden Ständen, innere Kämpfe zu vermeiden. Die religiösen und politischen Kräfte waren austariert und alle waren sich angesichts der Umstände im Klaren, daß Entspannung nutzbringender sei als Zwietracht.“

Schon die Art ihrer Entstehung erlaubt Rückschlüsse auf das Wesen der interkonfessio- nellen Toleranz, wie sie in Siebenbürgen im 16. Jahrhundert in Erscheinung getreten
ist. Es handelte sich um eine Regelung, die so ziemlich jeglicher ideellen Grundlage ent- behrte, und die sich nur aus der inneren Situation des Landes als ein praktischer modus vivendi ergab. Während andernorts die großen Theoretiker eines frühneuzeitlichen Toleranzgedankens wirkten – Sebastiano Castellio (gest. 1562), Jacobus Acontius (gest. 1566), Fausto Sozzini (gest. 1604) – und während ihre Ideen in der Durchführung scheiterten, ging Siebenbürgen auf der Suche nach einem modus vivendi von vornherein einen anderen Weg.

In Siebenbürgen fand diese Toleranz-Literatur einen noch geringeren Widerhall als in anderen Ländern. Auch von einem Einfluß des Tamas Felegyhazi (1540—1586), der als ungarischer Verfechter der Geistesfreiheit in seiner Bedeutung Castellio wohl gleichkommt, kann man nicht viel bemerken.

Allerdings war es wiederum nicht so, daß den siebenbürgischen Religionspraktiken jegliche geistige Fundierung fehlte. Man pflegte die Zulassung der vier rezipierten Religionen immerhin – wie aus den Landtags-Beschlüssen hervorgeht – mit ihrem christlichen Charakter in Verbindung zu bringen. Geradezu modern mutet die Argumentation an, die der Kanzler Michael Csaki im Auftrag seines Fürsten Johann Sigismund den Teilnehmern einer Disputation im Jahre 1568 vorlegte, als er sich auf die Apostelgeschichte berief und verlangte, man solle nach dem Rat des Juden Gamaliel (Apostelgeschichte 5, 33-39) – ein in der Toleranz-Literatur gerne gebrauchter Beleg – die religiöse Freiheit gewähren. Dieser Sachverhalt würde Anlaß geben, das soeben dargestellte Bild des Fehlens ideeller Grundlagen zu revidieren, wenn es sich nicht – soweit die vorliegenden Quellen Auskunft geben – um einen der wenigen Einzelfälle einer Berufung auf Zitate aus dem Evangelium gehandelt hätte.

Sozzinis Lehre freilich ist bei seinen siebenbürgischen Anhängern auch in dem Gedan- ken nachweisbar, daß Christen, Juden und Mohammedaner als gleichwertig und gleichberechtigt anzusehen seien. Es sei das Beispiel des Jacobus Palaeologus (1520 – 1585) genannt, eines jener gebildeten Griechen, die im 15. und 16. Jahrhundert ein unstetes und recht abenteuerliches Wanderleben durch weite Gebiete Europas führten. Der auf Chios geborene angebliche Nachfahre des byzantinischen Kaisergeschlechtes der Paläologen gelangte über Italien, wo er in den Dominikaner-Orden eingetreten war, sich aber unter dem Einfluß der Reformation wieder von der römischen Kirche getrennt hatte, nach Polen und nach Siebenbürgen. Er übte einen nicht zu unterschät- zenden Einfluß auf die Unitarier dieser Länder aus. Mehrmalige und teils längere Aufenthalte in Siebenbürgen sind nachweisbar (in den Jahren von 1572 bis 1575). In seinem 1572 in Krakau veröffentlichten Traktat De tribus gentibus verfocht er – unter Berufung auf die Bibel – die Auffassung, Juden, Mohammedaner und die An- hänger aller christlichen Konfessionen könnten selig werden; der Unterschied in den Zeremonien, in den Bräuchen und sogar in der Lehre sei nebensächlich; Haß und Zwietracht unter den Konfessionen seien als sündhaft anzusehen.

