1921, Jahr der Entscheidungen in Rumänien

Dieser Text geht auf einen Vortrag zurück, den der Autor anläßlich der Deutschen Kulturtage 2021 in Schäßburg gehalten hat.

1921, ein Jahr der Entscheidungen in Rumänien

1. Einleitung

Spätestens im Juni 1920 mit dem Abschluss des Vertrags von Trianon waren alle vertraglichen Regelungen zur Schaffung eines erheblich vergrößerten Rumäniens, im Sprachgebrauch euphorisch „Großrumänien“ genannt, zum Abschluss gebracht worden. Dem sogenannten „Altreich“, also dem Königreich Rumänien zu Beginn des 1. Weltkrieges, waren Bessarabien, die Bukowina, die Süddobrudscha, das historische Siebenbürgen, das Sathmarer Gebiet, das Kreischgebiet, die Maramuresch und das östliche Banat angegliedert worden. Das große Ziel, alle Rumänen zu vereinen, war so gut wie erreicht. Außerhalb des Staatsgebietes blieben Angehörige des rumänischen Volkes nur noch in Jugoslawien, nämlich im westlichen Teil des Banats mit einem dortigen Bevölkerungsanteil von 10%. Andererseits war kein geschlossener Nationalstaat entstanden, weil in beträchtlichem Maße eine nichtrumänische Bevölkerung mit übernommen wurde, die noch Probleme bereiten sollte. Rumänien war nun aber ein Land geworden, dessen Territorium und dessen Bevölkerung sich mehr als verdoppelt hatten, und es galt als „saturiert“.

Die Freude, die das Rumänentum darüber erfasste, dass es jetzt gemeinsam in einem Staat leben konnte, verdeckte nur unzureichend die erheblichen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme, die nun bewältigt werden mussten. Die hinzugewonnen Gebiete waren nicht nur historisch sehr unterschiedlich gewachsen und infolge dessen sehr heterogen, sondern standen wirtschaftlich, sozial und kulturell auch auf sehr unterschiedlichen Stufen. Umso schwieriger wurde ihre Integrierung, als die Bukarester Führung sich bei der Neugestaltung des Staates am französischen Modell eines rigorosen Zentralismus orientierte. Seine Durchsetzung führte vielerorts zu großer Unzufriedenheit und zu erheblichen Spannungen.

Zwei Problemfelder bedurften darüberhinaus einer vordringlichen und möglichst sofortigen Bewältigung:

  1. die längst überfällige Lösung der „Bauernfrage“ (chestia taraneasca)
  2. Absicherung gegenüber eventuellen Revisionsbestrebungen der Verliererstaaten, die die neu hinzugewonnenen Gebiete hatten abtreten müssen.

Beide Probleme erfuhren 1921 eine weitgehende Behandlung, wenn auch nicht eine abschließende und voll befriedigende Lösung.

2. Die Bodenreform von 1921

2.1. Allgemeines

In der Literatur wird das Gesetzeswerk zur Landwirtschaft vom Jahre 1921 in der Regel als Agrarreform bezeichnet. Dieser allgemeine Begriff trifft aber nicht den tatsächlichen Tatbestand und die dahintersteckende Absicht der Gesetzgeber. Es handelte sich nämlich vielmehr um eine Landreform bzw. Bodenbesitzreform in großem Ausmaß. Alleiniges Ziel war es, die Masse der verarmten Bauern mit ausreichend großem Landbesitz zu versorgen, um sie in die Lage zu versetzen, sich selbst zu ernähren. Großzügige Änderungen in den landwirtschaftlichen Produktionstechniken und -methoden bzw. Vermarktungsmechanismen waren nicht Gegenstand der Gesetzgebung.

2.2. Die Bauernfrage, ein politischer „Dauerbrenner“ in Rumänien

Die Bauernfrage in Rumänien ist so alt wie der Staat selbst. Als Alexandru Ion Cuza im Januar 1859 in beiden Donaufürstentümern, also Moldau und Walachei, zum Fürsten gewählt wurde, und wodurch der Staat Rumänien seinen Anfang nahm, trat er an die Spitze eines infolge seiner spezifischen Geschichte äußerst rückständigen Landes. Der französisch geprägte und aufgeklärte Offizier Cuza war beseelt von den Idealen der französischen Revolution und hatte sich auch an den Wirren des Jahres 1848 beteiligt. Am augenfälligsten war für ihn die extrem missliche Lage der Bauern, die die überwältigende Bevölkerungsmehrheit des Landes ausmachten. Mit einem ungezügelten Ehrgeiz machte er sich sofort daran, auf allen Gebieten Reformen in die Wege zu leiten mit dem Ziel, das Land binnen kürzester Zeit zu modernisieren. Bei dem Vorhaben, die Bauernfrage zu lösen, stieß er, wie zu erwarten war, auf den erbittertsten Widerstand der äußerst konservativen Führungsschicht. Während der Debatten um die Lösung der Bauernfrage bildeten sich im übrigen die politischen Parteien, die dann die Geschicke des Landes bis in die Zeit nach dem 1. Weltkrieg bestimmten: Die Liberale Partei, die überwiegend von dem aufgeklärten Bürgertum getragen wurde und die Konservative Partei, die die großen Grundbesitzer repräsentierte. Um eine Lösung der Bauernfrage zu erzwingen, löste er am 2. Mai 1864 in einem Staatsstreich das Parlament auf und ließ sich per Volksabstimmung das alleinige Recht, Gesetze einzubringen, verleihen. Sein loyaler Mitarbeiter Mihai Kogalniceanu brachte dann auch problemlos ein umfangreiches Agrargesetz durch. Die Regelungen stellten insofern einen Fortschritt dar, als sie die Bauern von den bisher erzwungenen Arbeitsleistungen und von sonstigen Zwangsabgaben befreite und sie zu freien Eigentümern machte. Etwa 500.000 Bauern erhielten ein Stück Land. Doch wie sich bald zeigte, reichten die zugeteilten Flächen vielfach nicht einmal für das Existenzminimum aus. Die Folge waren Verschuldungen sowie die Notwendigkeit, Felder hinzu zu pachten oder schlecht entlohnte Dienstleistungen für Grundeigentümer zu erbringen. Im Lauf der Jahre verarmte das Gros der Bauern weiter, und ihre Lage blieb nach wie vor das gravierende Problem Rumäniens.

