Die Handwerkerstadt Schäßburg im Rahmen der siebenbürgischen Städtentwicklung

 
Einleitung

Die sich allmählich formierenden Gesellschaften Ostmittel- und Südosteuropas, damit auch
des Königreichs Ungarn, waren rein agrarischer Natur und hatten durch die bäuerliche
deutsche Ostsiedlung bereits einen gewissen Fortschritt erzielt. Die Landesherren waren
jedoch in ihren Wirkungsmöglichkeiten durch die landbesitzende Adelsschicht erheblich
eingeschränkt. Insbesondere wegen der Abgabenfreiheit des Adels fehlte es den
Landesherren an Einnahmen. Um sich nun eine stabile Einnahmequelle zu schaffen und um
die landesspezifischen Produkte vermarkten zu können, waren sie an Städtegründungen
nach deutschen Vorbildern höchst interessiert. In raschem Tempo entstanden nun Städte, die
den gesamten ostmitteleuropäischen Raum wie ein Netz überzogen. In Böhmen, das
ohnehin zum Deutschen Reich gehörte setzte dieser Städtegründungsprozess am ehesten
ein, pflanzte sich fort in den polnischen Herzogtümern und weit darüber hinaus.

Städtegründungen in Siebenbürgen

Die Magyaren hatten frühzeitig erkannt – wie bereits der Staatsgründer Stephan der Heilige
seinen Sohn Emmerich in einem „Libellus de institutione morum“, einer Art Fürstenspiegel,
ermahnte -, dass einwandernde „Gäste verschiedene Sprachen und Sitten, verschiedene
Lehren und Waffen mit sich bringen, die alle Reiche und den königlichen Hof schmücken
und erhöhen, […] denn schwach und vergänglich ist ein Reich, in dem nur eine Sprache
gesprochen wird und einerlei Recht gilt“. Dementsprechend kamen seit der Regierungszeit
Stephans immer wieder deutsche Berater und kleinere mit Privilegien ausgestattete
Siedlergruppen ins Land. Der Höhepunkt wurde mit der Ansiedlung der Siebenbürger
Sachsen ab Mitte des 12. JH. erreicht. Hier waren die Siebenbürger Sachsen die Motoren
der Städtegründungen. In kurzer Zeit entstanden wichtige städtische Zentren wie
Hermannstadt, Kronstadt, Bistritz, Klausenburg u.a. Die Sachsen überschritten auch den
Karpatenbogen und gründeten beispielsweise Curtea de Arges, Langental, Piatra Neamt,
Cotnar bei Jasi und andere städtische Zentren in den rumänischen Fürstentümern.

Die meisten Städte Siebenbürgens und die bedeutendsten sind deutschen Ursprungs,
Hermannstadt, Kronstadt, Klausenburg, Schäßburg, Mediasch, Bistritz, Mühlbach, Broos,
Sächsisch-Reen, Thorenburg (Turda), Straßburg (Aiud), Deesch, Großsschlatten (Aprud),
Kleinschlatten (Zlagna), Offenburg (Baia de Aries), Altenberg (Baia de Cris), Rodenau
(Rodna). Die Szekler haben haben nur eine größere Stadt, Neumarkt (Maros-Vasarhely, Tg.
Mures) hervorgebracht. Andere Zentren wie Oderhellen (Odorhei), Szeklerburg (Miercurea
Ciuc) und St. Georgen (Sfantu Gheorghe) treten ebenso wie Fogarasch, Deva, Hatzeg und
Eisenmarkt (Hunedoara) viel später als Städte in die Geschichte ein. Weißenburg (später
Karlsburg, Alba Iulia) ist eine gezielte Gründung des Königs Ladislaus I. (1048-1095) als
politischer Mittelpunkt Siebenbürgens und Sitz des römisch-katholischen Bistums.
Elisabethstadt (Dumbraveni) und Gherla gehen auf Armenier zurück, die Ende des 17. Jh.
nach Siebenbürgen kamen. Die Rumänen waren aufgrund ihrer anders gearteten
Lebensführung keine städtebildende Ethnie.