Auch wenn solche ideellen Überlegungen in Siebenbürgen vereinzelt nachweisbar sind, zur politischen Willensbildung haben sie sicherlich nicht beigetragen.
Auch die zeitgenössische Terminologie erlaubt Rückschlüsse auf das Wesen jener kon- fessionellen Toleranz. Das Wort „Toleranz“ – zumal in seinem modernen Sinn – ist überhaupt irreführend und wird am besten durch den damaligen Begriff „Freiheit“ ersetzt – „Freiheit“ mit einer genau festgelegten Einschränkung auf einige begünstigte Gruppen. Von einer universalen Tendenz im Sinn einer Anerkennung von Christen, Nichtchristen und sogar von Atheisten kann nicht die Rede sein. Nicht einmal alle christlichen Religionen wurden einbezogen (es wurden vier Konfessionen rezipiert: Katholiken, Lutheraner, Reformierte bzw. Kalviner und Unitarier bzw. Antitrinitarier bzw. gelegentlich Arianer); die orthodoxen Rumänen blieben formell ausgeschlossen (aber praktisch geduldet). Auch waren für die freie Entfaltung der vier rezipierten Religionen nicht grundsätzliche Erwägungen bestimmend gewesen, sondern das Ausmaß ihres Erstarkens und die Fähigkeit zur Durchsetzung ihrer Ansprüche. Die rechtliche Fixierung religiöser Freiheit war also nicht ideeler Überzeugung zu verdanken, sondern war Ausdruck kluger und weitblickender Staatsräson, als solche sicherlich einzigartig in der damaligen Zeit.

Und so vermag das Fürstentum Siebenbürgen mit dem dort erreichten praktischen modus vivendi doch einen bedeutsamen, viel zu wenig beachteten Beitrag der Toleranz im 16. Jahrhundert zu geben, deren Auswirkungen bis zum heutigen Tage positiv zutage treten.

Verlauf des religiösen Ausgleichs

Die Voraussetzungen dafür, daß es dort zu einem bemerkenswerten Ausgleich der konfessionellen Spannungen gekommen war, lagen in der Sonderstellung dieses Lan- des mit seiner andersartigen inneren Struktur.
Mit der Niederlage von Mohács (1526) wurde die Einheit des Königsreichs Ungarn zerstört und es entstand in der Folgezeit das „dreigeteilte Ungarn“.

Dem Zerfall der staatlichen Einheit ging die konfessionelle Trennung nebenher. Unter dem unmittelbaren Eindruck des militärischen und politischen Zusammenbruchs und begünstigt durch eine Reihe von anderen Faktoren hatte sich die Lehre der Reforma- toren in wenigen Jahrzehnten weitgehend durchgesetzt. Allmählich stellte sich im „königlichen Ungarn“ eine gewisse Stabilisierung zwischen den konfessionellen Fron- ten ein. In der dem osmanischen Reich einverleibten Provinz zeichnete sich eine ähn- liche Entwicklung ab, wobei hier überhaupt ein sichtlicher Schwund des kirchlichen Lebens eintrat als Folge der Verminderung der Bevölkerung und der wirtschaftlichen sowie sozialen Bedrängnis unter der osmanischen Besatzung. Das benachbarte Sieben- bürgen zeigte ein anderes Bild, ein Bild ständiger Bewegung. Hier war die konfessio- nelle Entwicklung noch länger im Fluß.

Der Einbruch der Reformation bedeutete in Siebenbürgen noch stärker als in den übri- gen Teilungsgebieten Ungarns eine Umwälzung des geistigen und des politischen Lebens. Nach 1541 – dem Jahr der Einnahme der Hauptstadt Ofen durch die Osmanen – erfolgte der offene Übertritt der siebenbürgischen Bevölkerung zum Luthertum, und zwar in einem solchen Ausmaß, daß der alten Kirche zeitweise ein völliges Er- löschen zu drohen schien. In Siebenbürgen gab es seit 1542, von der kurzen Zugehörig- keit zu Österreich abgesehen (1551-1556) für anderthalb Jahrhunderte keinen katho- lischen Bischof mehr, wenn auch aus rechtlichen Gründen die Institution des Bischofs- sitzes (in Alba Iulia; Gyulafehérvár; Weißenburg; später Karlsburg) noch für wenige Jahre bis 1556 fortbestand. 1556 kam es zur Aufhebung des Bischofssitzes sowie auch zur Einziehung der Güter und Besitzungen der alten Kirche (Säkularisation). Nur bei den Szeklern behielt die katholische Kirche einen beträchtlichen Anhang.