Es kamen auch nach dem Sturz von Cuza im Jahre 1866 (Sein Nachfolger wurde bekanntlich Fürst Karl von Hohenzollern-Sigmaringen.) in kurzen Abständen immer wieder landwirtschaftliche Gesetze zustande, die allerdings keine befriedigende Lösung dieser eminent wichtigen Frage erreichen konnten.. In den Jahren, die dem großen Bauernaufstand von 1907 vorausgingen, war wieder ein Höhepunkt der Auseinandersetzung um die Bauernfrage zu erkennen. Hauptsächlich innerhalb der Liberalen Partei nahmen sich immer mehr Politiker dieser Fragen an. Aber auch in konservativen Kreisen und solchen, die außerhalb der beiden großen Parteien standen, spielte sie wieder eine bedeutendere Rolle. Ihre damals aktuelle Bedeutung beschreibt in Jahre 1906 Vasile M. Kogalniceanu, der Sohn des Bauernbefreiers von 1864 Mihai Kogalniceanu: „In letzter Zeit … hat die Bauernfrage wieder begonnen, die Gemüter zu beschäftigen; das Interesse für diese große Frage beginnt sich mächtig zu manifestieren und die aufgeklärten Meinungen unseres Landes sind überzeugt davon, daß die Lage der Dinge im Bezug auf die Bauernschaft nicht auf einen gesunden, festen Fundament ruht“. Allgemein wurde die Bedeutung der Bauernfrage gespürt. G. Ionescu- Sisesti schrieb 1916: „Nach 1900 waren Gewitterwolken zu erkennen. Männer mit Bildung, die verstanden, daß das Land nicht nur uns allein gehört, sondern auch den unfertigen Generationen, die nach uns kommen werden, fühlten, daß die Luft schwer war und der Leidenskelch umherging“. Über die Bedeutung der Bauernfrage waren sich in der Tat auch alle Politiker einig. In der Auseinandersetzung ging es deshalb auch nur um die Methode ihrer Lösung.

Da die Konservativen in starkem Maße den rumänischen Großgrundbesitz repräsentierten, waren sie natürlicherweise auch versucht, den Großgrundbesitz möglichst zu erhalten und konnten an einer Umstrukturierung der landwirtschaftlichen Besitzverhältnisse nicht interessiert sein. Es wurde innerhalb der beiden konservativen Gruppierungen viel geschrieben und gesprochen, und alle waren sich darin einig, daß man den Großgrundbesitz so erhalten müsse, wie er im Augenblick war. Als Zusammenfassung aller konservativen Meinungen zur Bauernfrage kann eine Parlamentsrede des Junimisten (Die Junimisten waren ein Parteiflügel unter Führung des großen Staatsmannes Petru Carp, der aus einem stark germanophilen literarischen Zusammenschluß hervorgegangen war. Zu den Junimisten zählten bedeutende Dichter und Literaten wie Mihai Eminescu, Vasile Alexandri, Barbu Delavrancea und Titu Maiorescu.) N. Filipescu gelten, die 1907 auch als Broschüre in den Handel kam. Sein programmatischer Standpunkt lautete: „Wir Konservative wollen eine möglichst aktive Intervention des Staates bezüglich der Produktion … Was die Umverteilung anbelangt, so wollen wir lieber den Arbeitern unsere Hilfe geben, damit ihnen eine möglichst große Gerechtigkeit widerfährt, bei den Verträgen zwischen den zwei Produktionsfaktoren, aber nur soweit, daß die Energie des einzelnen nicht nachläßt . . . Sie (die Liberalen) haben eine andere Konzeption. In der Frage der Produktion intervenieren sie nicht, tun sie nichts. Was aber die Umverteilung anbelangt, geben sie sich einer Operation von extremer Vereinfachung hin, die darin besteht, daß man dem einen nimmt, und dem anderen gibt, ganz gleich ob es sich lohnt oder nicht“. Seine These war, daß genügend Verdienstmöglichkeiten bestünden und die Bauern sie nur nicht ausnutzten. Die einzige Lösung bestehe in der beruflichen und kulturellen Erziehung der Bauern, eine These, die alle Konservativen von Petru Carp übernommen hatten.

Ganz anders waren viele Auffassungen im liberalen Lager. Seit der Jahrhundertwende begann eine Reihe von liberalen Historikern und Politikern, sich in verstärktem Maße der Bauernfrage anzunehmen, und zwar nicht vom alleinigen Standpunkt des Großgrundbesitzers aus wie die Konservativen, sondern sie gingen daran, die wirtschaftliche und soziale Lage der Bauernschaft gründlich zu analysieren und weitgehende Modelle zur Lösung der Bauernfrage zu entwickeln. Besonders engagiert waren Radu Rosetti, G. D. Scraba, G. D. Creanga, Spiru Haret und Vasile M. Kogalniceanu. Radu Rosetti, der eines seiner Bücher unter dem Eindruck der Aufstände kurzfristig in „Pentru ce s’au rasculat taranii“ (Warum haben sich die Bauern erhoben?) umbenannt hatte, wies in seiner Schlußfolgerung auf die Brisanz und fundamentale Bedeutung der Bauernfrage hin: „Sind wir im Recht, wenn wir folgern, daß, wenn sich im augenblicklichen Stand der Dinge keine Änderung vollzieht, die Zeit nicht weit ist, in der der Bauer sich mit einem Zehntel begnügen muß und der Herr die übrigen neun Zehntel für sich in Anspruch nimmt . . . ? Wundern wir uns noch, daß er unzufrieden ist, daß seine Unzufriedenheit im Laufe der Jahre zu kochen beginnt? Wessen Schuld ist es, wenn diejenigen, deren Pflicht es ist, Obacht zu geben, die Augen schließen, damit sie nicht sehen, wie es kocht, und sich einbilden, das Überlaufen der Unzufriedenheit zu verhindern, wenn sie den Deckel festhalten? Haben sie nicht daran gedacht, daß die siedende Unzufriedenheit das ganze Gefäß in Stücke reißen kann“? Sehr prophetische Worte!