Die Bergbau- und Salzabbausiedlungen wie Rodenau, Groß (Aprud)- und Kleinschlatten
(Zlagna), Straßburg (Aiud) und Deesch sind gezielt von Hospites (also überwiegend
deutschen herbeigerufenen Fachkräften) gegründet und zu Städten entwickelt worden. Sie
standen jedoch nur wenige Generationen in Blüte und verloren ihre städtische Bedeutung
gleichzeitig mit dem Niedergang ihres jeweiligen Hauptgewerbes (Bergbau und Salzabbau).
Interessanterweise stammt eines der frühesten deutschen Berg- und Stadtrechte, das man
überhaupt kennt, aus Rodenau (Rodna). Es ist dies die Rodenauer Handfeste, die dem Ort
Rodenau ab 1262 mit Einwilligung König Stephans V. von Graf Hans, den zwölf
Geschworenen der Stadt und der Gemeinde, „die das Recht gemacht haben“, verliehen
wurde. Die Stadt erlebte im 13. Jh. eine relativ kurze aber beeindruckende Blütezeit. Im
„Carmen miserabile“ des italienischen Mönches Rogerius von Apulien (1205-1266,
zeitweilig Bischof von Großwardeien) wird Rodenau als „Teutonicorum villa regis
argentifodina in qua morabatur innumera populi multitudo“ genannt, die sich 1241 als
einzige Stadt zumindest zeitweise erfolgreich gegen die Mongolen erwehren konnte und nur
durch List eingenommen wurde. Nach der Einnahme stellte der mongolische Feldherr
Cadan ein Kontingent von immerhin sechshundert ausgewählten Bewaffneten unter
Führung des Grafen Aristaldus zusammen, das ihn auf dem weiteren Feldzug begleiten
sollte. Nicht zu Unrecht wird darauf hingewiesen, dass die Ausstaffierung von sechshundert
Bewaffneten nach einer solch verheerenden Niederlage eine große Wirtschaftskraft
erforderte. Die Blüte der Stadt währte nicht lange. Um 1440 war sie bereits fast unbewohnt.
Ihr Niedergang wird mit den Folgen des zweiten Mongolenüberfalls 1284 begründet
beziehungsweise damit, dass die führenden Patrizierfamilien der Stadt nach den
Thronstreitigkeiten infolge des Aussterbens der Arpaden-Dynastie daran gehindert wurde,
die Bergbauarbeiten fortzuführen. Etliche Historiker gehen von einer massiven
Abwanderung der Bergarbeiter zu den aufblühenden Golderzlagerstätten in den
Westkarpaten aus. Später ging Rodenau in den Besitz der aufstrebenden Stadt Bistritz über,
die den Silberabbau in kleinerem Umfang wieder aufnahm, was neben ihrem umfangreichen
Warenaustausch mit der Moldau und Polen zu ihrem beträchtlichen Reichtum beitrug.

Siebenbürgisch-sächsische Städte

Die siebenbürgisch-sächsischen Städte sind, wie Thomas Nägler richtig formuliert, keine
reinen Kopien westeuropäischer Vorbilder. Sie haben eine Entwicklung durchlaufen,
wahrscheinlich von einer in der Hauptsache ländlichen Phase ausgehend, bis bei
fortschreitender Arbeitsteilung vor allem ab der zweiten Hälfte des 13. Jh. ein Überschuss
an Zunfterzeugnissen vorhanden war, der auch außerhalb des Siedlungsgebietes verkauft
werden konnte. Was einzelnen Siedlungen bei der Urbanisierung anderen Orten gegenüber
den Vorzug gab, entstand aus dem Zusammenwirkung verschiedener Ursachen. Sicher war
die Verteidigungsmöglichkeit eines Ortes ein wichtiger Faktor, denn schon hundert Jahre
nach der Einwanderung begannen die vernichtenden Stürme der Mongolen. Auch das Alter
der Siedlung konnte von Einfluss sein. Die älteste Siedlung in der Siedlergruppe nahm meist
eine Vorortstellung innerhalb derselben ein, war Mittelpunkt in kirchlichen und weltlichen
Dingen für diese Gruppe und besaß dadurch ein gewisses Übergewicht. Vom Alter einer
Siedlung war bis zu einem gewissen Grade auch die Stärke der Bevölkerung abhängig und
damit ein höheres Konsumbedürfnis, wodurch Gewerbe und Handel besonders angezogen
werden mussten. Gerade die ersten Siedlungen konnten auch als erste an eine Befestigung
gehen. Sehr wichtig war ferner die Verkehrslage. Im Fall des Wettstreits zweier Orte um die
Vorortschaft gab immer die Gunst der Verkehrslage den Ausschlag. So kämpften Birthälm
und Mediasch, Hermannstadt und Heltau sowie Schäßburg und Kaisd um den Vorrang. Den
letztendlichen Ausschlag gab in allen diesen Fallen, die günstigere Verkehrslage. Zu Beginn
der Entwicklung spielte nur die im Nahverkehr günstige Lage eine Rolle und erzeugte
Marktplätze für einen kleineren oder größeren Umkreis. Vom größeren Verkehr waren diese
Märkte unabhängig und konnten auch in entlegenen Gegenden entstehen. Erst im Verlauf
der Entwicklung gewinnt der Fernverkehr Einfluss auf die Marktsiedlungen, die gleichzeitig
eine gute geographische Lage haben, und lässt sie zu Städten heranwachsen. So vollzieht
sich allmählich ein Wandel des wirtschaftlichen Charakters. Gewerbe und Handel mit den
gewerblichen Erzeugnissen bürgern sich an bestimmten bevorzugten Orten ein, während die
Landwirtschaft hier stark in den Hintergrund tritt oder ganz verschwindet. Dieser
Umbildungsprozess erhält im 14. und 15. Jh. in gewissem Sinne einen Abschluss, indem die
Anjou-Könige, denen ein entwickeltes Städtewesen aus ihrer italienischen Heimat vertraut
war, und ihre Nachfolger diesen Orten nun auch Stadtrecht verliehen. Dagegen war die
Verleihung von Stadtrechten und Freiheiten, wo die geographischen Bedingungen fehlten,
nicht imstande, Städte nur auf dieser Grundlage hervorzubringen. Zahlreiche Orte, die
Stadtrechte erhielten, haben nie eigentlich städtischen Charakter angenommen, wie Winz,
Oberwinz und Burgberg. Es fehlten ihnen die Möglichkeiten einer gesunden Entfaltung.