Die Lehre der Reformatoren trat zunächst in der von Luther gegebenen Form auf.
Die sächsische „Nations-Universität“ in ihrer Gesamtheit, die Universitas Saxonum, nahm sie im Jahre 1544 an. Johannes Honterus, seit 1544 Stadtpfarrer von Kron-
stadt, der Apostel Siebenbürgens (wie ihn Luther genannt hatte), faßte die von Wit- tenberg ausgegangene Lehre in einer Bekenntnisschrift zusammen (Reformatio Eccle- siae Coronensis ac totius Barcensis provinciae; 1545), die zu einer provisorischen Glaubens- und Organisationsgrundlage der siebenbürgischen Lutheraner wurde. Unter der magyarischen Bevölkerung wirkten in diesem Sinne Gaspar Heltai (Caspar Helth; aus dem Ort Heltau) und Ferenc David (Hertel) , beides Siebenbürgener Sachsen,
die im Magyarentum aufgegangen waren. Nach mehreren Zwischenstufen übernah-
men die Sachsen schließlich im Jahre 1572 in aller Form die Confessio Augustana, und sie verblieben damit bis auf den heutigen Tag fest auf dem Boden des Luthertums. Überwog zu Lebzeiten Luthers die Anlehnung an seine Lehre, so blieb später die konfessionelle Entwicklung noch lange in Bewegung; man hielt unbekümmert nach neuen religiösen Ideen Ausschau.
Es schob sich zusehends die Schweizer Richtung, der Kalvinismus, in den Vorder- grund. In Siebenbürgen wurde das geistig stets unruhige Klausenburg zum Ausgangs- punkt dieser neuen Bewegung der Reformierten. Die Sachsen blieben Lutheraner, die magyarische Bevölkerung ging in ihrer überwiegenden Mehrheit zum Kalvinismus über, der offen als magyarische Religion (magyar vallas) verkündet wurde.
Auf Kosten des Kalvinismus gewannen die Unitarier (Anti-Trinitarier, Arianer)
immer mehr an Boden. Der am Fürstenhofe wirkende piemontesische Arzt Giorgio Blandrata, der über Polen nach Siebenbürgen gekommen war, und eine Reihe ande-
rer Männer verhalfen dieser Sekte zum Durchbruch. Ihre zentrale Figur wurde dann
der schon genannte Ferenz David, ein tatkräftiger, schnell begeisterter und auch
andere schnell begeisternder Mann, ein unruhiger Geist, der in immer radikalere Bah- nen abglitt.
Das Auftreten verschiedener Konfessionen, weswegen Siebenbürgen mit leichter Über- treibung, aber doch auch mit einer gewissen Berechtigung, vom Religionswissenschaftler Lecler ein „Babel der Religionen“ genannt worden ist, läßt sich erweitern durch die Sekte der Sabbatharier, und vor allem durch den zahlenmäßig großen Bevölkerungsteil der orthodoxen Rumänien.
Bevor allerdings die recht heftig ausgefochtenen Streitigkeiten der Theologen und sich abzeichnende Machtkämpfe ihrer weltlichen Anhänger ein verhängnisvolles Ausmaß erreichten, setzte eine für Siebenbürgen typische Entwicklung ein, nämlich die recht- liche Fundierung einer freien Entfaltung der Religionen. Um das Endergebnis vor- wegzunehmen: Am Abschluß dieser in Stufen erfolgten Entwicklung (1571) gab es in Siebenbürgen vier freie, d. h. von Staats wegen anerkannte Religionsgemeinschaften: Katholiken, Lutheraner, Reformierte (Calviner) und Unitarier. Die rumänischen Orthodoxen wurden zwar nicht anerkannt, aber doch geduldet.
Nicht auf den Disputationen der Theologen, die im allgemeinen ergebnislos verliefen und die nur zur Verhärtung der Gegensätze führten, wurden die für die Kirchenpoli- tik entscheidenden Auseinandersetzungen ausgetragen. Sie fielen vielmehr auf der Ständeversammlung, dem Landtag.
Die nun vollendete Religionsfreiheit für die vier „rezipierten Religionen“ wurde spä- ter mehrmals von den Fürsten bestätigt; sie ging in die Gesetzessammlung des Landes ein (Approbatae Constitutione Regni Transylvaniae et partium Hungariae eidem annexarum), die Georg II. Rakoczi in der Mitte des 17. Jahrhunderts in Auftrag ge- geben hatte.

Aus der Schilderung des konfessionellen Panoramas ergibt sich die Frage, wie sich diese Verschiedenheit auswirken konnte, ohne daß der ohnehin schon durch das Neben- einander mehrerer Völker belastete Staat auseinanderbrach.