2.3. Der Bauernaufstand vom Frühjahr 1907 und seine Folgen

Die äußerst beklagenswerte Lage der Bauern erfuhr eine Verschärfung durch ein Phänomen, das es in anderen Ländern der Region so nicht gab: Das Zwischenpächtertum.
Die meisten landbesitzenden Bojaren, die sich überwiegend in der Hauptstadt oder im Ausland (bevorzugte Aufenthaltsorte waren Paris oder Monte Carlo) aufhielten, verpachteten ihren Grundbesitz exklusiv an Pachtunternehmer, die in der Regel das Land en gros oder parzelliert an Unterpächter weitergaben, und die nun ihrerseits Pachtverträge mit Unterunterpächtern oder direkt mit den Bauern abschlossen. Auf allen Ebenen dieser Pachtgeflechte wurden auf Kosten der Bauern hohe Gewinne erzielt. Im Verlauf der Jahre entstanden monopolartige Pächtertrust, die den Bauern immer höhere Verpflichtungen aufzwangen und die weitere Verarmung der Landbevölkerung massiv vorantrieben. Diese Pächtertrusts setzten sich speziell in der Moldau überwiegend aus jüdischen Familien aus der Bukowina zusammen (Fischer, Costiner, Juster waren die bekanntesten Namen), die über riesige Landflächen verfügten. Allein die Familie Fischer hatte in den Bezirken Dorohoi, Botosani und Iasi über 100.000 Hektar unter Kontrolle. Sie verwalteten aber nicht nur Privatländereien, sondern auch Staatsgüter und Besitzungen von Versicherungen und Stiftungen. Der Publizist Nicolae Iorga nannte diese Gebiete sarkastisch „Fischerland“. Es ist also nicht

verwunderlich, dass es Agitatoren, wie es damals auch Iorga war, leicht fiel, in der Bauernschaft, die ohnehin gegenüber allen Fremden Mißtrauen entgegenbrachte, einen aggressiven Antisemitismus zu schüren. Es ist auch nicht verwunderlich, dass im Februar 1907 die blutigste Bauernrevolte der Neuzeit in Europa ihren Ausgang auf den von Marcu Fischer in Pacht gehaltenen Gütern im Bezirk Botosani nahm. Und es ist schließlich auch nicht verwunderlich, dass die plündernden und mordenden Bauernbanden anfänglich den Eindruck hinterließen, es handele sich um ein ausgedehntes Judenpogrom, wie es in Russland häufiger vorkam. Leidtragende waren Tausende von Juden in den Kleinstädten und Marktflecken, die häufig selbst in großer Armut lebten und jetzt ihr kärgliches Hab und Gut verloren, sofern ihnen nicht rechtzeitig die Flucht in die größeren Städte oder in die Bukowina gelang. Etliche Hundert kamen dabei sogar ums Leben.

Je weiter sich die Revolte nach Süden ausdehnte, wo der jüdische Bevölkerungsanteil immer geringer wurde, umso mehr nahm das Plündern und Morden anarchischen und unübersichtlichen Charakter an. Die Situation spitzte sich dramatisch zu und es wurde immer klarer, dass die von den Konservativen geführte Regierung nicht mehr Herr der Lage war. Wie ernst die Lage war, zeigten auch öffentliche Überlegungen der österreichisch-ungarischen Regierung, militärisch einzugreifen und das Land von außen her zu befrieden. Um dem zuvorzukommen entließ der König die Regierung und ernannte den Liberalen D.A.Sturdza zum Regierungschef mit dem klaren Auftrag, die Bauernerhebung mit allen erforderlichen Mitteln niederzuschlagen. Diese Aufgabe oblag nun nicht mehr den überforderten Polizeikräften sondern dem neuen Kriegsminister Alexandru Averescu und der Armee. Averescu ergriff auch sofort energische Maßnahmen und ging sogar mit schwerer Artillerie gegen die Bauern vor. Ohne Rücksicht auf Tausende von Opfern kartätschte er binnen weniger Tage die Bauernbanden zusammen und stellte so die Ruhe wieder her. Seither hing ihm der Ruf des Bauernschlächters an, und es gehört zu der Ironie der Geschichte, dass es 1921 ausgerechnet ihm als Ministerpräsidenten oblag, die längst fällige Bodenreform durchzuführen. Die blutigen Ereignisse während des Aufstandes und sein tragisches Ende hinterließen in der rumänischen Öffentlichkeit eine tiefe Betroffenheit und sind im kollektiven Gedächtnis bis heute präsent.
Unmittelbar nach der Niederschlagung des Aufstandes wurden in aller Hast die dringlichsten Gesetze zur Entspannung der Lage verabschiedet, die jedoch von Anfang an als Provisorium verstanden wurden. Eine umfangreiche Agrargesetzgebung wurde auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Diese vorläufigen Gesetze waren folgende:

  1. Gesetz zur Regelung der landwirtschaftlichen Kontrakte
  2. Gesetz zur Schaffung einer Agrarbank
  3. Gesetz zur Einschränkung der Trusts

2.4. Gesetzliche Regelungen der Bodenreform von 1921

Die drei nach der Niederschlagung des Bauernaufstandes von 1907 erlassenen Gesetze kamen trotz der großen Betroffenheit, die der Aufstand verursacht hatte, nicht gleich zur Anwendung, sondern wurden wie vieles in der rumänischen Geschichte verschleppt. Die Balkankriege und der 1. Weltkrieg ließen dann natürlich die Bauernfrage zusätzlich verblassen. Erst in der größten militärischen Not erinnerte sich König Ferdinand daran, daß seine Soldaten in ihrer überwältigenden Mehrheit Bauernsöhne waren, und kündigte zu ihrer Aufmunterung und Stärkung ihrer Kampfkraft in zwei Reden am 5. und 6. April 1917 eine umfassende Agrarreform an: „Bauernsöhne…….Land wird euch gegeben“. Damit war die Bauernfrage wieder auf der Tagesordnung, und es wurde ein Versprechen abgegeben, das Ferdinand nach dem für Rumänien glücklichen Kriegsausgang nun auch einhalten mußte.