Von den zahlreichen Schenkungen und Privilegien, die die ungarischen Könige den
Siebenbürger Sachsen verliehen, war der Goldene Freibrief von 1224 am wichtigsten.
Andreas II. Vereinigte damals mehrere Komitate zu einem einzigen, dem Hermannstädter
Komitat, das sich von Broos bis Draas erstreckte. Dieses war die größte, aber nicht
unbedingt die älteste von den Deutschen kolonisierte Enklave. Aus verschiedenen Artikeln
des Freibriefs ergibt sich, dass es sich nicht um ungarisches Recht handelte, sondern der
Urkunde deutsches Gewohnheitsrecht zugrunde lag. Die festgelegten Gesetze waren das
Ergebnis von Verhandlungen zwischen zwei Parteien, der Zentralmacht und den Vertretern
der Kolonisten, und enthielten auch Klauseln zugunsten des Königtums. Obwohl die
Provinz um 1300 wiederum in mehrere Stühle aufgeteilt wurde, blieb der Grundsatz, dass
alle ein einziges Volk (unus sit populus) bilden sollten, erhalten. Im Lauf des 14. Jh.
erhielten auch die Zwei Stühle (Mediasch und Marktschelken), die Distrikte Kronstadt und
Bistritz ähnliche Privilegien wie die Provinz Hermannstadt oder die Sieben Stühle (die
eigentlich acht waren: Broos, Mühlbach Reußmarkt, Hermannstadt, Leschkirch, Schenk,
Reps, Schäßburg). Mit der Zeit wurde Hermannstadt zum Sitz der Berufungsinstanz für alle
diese drei Gebiete; nur in ganz außergewöhnlichen Fällen gelangten einige Rechtssachen bis
vor den königlichen Gerichtshof. Dies galt im übrigen auch für die freie königliche Stadt
Klausenburg, die allerdings spätestens seit der Reformation eigene Wege ging. 1486
bestätigte Mathias Corvinus auf Ansuchen des Hermannstädter Bürgermeisters Tomas
Altemberger die Verfügungen des Freibriefs von 1224, mit einer Reihe von Ergänzungen
aus der Zwischenzeit, für den gesamten von den Sachsen verwalteten Königsboden. Seit
1487 und bis in die zweite Hälfte des 19. Jh. funktionierte die Einrichtung der Universitas
Saxonum, also der Nationsuniversität. Diesem Thomas Altemberger haben wir auch den
„Codex Altemberger“, ein Rechtsbuch, das Elemente des Sachsenspiegel, des Magdeburger
Stadtrechts und des Schwabenspiegel enthält, zu verdanken. Dirk Moldt hat in einer bemerkenswerten
Arbeit von 2009 nachgewiesen, dass die siebenbürgisch-sächsischen Städte ebenso wie auch
die auf deutsche Hospites zurückgehenden Städte in Ungarn selbst, insbesondere die Stadt
Ofen, auch Teile des Magdeburger Stadtrechts adaptiert haben, wenngleich große Teile ihrer
städtischen Rechtsordnung nach den regionalen und lokalen Erfordernissen gewachsen sind.