Ursachen für den friedlichen Ausgleich

Die Ursache liegt, wie schon erwähnt, in erster Linie an der eigenartigen Sondersituation des Landes.
Siebenbürgen hatte schon unter den ungarischen Königen ein bemerkenswertes Eigen- leben entwickelt. Die Gründe lagen in der geographischen Gestaltung des Landes, das sich durch seinen bergigen Charakter nicht nur nach außen hin abhob, sondern auch in seinem Innern zur Individualisierung neigte. Noch weit mehr wurde diese Sonderent- wicklung durch Herkunft und Stellung seiner Bewohner bestimmt. Das Land wurde politisch und geistig von den drei nationes geprägt: den nobiles, d. h. dem magyari- schen Komitatsadel, der auf dem Adelsboden saß; dem autonomen magyarischen Stamm der Szekler mit seinem Adel an der Spitze; und den ebenfalls autonomen „Sachsen“, die nicht wegen ihrer Zahl, sondern wegen ihrer wirtschaftlichen Macht sowie wegen ihrer befestigten Burgen und Städte eine starke Stütze Siebenbürgens dar- stellten. Nationes ist dabei nicht nur im ethnischen Sinn, sondern auch als Stände zu verstehen. Diese Stände, vertreten durch den Landtag, gewannen großen Einfluß auf

die politischen Geschicke. – Eine weitere Bevölkerungsgruppe, die Rumänen, blieb ohne politische Rechte.

Die auffällige Bereitschaft zur konfessionellen Eintracht ist als eine unmittelbare Fortsetzung der von den drei nationes geschaffenen Staatsordnung zu verstehen. Bereits im Jahre 1437 hatten sich die oben schon erwähnten nationes der Magyaren, der Sachsen und der Szekler frei und ungezwungen zu einer unio zusammengefunden, einer Art Schutz- und Trutzbündnis, das bis herauf zum Jahre 1792 mehrmals erneuert wurde, und das die Grundlage des siebenbürgischen Staates darstellte. Man geht in der Annahme nicht fehl, daß die im Verlauf des Zusammenlebens der drei Nationen entwickelten und erprobten Formen des gegenseitigen Verständnisses ein günstiges Klima für die Einschränkung der konfessionellen Gegensätze schufen. Die Landstände entwickelten ein untrügliches Gefühl dafür, bis zu welchem Ausmaß Spannungen wachsen durften, ohne die Existenz des Landes zu gefährden. Die bedrohliche außenpolitische Lage Siebenbürgens im Vorfeld der osmanischen Expansion trug ein übriges dazu bei.

Diese für das 16. Jahrhundert in Europa ungewöhnliche Regelung der causa religionis läßt sich in ihrer Entstehung auch aus einem anderen Grund leichter verstehen, wenn man berücksichtigt, daß die Landstände ja eigentlich nur die schon eingetretenen und nicht mehr abzuändernden Zustände nachträglich billigten sowie gesetzlich sanktio- nierten. Die Anhänger der einzelnen Glaubensrichtungen hatten jeweils so feste Posi- tionen erreicht, daß sie ihre Ziele auch im Landtag mit genügendem Nachdruck vertreten konnten. Daß die rumänische Orthodoxie nicht rezipiert wurde, hängt ausschließlich damit zusammen, daß die Rumänen nicht organisiert und im Landtag nicht vertreten waren und so ihre Position nicht machtvoll vertreten konnten wie die etablierten Stände. Das besondere Verdienst der Stände-Vertreter bestand darin, diese

Entwicklung rechtzeitig zur Kenntnis zu nehmen und sich aus politischer Klugheit her- aus den Tatsachen anzubequemen.
Letzten Endes war es ja überhaupt auf die ständische Verfassung Siebenbürgens zurück- zuführen, daß die Reformationszeit hier anders verlaufen war als in Mittel- und Westeuropa. Nur dem politischen Gewicht der Stände war es zuzuschreiben, daß die protestantisch gewordene Landtags-Mehrheit gegen den Willen des zunächst katho- lisch gebliebenen Fürstenhauses der Reformation zum vollen Durchbruch verholfen hatte. Und nur durch das Zusammenspiel mit den Vertretern der jeweiligen Konfes- sionen im Landtag konnte andererseits der neue Herrscher Johann Sigismund

den Konfessionen zur rechtlichen Anerkennung verhelfen.