In der Tat trat Rumänien nach der vertraglichen Absicherung „Großrumäniens“ durch die Pariser Verträge in sozialpolitischer Hinsicht mit einem Paukenschlag an, mit einer umfassenden Bodenreform.
Durch die schon lange zurückliegende Reform unter Fürst Cuza 1864 hatten die Bauern in der Walachei und der Moldau eigenes Land bekommen, das aber für den Lebensunterhalt nicht ausreichte. Der große Aufstand 1907 hatte drastisch vor Augen geführt, daß Änderungen unumgänglich waren. Diese waren um so dringender, als drei Viertel der Bevölkerung von diesen Schwierigkeiten betroffen waren; so hoch war der Anteil derjenigen an der Gesamtbevölkerung, die auf dem Land und vom Land lebten. Von ihnen verfügten sogar 77% nur über kleine und kleinste Flächen (unter 5 ha). Die Lage vieler Kleinbauern wurde verschärft durch den Geburtenüberschuss sowie durch die geringe Ertragskraft ihrer ohnehin kleinen Flächen. Pachtung von zusätzlichen Feldern, deren Pachtkosten dann doch nicht erwirtschaftet werden konnten, sowie Verschuldungen aus anderen Gründen waren die Folgen. Ein ähnlich ungünstiges Bild bot sich in den neuen Gebieten. Ausnahmen waren lediglich Siebenbürgen und das Banat. Hier bestand zwar ebenfalls ein ausgedehnter Großgrundbesitz, aber er war durch ein solides Mittelbauerntum aufgelockert. Zu letzterem gehörten die Siebenbürger Sachsen, die Szekler und die Banater Schwaben, die seit Jahrhunderten eigenen Grund und Boden besessen hatten.

Nachdem König Ferdinand I. im April 1917 die Agrarreform verkündet hatte, trieb Bessarabien, das sich auf dem Weg zum Anschluß an Rumänien befand, die Entwicklung voran. Dort war es im Sommer 1917 zu spontanen Landesbesetzungen gekommen; Bauern hatten Güter des abgedankten Zaren, abwesender Grundeigentümer und sonstige Landflächen an sich genommen. Der ab November 1917 als Landesparlament amtierende Sfat Tarii (Landesrat) stellte sich hinter diese Entwicklung und machte sie, neben einer Autonomie des Landes, zur Bedingung für den Anschluß an Rumänien. Weil der administrative Zusammenschluss der verschiedenen Gebiete noch im Gange war, das Projekt aber eilte, wurde es durch Einzelgesetze in Angriff genommen. Im Dezember 1918 ergingen für Bessarabien sowie für das Altreich solche Gesetze. 1919 folgte das siebenbürgische provisorische Landesgremium (Consiliul Dirigent) für Siebenbürgen. Die endgültigen Fassungen kamen 1920 und 1921, wiederum in getrennten Gesetzen, für die Süd-Dobrudscha jedoch erst 1924. Eine Regierung unter dem „Kriegshelden“ Averescu, der 1907 die Bauernerhebung zusammengeschlagen hatte, trug 1920 und 1921 die Verantwortung für die Durchführung der Agrargesetze. Interessenvertreter der Großgrundbesitzer hatten darauf gedrängt, das Verfahren zum Abschluss zu bringen, um noch radikalere Enteignungen zu verhindern.

Die Gesetze hatten zum Inhalt: vollständige Enteignung der Ländereien der Krone, der Ausländer, von „Absentisten“ (Personen, die ihr Land über längere Zeit hinweg verpachtet hatten) sowie von Körperschaften. Aller übrige Grundbesitz war ebenfalls zu enteignen, wobei 100 bis 500 ha (je nach Bodenqualität) verbleiben durften. Die Entschädigung übernahm der Staat durch langfristige Schuldverschreibungen. Von den Entschädigungen hatten diejenigen Bauern, die Land erhielten, die Hälfte zu übernehmen. Die Regelung hinsichtlich der Süd-Dobrudscha zog sich bis 1924 hinaus, weil hier Besonderheiten aus der türkischen Zeit zu überwinden waren. Es gab Eigentum (mülk) und Nutzung (müre), die jedoch nicht streng auseinandergehalten worden waren. Die Rechtslage war in Einzelprüfungen zu klären.