Die Marktlage in den im Aufbau befindlichen rumänischen Fürstentümer Moldau und
Walachei sowie in anderen europäischen Nachbarländern spielte dabei eine anregende
Rolle. Wem ist die Stadtwerdung in Siebenbürgen nun gutzuschreiben, dem Handel oder
dem Handwerk, das Handel erst ermöglicht? Sicher waren von Anfang an beide
Gesellschaftsschichten am Urbanisierungsprozess beteiligt. Allerdings deuten die Urkunden
darauf hin, dass der Antrieb des Handels überwog. Der Durchgangshandel mit Orientwaren,
die beispielsweise an den Donaumündungen von Genuesen oder Venezianern übernommen
werden konnten, setzte den Verkauf einheimischer Waren zwecks Kapitalbeschaffung
voraus. Der Zwischenhandel und der Handel mit der Walachei und der Moldau sind von
ausschlaggebender Bedeutung für den Urbanisierungsprozeß in Siebenbürgen gewesen.
Wertmäßig rangierten sie weit vor dem Binnenhandel, da der Warenbedarf der sächsischen,
ungarischen und rumänischen Bauern im Umland weitgehend durch örtliche Handwerker
gedeckt wurde. Lediglich bestimmte hochwertige Erzeugnisse wurden von den städtischen
Handwerkern im Austausch gegen überschüssige landwirtschaftliche Erzeugnisse bezogen.
Ein großer Teil der siebenbürgischen Handwerkserzeugnisse wurden in stadtfernen
Landesgebieten oder im Ausland abgesetzt.

Handel

Die Stadtentwicklung in Siebenbürgen wurde also hauptsächlich durch den regen Handel
mit den beiden rumänischen Woiwodschaften gefördert. Wie sehr sich auch in den Gebieten
jenseits der Karpaten die Macht des ungarischen Königs verringerte, so blieb sein intensiver
Einfluss doch erhalten. Unter seinem Schutz öffneten sich die beiden an Rohstoffen reichen
rumänischen Woiwodschaften dem siebenbürgischen Handel. Die Bewohner der mit
anfänglichen Organisationsschwierigkeiten kämpfenden Woiwodschaften (die erste
rumänische Kirche in der Walachei z. B. wurde erst Anfang des 14. Jahrhunderts errichtet)
waren auf die siebenbürgischen Zwischenhändler für ihre eigenen und die westlichen
Gewerbeprodukte angewiesen. Die planmäßige Wirtschaftspolitik König Ludwigs I., die
unter anderem danach strebte, den die Straßen Ungarns seit Jahrhunderten umgehenden
Osthandel zurückzugewinnen, förderte auch den sächsischen Handel. 1369 erhielt Kronstadt
das Stapelrecht, wodurch die polnischen und deutschen Kaufleute auf ihrer Reise in die
Walachei gezwungen wurden, ihre wichtigste Ware, das Tuch, den Kronstädtern zum
Weiterverkauf zu überlassen und die in der Walachei eingekauften Waren,
landwirtschaftliche Produkte und Tiere, ebenfalls auf dem Kronstädter Markt umzusetzen.
1378 erhielt Hermannstadt das Stapelrecht für den durch die Stadt führenden Handelsweg
und Bistritz schon 1368 für die Handelsstraße in die Moldau und nach Polen.