Ethnisches Zusammenleben

Siebenbürgen war von Anfang an eine eigenartige ethnisch gemischte Siedlungsregion. Mit der Landnahme durch die inzwischen christianisierten Magyaren ab dem 11. Jahrhundert etablierten sich allmählich hauptsächlich 4 ethnische Gruppen, die in mehr oder weniger friedlicher Koexistenz bis in die Neuzeit miteinander auskommen mußten. Es waren dies die Magyaren selbst, die ungarische Subethnie der Szekler, die Sachsen genannten hospites auf dem sogenannten Königsboden und die Rumänen (bis in die Neuzeit hinein wurden sie Walachen genannt). Kumanische, petschenegische und andere Restgruppen wurden frühzeitig absorbiert. Die Sachsen und Szekler siedelten überwiegend in ihrer jeweiligen Entität und erfreuten sich einer sehr weitgehenden Autonomie. Die Ungarn lebten verstreut auf Adelsboden im ganzen Land. Die Walachen siedelten entweder ebenfalls auf Adelsboden oder in ethnisch geschlossenen Distrikten, die zum Teil Lehen der walachischen Fürsten waren. Über die jeweiligen Kopfstärken geben die Quellen keine genauen Auskünfte, man kann jedoch davon ausgehen, daß die Rumänen zu Beginn des 18. Jahrhundert bereits die Mehrheit der Bevölkerung ausmachten. Der ungarische Adel, die Szekler und die Sachsen formierten sich in zähem Ringen in einer paritätisch zusammengesetzten Ständeversammlung, dem Landtag, der vor allem in der Zeit des selbstständigen Fürstentums Siebenbürgen die Geschicke des Landes maßgeblich bestimmte. Den Rumänen war es nicht gelungen, einen eigenen Stand zu entwickeln und sie blieben daher bis in die Neuzeit rechtlos. Trotz des engen Zusammenlebens der Ethnien ist es zu ethnisch bedingten Auseinandersetzungen kaum gekommen. Überlieferte Konflikte und Auseinandersetzungen war meist rechtlicher Natur (Streit um Gemarkungsgrenzen, Abgabenregelungen u.ä.). Die großen ethnischen bzw. nationalen Auseinandersetzungen kamen erst mit dem allmählichen Zerfall der Ständegesellschaft und dem modernen Nationalstaatsgedanken auf und wurden infolge des aggressiven ungarischen Nationalismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in aller Härte ausgetragen. Dennoch hat im alltäglichen Zusammenleben ein friedlicher, von gegenseitigem Respekt gekenntzeichneter modus vivendi bis in den neuen Staatsverband Rumänien hinein überlebt, der sich von ähnlichen ethnischen Mischgebieten Südosteuropas positiv abhebt. Ein allerdings ungelöstes Problem stellen die auf schätzungsweise 2 – 2,5 Millionen angewachsenen Zigeuner dar, die von den traditionellen Ethnien als Fremdkörper wahrgenommen werden. Diese Form des Zusammenlebens hat ihre Wurzeln wohl ebensowenig in einer höheren Einsicht in Humanität und Toleranz modernen Zuschnitts wie die religiöse Duldsamkeit, sondern eher im ausgeprägten Pragmatismus dieser Völker und in ihrer kollektiven Erfahrung vergangener äußerst kriegerischer Zeiten, in denen man aufeinander angewiesen war.

Religionspolitik der Habsburger

Die traditionelle Politik der religiösen Duldung wurde in Frage gestellt, als nach 1691mit der Umwandlung Siebenbürgens in ein österreichisches Kronland eine aggressive Phase der Gegenreformation einsetzte. Sofort nach der Inbesitznahme Siebenbürgens betrieb die Wiener Obrigkeit mit äußerster Energie die vollständige Wiederherstellung und Ausbreitung der katholischen Kirche. Das Bistum in Karlsburg wurde wieder errichtet und sehr reich mit Stiftungen bedacht. Die evangelischen ständischen Behörden wurden unter dem Druck der Militärbesatzung gezwungen, Kirchen und Schulgebäude an die Katholiken abzutreten. Ein Austritt oder Wiederaustritt aus der katholischen Kirche wurde als Abfall bzw. Apostasie unter staatliche Strafe gestellt. Bei der Ämterbesetzung wurden Katholiken unter massiver Druckanwendung bevorzugt, was jedoch nur bei einem Teil des karrierebewußten ungarischen Adel zu dem erhofften Proselytentum führte. Die Masse der Bevölkerung blieb den reformatorischen Bekenntnissen treu. Daher behalf sich die Obrigkeit für die vielfältigen Verwaltungsaufgaben in großem Stil mit dem „Import“ katholischen Personals. Auf der anderen Seite entschloß sie sich aber auch, hartnäckige evangelische Christen aus ihren anderen Erbländern (Oberösterreich, dem Salzburgischen und Kärnten) unter zum Teil drastischen Umständen nach Siebenbürgen zu deportieren (die Kinder wurden zum Teil einbehalten und in katholische Obhut gegeben). Sie ließ es auch zu, daß sich eine größere Anzahl evangelischer Baden-Durlacher und Hanauer in sächsischen Ortschaften niederließen. Ich selbst habe auch oberösterreichische (Landler) und Durlacher Vorfahren.