2.5. Die Bodenreform von 1921 und die Siebenbürger Sachsen.

Eines der Hauptprobleme dieses Reformwerkes war, dass die Landesteile sehr unterschiedliche Voraussetzungen mitbrachten und nicht einer einheitlichen Behandlung hätten unterworfen werden sollen. Nicht nur die Größenordnungen der Besitzverhältnisse waren sehr unterschiedlich, sondern auch die Eigentumsformen divergierten zum Teil gravierend. Die riesigen Latifundien, wie sie im Altreich vorzufinden waren, gab es in Siebenbürgen nicht. Andererseits gab es in Siebenbürgen viel Gemeinschaftsbesitz (Gemeindegrund, Hutweide usw.), was im Altreich nicht der Fall war. Ebenso hatte es das Pachtunwesen, das im Altreich zu den grotesken Verwerfungen geführt hatte, in Siebenbürgen nie gegeben. Auch die Produktivität der Böden und ihre landwirtschaftliche Nutzung war in den verschiedenen Landesteilen sehr unterschiedlich. Zwar hat man versucht, durch verschiedene regionsbezogene Gesetze diesen Tatbeständen Rechnung zu tragen, aber das Bedürfnis nach Nivelierung kennzeichnet letztendlich doch alle diese Gesetze. Ihre Durchführung wurde zudem durch unterschiedlich Auslegung und Korruption konterkariert. In großen Teilen des Altreiches wurde beispielsweise die Bemessung der zu enteignenden Flächen nach einzelnen Gütern und nicht nach Besitzern einer Gesamtfläche wie in Siebenbürgen berechnet. Eine praktische Erschwernis war auch die Tatsache, dass es in Siebenbürgen und dem Banat seit dem 19. Jahrhundert Katasterämter gab, die im Altreich komplett fehlten und dort deren Schaffung erst nach 1990 in Angriff genommen wurde. Bei der dort notwendigen Landvermessung waren der Korruption Tür und Tor geöffnet. Das galt auch für die Kategorie der „Absentisten“, d.h. für Eigentümer, die seit Jahrzehnten im Ausland lebten und sich um ihre Besitzungen nicht persönlich kümmerten.

In der subjektiven Wahrnehmung empfanden die Ungarn, Szekler, Sachsen und Schwaben dieses Reformwerk als nationale Benachteiligung und den Versuch der Rumänisierung ihrer Siedlungsgebiete. Natürlich waren die Profiteuere in erster Linie die rumänischen Bauern, da die Ungarn und Sachsen und Schwaben in der Regel ausreichend mit Land versorgt waren und eher Bodenflächen abtreten mußten als welche zuerkannt zu bekommen. Dass eine beabsichtigte „Rumänisierungspolitik“ nicht ganz aus der Luft gegriffen war, zeigte die Tatsache, dass freie Grundstücksflächen in den Städten, deren Bevölkerungscharakter stark ungarisch oder sächsisch geprägt war, mit Vorliebe an rumänische Beamte und Unternehmer vergeben wurden, und so die nationale Homogenität dieser Stadtteile durchbrochen wurde.

Schon in den Karlsburger Beschlüssen war eine umfassende Agrarreform proklamiert worden. Im Gegensatz zum rumänischen Altreich kamen in den früher zu Ungarn gehörigen Teilen Großrumäniens zu den sozialen auch nationale Gründe hinzu. Die Bestimmungen unterschieden sich deutlich voneinander.

Unter den Sachsen gab es nur wenige größere Grundeigentümer.
Deshalb waren die den sächsischen Privatpersonen enteigneten Flächen auch nicht sehr erheblich. Um so schlimmer erging es den sächsischen Körperschaften und Stiftungen. Die Nationsuniversität verlor mit einem Schlag ihren großen Grundbesitz, vor allem die vorbildlich bewirtschafteten Siebenrichter-Waldungen. Die Kirchengemeinden durften höchstens 32 Kat.-Joch (18,4 ha) behalten. Damit verlor die evangelische Kirche 55 % ihres Landbesitzes, aus dessen Erträgen sie ja bisher das deutschsprachige Schulwesen finanziert hatte. Auch die sächsischen Gemeinden wurden hart betroffen. In den Dörfern des früheren Königsbodens machte die Gemeinerde (Allmende), die ihrem Wesen nach nicht Gemeinde-, sondern Gemeindegliedervermögen darstellte – aber bei der Agrarreform nicht so behandelt wurde -, im Durchschnitt bis zur Hälfte der Gesamtgemarkung aus. Sie war ein wichtiger Teil der Ertragsbasis der Kleinbetriebe. Auch davon wurden große Flächen enteignet. Die Gesamtdaten wurden zwar nicht veröffentlicht; wir wissen aber, daß z. B. die Gemeinden Großau, Heltau und Talmesch 57 % ihres Gemeinbesitzes verloren.

Mit der Enteignung des Gemeinschaftsbesitzes wurde nicht nur die wirtschaftliche Basis der bäuerlichen Kleinbetriebe geschmälert; es fehlten vor allem die Einnahmen zur Deckung der Ausgaben für das deutschsprachige Schulwesen. Deshalb mußten die Schul- und Kirchensteuern empfindlich angehoben werden; sie waren nun in der Regel höher als die direkten Steuern des Staates!
Den Gemeinschaftseinrichtungen der Siebenbürger Sachsen kamen auch weitere wichtige Einkünfte nicht mehr zugute. Vor allem jene der sächsischen Banken, die satzungsgemäß mindestens 10 % ihres Gewinns-in der Regel erheblich mehr-gemeinnützigen Einrichtungen spendeten. Durch einen ungünstigen Währungsumtausch, die Zeichnung hoher Staatsanleihen, die mit einem Schlag nur noch Altpapierwert hatten, und eine Inflation verloren sie ihre gesamten Reserven. Der nächste Schlag kam durch die Weltwirtschaftskrise mit ihren Zusammenbrüchen und späteren Umschuldungsaktionen. Durch diese Entwicklung hatten die sächsischen Banken trotz großer Fusionen nur noch einen Bruchteil ihrer früheren wirtschaftlichen Bedeutung.
Das wiederum wirkte sich auf die gesamte Wirtschaft der Siebenbürger Sachsen äußerst ungünstig aus; es kam zu einem chronischen Kapitalmangel bei schlechter Auftragslage. Die Situation verbesserte sich erst kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, vor allem durch einen deutsch- rumänischen Wirtschaftsvertrag.
Die sächsische Landwirtschaft hatte nicht nur die „Agrarreform“ mit ihren Unsicherheiten zu verkraften; auch die Kommassationen (Flurbereinigungen) wurden eingestellt. Die sächsischen Landwirte wurden von den Ausfuhrsperren bis zur Mitte der zwanziger Jahre, durch die sie von alten Märkten verdrängt wurden, am härtesten betroffen. Nach einer kurzen Erholungszeit brachen die Agrarpreise als Folge der Weltwirtschaftskrise zusammen. Geld war in den kleinbäuerlichen Betrieben so knapp, daß nur die allernötigsten Ersatzinvestitionen getätigt werden konnten und zum Beispiel Zucker ein Luxusartikel wurde. Die landwirtschaftliche Umschuldung kam vor allem Großbetrieben zugute, so daß sich die wirtschaftliche Lage der Kleinbetriebe erst ab 1939 besserte.