Der rege Handel vermittelte aber anfangs nicht so sehr sächsische Handwerkserzeugnisse,
sondern eher westeuropäische Gewerbeartikel, hauptsächlich Textilien, nach Osten, denn im
14. Jahrhundert gab es noch kaum ein marktproduzierendes sächsisches Handwerk. An der
tatsächlichen Ausfuhr waren die sächsischen Kaufleute selbst kaum beteiligt, sie verkauften,
gestützt auf das Stapelrecht, auf den Märkten ihrer Städte nur ihre Waren an die den Handel
vermittelnden Kaufleute vom Balkan und von den genuesischen Kolonien am Schwarzen
Meer und übernahmen deren Tauschwaren, vorrangig Gewürze. Diese Handelsform war
keineswegs unüblich, auch die Wiener Kaufleute handelten im Mittelalter nicht anders, das
Stapelrecht erlaubte ihnen die Abwicklung des Handels an Ort und Stelle. Nach Osten
reisten die sächsischen Kaufleute höchstens gelegentlich in die rumänischen
Woiwodschaften, um dort wichtige Geschäfte abzuschließen oder heikle Angelegenheiten
zu klären; in entferntere Gebiete gelangten sie nur ausnahmsweise. Sie suchten eher die
westlichen, hauptsächlich die großen Städte Deutschlands auf, insbesondere nachdem
Ludwig der Große das Ofner Stapelrecht als für sie nicht verbindlich erklärt hatte. Sie
handelten dort mit Rohstoffen aus der Walachei und der Moldau und brachten auf dem
Rückweg Stoffe und Gewürze nach Hause. Ihre üblichen Handelsrouten waren entweder der
Weg über Kaschau, Böhmen und Polen nach Danzig oder über Ofen nach Wien, Regensburg
und Basel sowie nach Zara und Venedig. Die siebenbürgischen Städte erlebten vom 14. bis
zum 16. Jh. durch den Handel einen großen Aufschwung. Bevorteilt waren angesichts der
Handelsströme natürlich die Städte an den Karpatenpässen, nämlich Hermannstadt,
Kronstadt und Bistritz. Wie in den deutschen Reichsstädten entstand ein sehr wohlhabender
Kaufmannstand, der auch mehrheitlich das Patriziat stellte und das Stadtregiment
beherrschte. In Hermannstadt waren es beispielsweise die Familien Armbruster, Lulai und
Haller, in Kronstadt die Familien Seidlin, Seidenschwanz, Sander, später Benkner, Fuchs
und Fronius. „Ein wahrhaft königlicher Kaufmann“ war um 1500 in Kronstadt Johannes
Kylhaw, der Besitzer eines großen Handelsunternehmens. Er handelte mit Tuch aus
Maastricht, Brügge, Mecheln und Verona, ferner mit Messern aus Steyr, mit Gewürzen,
Seiden, Teppichen und anderen Waren aus dem Orient. Allein 1503 hatte er einen Umsatz
von 175.000 Gulden (zum Vergleich: Ein Patrizierhaus in Kronstadt kostete damals einige
Hundert Gulden). Von Bistritz sind Peter Kretschmer, Laurentius Rasor, Johann Kotteler,
Ladislaus Hornung, Michael Sartor und Georg Eiben überliefert. Wolf Forster agierte hier
wie ein wahrer „Renaaissencefürst“. Von Schäßburg ist nur die Familie Polner bekannt,
deren Mitglieder teilweise auch zu Trägern höchster kirchlicher Würden im Königreich
aufstiegen. Der Handel nahm zunehmend einen beträchtlichen Umfang ein. Georg
Reicherstorffer schreibt beispielsweise in seiner Corographia Transylvaniae über Kronstadt:
„Die Stadt ist gewissermassen eine Vorratskammer der benachbarten Völker“. Und der
Italiener Giovan Andrea Gromo berichtet, dass in Kronstadt: „….alle benachbarten Völker
gleichsam wie in einer gemeinsamen Warenhalle zusammenkommen und dass hier immer
Türken, Griechen, Moldauer, Muntenier, Szekler und andere Volksstämme anzutreffen
seien“. Besonders unternehmungsfreudige Kaufleute wie Peter Kretschmer und vor allem
Peter Haller pachteten sogar Münz- und Bergwerksregalien sowie Salzkammern und
erreichten dort durch bessere Arbeitsmethoden und Kapitalzufluss eine ungleich höhere
Produktivität. Sie standen den Augsburger Fuggern und Welser in ihren Unternehmungen
kaum nach. Nach heutigem Sprachgebrauch würde man sie global players nennen. Peter
Haller entstammte einer einflussreichen Nürnberger Patrizierfamilie und stand als
Bürgermeister von Hermannstadt im Krieg zwischen Ferdinand von Habsburg und Johann
Zapolya hartnäckig zum Habsburger, dessen Feldzüge er mit seinem ungeheuren
Privatvermögen finanzierte. Unter anderem hatte er allein in Nürnberg 14.900 Gulden auf
Zinsen angelegt. Für ein repräsentatives Haus am Großen Ring zahlte man damals 500
Gulden. Seine Nachfahren gingen übrigens im ungarischen Hochadel auf, von denen ein
Zweig in den Besitz von Weißkirch bei Schäßburg gelangte; die Älteren von uns werden
sich noch an das Hallersche Schloss an der Kokel erinnern. Diese auch politisch tätigen
Großunternehmer haben die eigentlich großen Jahrhunderte der siebenbürgischen Städte
herbeigeführt. Auch die Städte selbst betätigten sich mitunter als Unternehmer, pachteten
Regalien und strebten Rechte in grundherrlichen Gemeinden an. Ob es jemals in
Siebenbürgen eigentliche Kaufmannsgilden gegeben hat, lässt sich nicht mit Bestimmtheit
feststellen. Strengen Zunftcharakter haben sie gewiss nicht gehabt, sonst wären sie
anlässlich der Zunftregulation sicher erwähnt worden. Es ist aber anzunehmen, dass
Genossenschaften der fahrenden Kaufleute, wie sonst in deutschen Städten bis ins XV. Jh.
hinein auch in Siebenbürgen bestanden haben. Erstens zwang schon die Gefährlichkeit der
Handelsstrassen zu einem engen Zusammenschluss, dann aber finden wir in Hermannstadt
um die Mitte des XVI. Jh. das Amt des Hansgrafen als marktpolizeiliches Organ. Da das
Hansgrafentum sonst seinen Ursprung von den Genossenschaften fahrender Kaufleute her
ableitet, liegt der Schluss nahe, dass solche wirklich bestanden haben, auch wenn wir nichts
Näheres darüber wissen.