Größere Erfolge hatte die Gegenreformation bei den orthodoxen Rumänen, die mittlerweile die Mehrheit der Bevölkerung ausmachten. Nach mehrfachen Verhandlungen kam es schließlich zu einer Einigung: Den unionswilligen orthodoxen Geistlichen wurde die Beibehaltung des orthodoxen Ritus zugestanden; diese wiederum machten dogmatische Zugeständnisse und verpflichteten sich zur Anerkennung des Papstes als Oberhaupt, zur Anerkennung der Austeilung des Abendmahles mit ungesäuertem Brot, der Anerkennung des Fegefeuers und zur Anerkennung des Glaubenssatzes, das der heilige Geist vom Vater und vom Sohne ausgeht. Die habsburgische Regierung erhoffte sich durch diesem Kompromiß die Ausweitung des katholischen Einflusses und die Rumänen erhofften sich eine Verbesserung ihrer unterpriviligierten Lage. In der Tat wurden den Unierten eine Reihe von materiellen und bildungspolitischen Vorteilen verschafft, die ihnen größere Entfaltungsmöglichkeiten eröffneten, als es ohne die Union der Fall gewesen wäre. Aus ihren Reihen ging dann auch die berühmte „Siebenbürgische Schule“ (scoala ardeleana) hervor und es entstand eine beachtliche rumänische Geisteselite, die im späteren rumänischen Emanzipationsprozess noch eine herausragende Rolle spielen sollte. Allerdings schlossen sich nur ein Teil der Rumänen der Union an, sodaß das Rumänentum fortan in zwei Konfessionen gespalten war: die traditionelle rumänische orthodoxe Kirche und die neue unierte bzw. griechisch-katolische Kirche. Die griechisch-katolische Kirche hat unterdessen ihre ehemals herausragende Position weitgehend eingebüßt. Sie wurde nämlich 1948 verboten, ihre Würdenträger wurden fast sämtliche verhaftet, die Gläubigen mußten unter Zwang zur orthodoxen Kirche konvertieren, der auch das gesamte Vermögen zufiel. Nach ihrer Wiederzulassung im Jahre 1990 fand nur ein Teil ihrer ehemaligen Mitglieder zu ihr zurück und die orthodoxe Kirche hintertreibt, wohl auch mit staatlicher Unterstützung, die Rückerstattung der Gotteshäuser und des ehemals beträchtlichen Vermögens der Unierten. Mit Ausnahme dieses Tatbestandes hat sich an dem ethnischen und religiösen Panorama in Siebenbürgen bis heute kaum etwas geändert.

Schlußbemerkung

Es wäre unrealistisch anzunehmen, daß es in Siebenbürgen überhaupt keine ethnischen und religiösen Spannungen gäbe. Sie halten sich jedoch verglichen mit benachbarten Regionen in erstaunlich engen Grenzen. Wenn überhaupt, dann kommt es nur zwischen der rumänischen Mehrheitsbevölkerung und der verhältnismäßig großen ungarischen Minderheit in den Mischgebieten oder an den Siedlungsgrenzen zu Reibereien, die in der Regel aber auf ideologische Propaganda zurückzuführen sind und im alltäglichen engeren Zusammenleben kaum eine Rolle spielen. Siebenbürgen ist in der Tat ein Landstrich, in dem durch eine eigentümliche Schicksalsgemeinschaft drei Völker (Rumänen, Ungarn und Sachsen) und sechs Konfessionen (Orthodoxe, Griechisch-katholische, Katholiken, Kalvinisten, Lutheraner und Unitarier), wenn auch mit temporären Unterbrechungen, einvernehmlich miteinander bis heute koexistert haben. Insofern kann man von einem „Modell“ des Miteinanders sprechen, das von einem ausgeprägten Pragmatismus im täglichen Zusammenleben der Menschen zeugt. Lediglich die Zigeuner, also die Ethnie der Roma, ist zum großen Teil ausgegrenzt, ein Umstand, der dem Land noch große Anstrengungen abverlangen wird, bis es zu einer Lösung kommt.