2. 6. Ergebnisse

Als Ergebnis der „Agrarreform“ gingen etwa 30% der Nutzungsfläche an Klein- und Kleinstbauern über, die ihren Grund und Boden vergrößern konnten. Damit war die Reform sozialpolitisch zunächst ein Erfolg. Die Landbevölkerung beruhigte sich. Dennoch wirkte das Resultat ernüchternd: 1938 hatten immer noch ca. 75% der Bauern weniger als 5 ha Land. Bessere Ergebnisse waren nicht erzielbar. Das Land reichte nicht aus, um allen einen Besitz von 5 ha als Existenzminimum zu ermöglichen. Ebensowenig war die Reform betriebs- und volkswirtschaftlich ein Erfolg. Rentabilität und Leistungsfähigkeit der Betriebe verbesserten sich nicht, und die Grundprobleme waren nicht aus der Welt geschafft, am wenigsten das der „landwirtschaftlichen Überbevölkerung“. Letzteres wäre nur durch neue Arbeitsplätze in anderen Wirtschaftszweigen zu lösen gewesen, die aber gab es nicht. Weil die weizenerzeugenden Großgüter verschwunden waren und die Kleinbauern auf dem hinzugewonnenen Land lieber den üblichen Mais anpflanzten und diesen überdies weitgehend selbst verbrauchten, sank auch die für den Export Rumäniens wichtige Weizenproduktion.

3. Absicherung „Großrumäniens“ nach außen

3.1. Allgemeines

Durch den für die Entente erfolgreichen Ausgang des Krieges und den Ausfall Russlands als machtpolitische Faktor nach der bolschewistischen Revolution konnte Rumänien trotz seiner militärischen Niederlagen alle nationalen Ziele erreichen. Das 1812 und erneut 1878 von der Moldau abgetrennte und von Russland annektierte Bessarabien wurde im Dezember 1918 an Rumänien angegliedert, nachdem der von den bessarabischen Ständen geplante Anschluß an eine demokratische russische Föderation durch die Oktoberrevolution überholt war.

Während der Erwerb Bessarabiens wirtschaftliche und strategische Bedeutung besaß, ging mit dem Gewinn ganz Siebenbürgens und eines Großteils des Banats die nationale Sehnsucht Rumäniens in Erfüllung. Obwohl in diesem Land starke deutsche und madjarische Volksteile siedelten, machten doch die Rumänen hier die Mehrheit der Bevölkerung aus. Bedenklich war, daß die rumänischen Gewinne über das eigentliche Siebenbürgen hinausgingen und auch einige Grenzgebiete mit überwiegend ungarischer Bevölkerung umfaßten. Das Verhältnis Großrumäniens zu dem auf sein Kerngebiet eingeschränkten Ungarn in den Grenzen von Trianon wurde so von vornherein über das Unvermeidliche hinaus belastet. Hinzu kam, daß auch das Eingreifen Rumäniens in die ungarischen Wirren zur Zeit Bela Khuns lange nachwirkte. Vom 4. August bis 13. November 1919 hatten rumänische Truppen Budapest besetzt, und erst im März 1920 war Ungarn völlig von den Rumänen geräumt worden.

Ein besonderes Problem stellte die Bukowina dar. Sie war seit 1775 österreichisches Kronland und wurde im nördlichen Teil vorwiegend von Ukrainern bewohnt. Die Gunst der Zeit ausnutzend, gelang es Rumänien 1918, das gesamte Gebiet zu gewinnen. Da Polen durch den Frieden von Riga 1921 weite Gebiete der Ukraine an sich zog und so eine breite gemeinsame Grenze mit dem verbündeten Rumänien gewann, trat die Problematik dieser Lösung bis 1939/ 40 (gemeint ist hier die territoriale Umgestaltung Osteuropas durch das Zusatzprotokoll des Molotow-Ribbentrop- Paktes) in den Hintergrund.

Die Beziehungen Rumäniens zu Bulgarien blieben infolge der territorialen Bestimmungen des Friedens von Neuilly gespannt. Hier hatten die Alliierten festgelegt, daß die Grenze des Bukarester Friedens von 1913 wiederherzustellen und somit die ganze Dobrudscha an Rumänien abzutreten sei, deren südlicher Teil bei starker Mischbevölkerung einen bulgarischen Kern aufwies.

Rumänien, durch diese Gebietserweiterungen zu einem saturierten Staat geworden, mußte seine Außenpolitik ganz darauf abstellen, seinen gewonnenen Besitz zu erhalten, seine Grenzen nach drei Seiten zu sichern.

3.2. Die Kleine Entente

In erster Linie ging es Rumänien darum, die Gebietserwerbungen nach dem Ersten Weltkrieg gegen die „revisionistischen“ Staaten, Ungarn und Bulgarien, abzusichern. Des weiteren sollte die Wiederentstehung (Restauration) der Habsburger Monarchie verhindert werden, die im Bereich des Möglichen lag, solange der letzte Kaiser von Österreich und König von Ungarn, Karl, noch am Leben war. Diese Ziele deckten sich mit denjenigen Jugoslawiens und der Tschechoslowakei.