Interessant ist auch die Frage, wie sich der Zahlungsverkehr bei dieser intensiven und
ausgedehnten Handelstätigkeit abspielte. Es ist keine Frage, dass auch in Siebenbürgen und
Ungarn in der ersten Zeit infolge der ausgebreiteten Naturalwirtschaft der Tauschhandel
vorgeherrscht hat. Selbst der Bischof von Weißenburg zahlte 1291 den Zimmerleuten für die
Renovierung von Turm und Dom neben 90 Mark Silber 24 Ellen „Dornisches Tuch“.
Insbesondere der Handel mit der Moldau und der Walachei war fast reiner Tauschhandel.
Selbst den Fürsten mangelte es trotz der Geldeinkünfte durch Zollgebühren an Bargeld. So
zahlte Alexandru Lapusneanu für 4000 bestellte Gürtel mit Schlachtochsen. Ein anderes Mal
schreibt er: „…das wyer thuech und andere whar am Oxen Khauff nemen wöllen…“.
Geld wurde seit Stephan dem Heiligen in Ungarn geprägt, doch setzte recht früh eine rapide
Münzverschlechterung ein, die sich mit Ausnahme der Regierungszeit von Karl Robert auch
in den folgenden Jahrhunderten fortsetzte. Natürlich war neben dem ungarischen Geld auch
viel fremdes im Umlauf wie Wiener Pfennige sowie polnisches und italienisches Geld, doch
erlitten die Kaufleute beim Einwechseln nicht selten hohe Verluste. Die größten Verluste
erlitten sie durch das massenhaft im Umlauf befindliche Falschgeld. Es ist also nicht
verwunderlich, dass auch die siebenbürgischen Kaufleute auf das Kreditwesen setzten, wie
es in Italien und Westeuropa gängige Praxis war. Der Briefwechsel zwischen den Richtern
und Geschworenen der sächsischen und moldauischen Städten handeln meist von Schulden,
die nicht bezahlt worden waren. Aus einem der Briefe ist zu entnehmen, dass für den
Schuldner Bürgen eintraten, an die der Gläubiger Pfändungsrecht hatte. Auch im Verkehr
nach dem Westen wurden Käufe auf Kredit abgeschlossen, ein Zeichen dafür, dass die
siebenbürgischen Kaufleute auch in der Fremde Vertrauen genossen. So ist ein Schuldschein
eines Martin Chraus aus Hermannstadt vom 11.12.1411 erhalten, worin er sich verpflichtet,
dem Wiener Bürger Christian Pfanzagel oder dem, der ihn an seiner Statt mahnt, den 9.
März 1412 107,5 ungarische Gulden zu zahlen, die er ihm für „Gewand“ schuldet. Es
scheint, dass die großen Wiener Geschäftsleute für die siebenbürgischen Kaufleute zugleich
die Rolle der Bankiers spielten.