Die Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien schlossen nun jeweils bilaterale, explizit gegen Ungarn gerichtete Defensiv-Verträge ab, die in ihrer Gesamtheit ein Bündnissystem bildeten, das unter dem – von einer ungarischen Zeitung geprägten und ursprünglich despektierlich gemeinten – Namen „Kleine Entente“ lief. Den Anfang machte die Tschechoslowakei durch einen Vertrag mit Jugoslawien (14. August 1920): „Für den Fall eines nichtprovozierten Angriffs Ungarns gegen einen der Hohen vertragschließenden Teile verpflichtet sich der andere Teil zur Verteidigung des angegriffenen Teils … beizutragen“ (Artikel 1). Es folgten ein etwa gleichlautender Vertrag mit Rumänien (23. April 1921) sowie ein solcher zwischen Rumänien und Jugoslawien (7.Juni 1921). Militärkonventionen legten die Zusammenarbeit auf militärischer Ebene fest. Die Außenminister der drei Staaten suchten auf regelmäßigen Konferenzen ihre Außen- und Wirtschafts- und Militärpolitik abzustimmen und Gemeinsamkeiten festzulegen.

Schon während ihrer Gründung musste die Kleine Entente ihre Entschlossenheit und Fähigkeit unter Beweis stellen, dass sie in der Lage sei, eine erneute Machteroberung der Habsburger in Ungarn zu verhindern. Zunächst kehrte Karl I. von Österreich am 26. März 1921 aus der Schweiz nach Ungarn zurück. Es gelang ihm zwar, den ungarischen Thron zurück zu erobern, jedoch der Reichsverweser Miklos Horthy versagte ihm aus welchen Gründen auch immer jegliche Unterstützung. So musste Karl am 1. April 1921 das Land schon wieder verlassen. Am 20. Oktober 1921 kehrte er jedoch nach Ungarn zurück und erneuerte seine Ansprüche. Die Situation wurde durch die Tatsache kompliziert, dass Karl es geschafft hatte, die Unterstützung eines bestimmten Teils der Armee zu gewinnen. Die Kleine Entente reagierte sofort unter der Leitung des tschechoslowakischen Präsidenten Benes. Die Mitgliedstaaten begannen, ihre Armeen zu mobilisieren, und die Gefahr eines militärischen Eingreifens drohte unmittelbar. Darüber hinaus sprachen sich auch andere europäische Mächte gegen Karls Wiederherstellungsversuche aus. Die ungarische Regierung ging nun energisch gegen Karls Anhänger vor und verhaftete ihn am 24. Oktober 1921. Als dann die ungarische Regierung aber dennoch zögerte, Karl seine Titel abzuerkennen, stand ein Einmarsch der verbündeten Truppen kurz bevor. Erst da entschloss sich die ungarische Regierung, ein Gesetz zu verabschieden, in dem es Karl sämtliche herrscherlichen Rechte entzog. Am 1. April 1922 verstarb Karl im Alter von 35 Jahren im portugiesischen Exil. Die „Kleine Entente hatte ihre erste Bewährungsprobe bestanden.

Ein größeres Projekt, das Rumänien unterstützt hatte, nämlich ein Bündnis von fünf Staaten unter Einbeziehung Polens und Griechenlands, ließ sich nicht verwirklichen. Ein Anfang war immerhin durch einen Defensivvertrag zwischen Rumänien und Polen gemacht, der am 3. März 1921 zustande gekommen war, noch bevor Rumänien der sich bildenden „Kleinen Entente“ beitrat. Polen war seinerseits seit 1921 mit Frankreich durch einen Bündnisvertrag liiert; die Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien unterzeichneten ihrerseits 1924 bis 1927 Verträge mit Frankreich. Damit genoss die „Kleine Entente“ Rückendeckung durch Frankreich und war an Frankreich angebunden; sie galt deshalb als „verlängerter Arm“ der französischen Politik im östlichen Europa. Frankreich seinerseits verstand dieses Bündnisgeflecht als „Cordon Sanitaire“ gegenüber der Sowjetunion und als östlichen Arm zur Einkreisung Deutschland.

Als sich Ungarn und Italien Anfang der 30er Jahre annäherten, verstärkte dies den Willen der „Kleinen Entente“ zu einer noch engeren Zusammenarbeit. In einem „Organisationspakt“ (16. Februar 1933) wurden ein „Ständiger Rat“ (der Außenminister), ein „Sekretariat des Ständigen Rates“ sowie ein „Wirtschaftsrat“ ins Leben gerufen. Der „Ständige Rat“ tagte von 1933 bis zuletzt im August 1938 jährlich mindestens einmal. Wenn Rumänien den Vorsitz innehatte, fanden die Tagungen in Sinaia statt. Ab 1929 waren auch jährliche Treffen der Generalstabschefs zur Regel geworden. 1931 trat eine einheitliches Militärabkommen in Kraft.

3. 3. Der Vertrag mit Polen und der Balkanpakt

Waren die Grenzen Rumäniens gegenüber Ungarn und Bulgarien durch die Friedensverträge von Trianon (4. Juni 1920) und Neuilly (27. November 1919) völkerrechtlich festgelegt, so war die rumänische Ostgrenze von der Sowjetunion nicht anerkannt und auch von den anderen Mächten nicht garantiert.

Den einzigen Schutz vor einer plötzlichen sowjetischen Aktion gegen Bessarabien bot das rumänisch-polnische Bündnis vom 3. März 1921. Seinem Wortlaut nach galt es zwar „contra omnes“(gegen alle), sein Militärabkommen legte aber nur eine gemeinsame Verteidigung beider Staaten im Falle eines sowjetischen Angriffs gegen einen Vertragspartner fest. Dieses Bündnis war bis zum Frühjahr 1939 der wichtigste Faktor der rumänischen Außenpolitik. Bis zu diesem Zeitpunkt traf die rumänische Regierung keine politische Entscheidung, ohne deren Auswirkung auf Polen in Betracht zu ziehen.

Polen war nämlich der einzige Staat, auf dessen Unterstützung Rumänien im Ernstfalle mit Sicherheit rechnen konnte, während der am 10. Juli 1926 abgeschlossene und 1936 verlängerte rumänisch-französische Freundschafts- und Nichtangriffsvertrag zwar der allgemeinen kulturellen und gefühlsmäßigen Zuneigung Rumäniens zu der größeren lateinischen Schwester entsprach, jedoch keinen konkreten Bündnisfall vorsah. Polen, das sich große Gebiete der Ukraine gesichert hatte und mit Rumänien eine gemeinsame Grenze besass, mußte zur Abwehr gegen eventuelle sowjetischen Revisionsversuche natürlich bestrebt sein, schlagkräftige Bündnispartner zu haben. Da bot sich selbstverständlich Rumänien mit seinem Bessarabien-Problem förmlich an. Das rumänisch- sowjetische und das polnisch-sowjetische Verhältnis war von Anfang an sehr getrübt, da die sowjetische Regierung nicht bereit war, den Anschluss Bessarabiens an Rumänien und den Anschluß der ukrainischen Gebiete an Polen anzuerkennen. Das führte schließlich auch dazu, dass die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zueinander erst 1934 erfolgte. Die Sowjetunion erhielt den völkerrechtlichen Rechtsanspruch auf Bessarabien auch dadurch aufrecht, dass sie am östlichen Ufer des Djestr eine fiktive Moldauische AASR gründete und geltend machte, das Hauptgebiet der Moldau (also Bessarabien) sei ihr in einer ihrer Schwächephasen widerrechtlich entrissen worden. Nach dem Abtreten Bessarabiens durch Rumänien infolge des Hitler-Stalin-Pakts vom August 1939 wurden diese beiden Gebiete auch konsequenterweise vereinigt und zur Moldauischen Sozialistischen Sowjetrepublik erhoben. Nach der Auflösung der Sowjetunion trennte sich der östliche Teil, also die ehemalige fiktive Moldauische AASR, vom Mutterland Moldawien und ist heute das völkerrechtlich nicht anerkannte, aber unter russischer Patronage stehende „Transnistrien“.

1934 erhielt die „Kleine Entente“ eine Ergänzung durch den „Balkanpakt“, zu dem sich am 4. Februar 1934 Jugoslawien, Rumänien, Griechenland und die Türkei zusammengefunden hatten. Er war als Antwort auf das Erstarken Deutschlands, Italiens und der Sowjetunion gedacht, richtete sich aber in erster Linie gegen Bulgarien. Die Unterzeichnerstaaten garantierten gegenseitig ihren Gebietsstand: „die Sicherheit aller ihrer Grenzen auf dem Balkan“ (die kleinasiatischen Grenzen der Türkei waren damit nicht eingeschlossen). Weiter hieß es im Text: „ … verpflichten sich, sich über die Maßnahmen zu verständigen, die im Fall von Eventualitäten zu unternehmen seien, die ihre Interessen verletzen könnten“ (Artikel 2). Der „Balkanpakt“ war durch Rumänien und Jugoslawien mit der „Kleinen Entente“ verbunden.

3.4. Ergebnisse

Im ganzen gesehen konnten die Grenzen Rumäniens als gesichert gelten, solange das seit 1919 bestehende politische Kräfteverhältnis in Südosteuropa nicht gestört wurde, d. h. Deutschland und Rußland nicht in der Lage waren, aktive Politik in diesem Raum zu betreiben.
Rumänien als territorial abgesättigtes Land, ohne Wünsche nach einer Gebietserweiterung, förderte daher so lange es ging neben seinen Bündnisvereinbarungen auch alle Bestrebungen, die auf internationaler Ebene zur Friedenssicherung, Kriegsächtung und Abrüstung liefen. Nicolae Titulescu, 1920-1936 ständiger Vertreter Rumäniens beim Völkerbund, 1930 und 1931 dessen Vorsitzender, 1927-1928 und 1932-1936 Außenminister, machte sich hierbei international einen Namen und verschaffte seinem Land allgemeine Achtung.

Das Wiederaufleben der deutschen Macht nach 1933 hatte den französischen Einfluss in den Ländern der Kleinen Entente allmählich untergraben und mit dem Münchner Abkommen vom 29. September1938, durch das die Tschechoslowakei mit Zustimmung Frankreichs gezwungen wurde, das überwiegend deutsch besiedelte Sudetenland an das Deutsche Reich abzutreten, machte alle bisherigen Sicherungsvereinbarungen zunichte. Die Kleine Entente und die anderen ostmitteleuropäischen Bündnisse wurden obsolet und hörten auf zu bestehen. Der Völkerbund hatte schon länger aufgehört, eine Rolle zu spielen. Es zeichneten sich neue Machtkonstellation und dramatische Ereignisse am Horizont ab, an deren Ende Rumänien für Jahrzehnte seine außenpolitische Souveränität verlor, aber auch Bessarabien, die Bukowina und die Süddobrudscha wieder einbüsste. Siebenbürgen, das Sathmarer Gebiet, das Kreischgebiet, das östliche Banat und die Maramures konnte es behaupten.

4. Schluß

Weitere für Rumänien wichtige Ereignisse des Jahres 1921, die in einem anderen Rahmen eine gesonderte Betrachtung verdienen, waren folgende:

  1. Am 25. Oktober 1921 wurde der letzte rumänische König Michael von Hohenzollern- Sigmaringen geboren, der am 23. August 1944 Rumänien aus dem Krieg führte und hinnehmen mußte, dass er Ende 1947 entthront wurde und ins Exil gehen mußte.
  2. 1921 hatte sich eine Gruppe von der Sozialdemokratischen Partei Rumäniens abgespalten, die sich 1922 den Namen Partidul Comunist Roman gab. Sie war zwar eine sehr kleine Gruppierung, gelangte aber nach dem 2. Weltkrieg mit Hilfe der Sowjetunion an die Macht und regierte das Land bis zum Staatsstreich vom Dezember 1989, wobei ihr Einfluss noch bis Anfang des 21. Jahrhundert spürbar war.

Schließlich sei noch daran erinnert, dass der große sächsische Staatsmann und Kunstmäzen Samuel Baron von Brukenthal am 26. Juli 1721 in Leschkirch (Nocrich) geboren wurde.