Gewerbe

Konnte der siebenbürgische Handel sich so erfolgreich entwickeln, weil es ein
hochentwickeltes Gewerbe gab, das die auf den Märkten gefragten Produkte herstellen
konnte, oder war die Nachfrage infolge günstiger Umstände so groß, dass sich das Gewerbe
zwangsläufig entwickelte, um diese Nachfrage zu befriedigen? Sicher trifft im 14. bis zum
16. Jh. beides zu, sodass sich Handel und Gewerbe gegenseitig befruchteten und zu
beeindruckender Entfaltung gelangten. Die fortgeschrittene Stadtwirtschaft in den
Ausgangsgebieten der Kolonisation legt den Schluss nahe, dass sich den Bauern, die bereits
gewohnt waren, auf ihren Höfen auch allen handwerklichen Anforderungen gerecht zu
werden, bei ihrem Zug nach Siebenbürgen auch bereits ausgebildete Berufshandwerker
angeschlossen haben. Leider fehlen schriftliche Unterlagen über handwerkliche Tätigkeiten
der Siedler für anderthalb Jahrhunderte nahezu ganz. Neuere archäologische
Untersuchungen jedoch belegen deutlich ein entwickeltes Handwerk bereits bei der
Besiedlung. Als dann nach den verheerenden Mongolenüberfällen im 13. Jh. eine längere
Phase der Prosperität eintrat, und die Fürstentümer jenseits der Karpaten stabile Formen
annahmen, wuchs die Nachfrage nach handwerklichen Produkten sprunghaft an. Es boten
sich für die Entfaltung des Absatzes handwerklicher Produkte zwei Felder an: erstens die
Befriedigung der Bedürfnisse der bäuerlichen Bevölkerung Siebenbürgens, Umgarns, der
Moldau und der Walachei, teils wohl auch des gesamten Balkans, also kapitalistische
Massenproduktion billiger Erzeugnisse; zweitens die Befriedigung der wohlhabenderen
Schichten, des niederen und höheren Adels Siebenbürgens und Ungarns, der moldauischen
und walachischen Fürstenhöfe, teils auch des ungarischen Königshofes, als
Kundenproduktion hochwertiger Erzeugnisse. Das Gewerbe schlug beide Wege ein, wobei
die Massenproduktion überwog. Die aufblühenden Städte waren zwar der Mittelpunkt des
Gewerbes, aber von hier aus ging das Gewerbe auch auf das Land hinaus und auch
sächsische Dörfer beteiligten sich an der Massenerzeugung der Güter. Es gab nun selbst in
manchen Dörfern und kleineren Marktflecken zunftähnliche Zusammenschlüsse wie
beispielsweise in Marktschelken, Marpod, Leschkirch, Großschenk, Heltau, Keisd, Birthälm
u.a., natürlich auch in Reps und Agneteln. Dort war wohl die Herstellung handwerklicher
Güter reine Auftragsarbeit. Es handelte sich hierbei um das System des Verlagswesens:
Die Auftraggeber belieferten die Handwerker mit den Rohstoffen und handelten
mit ihnen die Handelspreise, die Stückzahl sowie die Abgabetermine aus. Als
ab Ende des 16. Jh. die Blüte des siebenbürgischen Handels sich dem Ende
zuneigte, und sich die Auftragslage extrem verschlechterte,verschwanden auch
die dörflichen Gewerbebetriebe. Sie konnten sich mit Müh und Not
neben den Städten nur noch in den Marktflecken wie Reps, Agnetheln
und Birthälm halten.

Schäßburg

Inwiefern sich Schäßburg an der Auftragsproduktion handwerklicher Güter für große
Handelshäuser beteiligt hat, oder in der Herstellung und im Vertrieb autark war, ist unklar.
Einiges spricht dafür, dass die Stadt eigenständige Wege gegangen ist. Auf politischem
Gebiet gab es in den sächsischen Siedlungsgebieten eine relative Geschlossenheit und
Solidarität. Auf dem wirtschaftlichen Gebiet jedoch herrschte durchaus keine Einigkeit.
Ganz im Gegenteil, die Städte verstanden sich als eigenständige Wirtschaftseinheiten und
wachten eifersüchtig darauf, dass ihnen in ihren Absatzdomänen keine Konkurrenz entstand
und man kann insbesondere zwischen Hermannstadt und Kronstadt nahezu von einem
permanenten „Handelskrieg“ sprechen. Die Absatzgebiete waren mittels Privilegien und
bilateralen Abkommen klar abgesteckt. Bistritz beherrschte den Handel mit der Moldau und
Polen, Kronstadts Aktionsradius war die Moldau, die Walachei, der Balkan,und die
Schwarzmeerregion, während Hermannstadt sich über den Rotenturmpass nach der
Walachei, der Adria und nach Westen orientierte. Der Absatzmarkt der Stadt Schäßburg war
der binnensiebenbürgische Raum, also neben dem unmittelbaren Umland die benachbarten
Komitate und vor allem das Szeklerland. Das Schäßburger Handwerk hat ganz
offensichtlich die von ihm hergestellten Produkte auch selbst vertrieben und sich auch selbst
die Rohstoffe besorgt. Dabei fehlte es nicht an Auseinandersetzungen mit Handwerkern
konkurrierender sächsischer Städte. Am Fernhandel hat sich die Stadt kaum beteiligt,
weswegen wir hier auch außer der Familie Polner keinen nennenswerten patrizischen
Kaufmannsstand nachweisen können. Dies führte folgerichtig dazu, dass das Stadtregiment
in Schäßburg viel früher als anderswo und dann fast ausschliesslich in der Hand des
Handwerks lag. Ein Beleg dafür ist die Liste der Bürgermeister, fast alle dem
Handwerkerstand entstammend. Man kann also mit Fug und Recht die Behauptung
aufstellen, dass Schäßburg die klassische Handwerkerstadt war. Es steht daher sicher auch
in der Zunftordnung vom Jahre 1376 nicht zu Unrecht hinter Hermannstadt an zweiter
Stelle. Manche Historiker bestreiten allerdings, dass es in Schäßburg damals bereits alle in
der Zunftordnung aufgeführten 19 Gewerbe gegeben habe, und halten das Dokument
lediglich für eine Rahmenurkunde. Wie dem auch sei, auf jeden Fall gehörte Schäßburg
zumindest bis ins 16. Jh. hinein zu den bedeutendsten und wohl auch am besten befestigten
Städten Siebenbürgens, weswegen in der Zeit des Fürstentums Siebenbürgen der Landtag
auffällig häufig hier tagte. Über die Zünfte in Schäßburg, ihre Bedeutung und
Bestimmungen werden wir im Verlauf dieser Schäßburger Kulturtage noch einiges hören.
An dieser Stelle seien nur noch einige grundsätzliche Bemerkungen zu dem
Erscheinungsbild der Zünfte gestattet. Wie wir aus der Geschichte wissen, setzte im 16. Jh.
in ganz Siebenbürgen eine Stagnation und schließlich ein schmerzlicher Niedergang in
Handel und Gewerbe ein, und Schäßburg sank allmählich mehr oder weniger zu einer
Regionalstadt herab. Auch Hermannstadt, Kronstadt und Bistritz büßten ihre bis dahin
überragende Stellung ein, jedoch nicht in dem Grade wie die fast reine Handwerkerstadt
Schäßburg. Die Ursachen sind uns bekannt: Es waren nicht in erster Linie, wie gelegentlich
behauptet wurde, die Erschließung neuer Verkehrswege und die Verdrängung Siebenbürgens
von den Verkehrsströmen, oder das Eindringen landfremder Kaufleute (Armenier, Griechen,
Juden) nach Siebenbürgen. Es waren vielmehr die fast zwei Jahrhunderte andauernden
kriegerischen Auseinandersetzung, Zerstörungen und Verwüstungen ganzer Landstriche und
deren Folgen, Rückgang der Bevölkerungszahl, laufender Anstieg abgepresster
Kontributionszahlungen, Verarmung der Menschen und Rückgang der Kaufkraft.
Schließlich geriet Siebenbürgen auch mangels Anschluss an die technischen und
wirtschaftlichen Entwicklungen im europäischen Westen ins Hintertreffen. Erst im späten
18. Jh. und im 19. Jh. konnte mit dem Aufkommen von Manufakturen wieder zaghaft an das
europäische Niveau angeknüpft werden. Aber auch über Letzteres werden wir im Verlaufe
dieser Kulturtage noch einiges hören. Den Niedergang des siebenbürgischen Handwerks hat
man auch den immer restriktiver und starrer werdenden Zunftordnungen angelastet. Auf den
ersten Blick mag das so erscheinen. Auf den zweiten Blick jedoch stellt sich ein anderes
Bild ein. Je prosperierender das Handwerk ist, umso lockerer können die
Zunftbestimmungen sein. Wenn genügend Absatz vorhanden ist, braucht man die Zahl der
Arbeiter und die Aufnahme fremder Meister nicht zu beschränken. Man hat es nicht nötig,
sich vor Konkurrenz zu schützen, denn es ist genügend Arbeit für alle da. Je schwieriger
jedoch die Wirtschaftslage wird, umso stärker wächst das Schutzbedürfnis, und man wird
immer strengere Restriktionen in die Zunftordnung einbauen. Genau dieses ist ja dann auch
eingetreten. Die Zunftordnungen sind also gewissermassen der Spiegel oder Gradmesser der
wirtschaftlichen Zustände. An der Entwicklung der Schäßburger Zunftregulierungen kann
man diese Wechselwirkung sehr gut ablesen.

Charls Boner über Schäßburg

In den 60er Jahren des 19. Jh. unternahm der englische Schriftsteller Charles Boner eine
Reise durch Siebenbürgen und besuchte dabei selbstverständlich auch Schäßburg.
Anschließend schilderte er äußert scharfsinnig die Zustände, die er dort vorfand:

„……………..Der Abend bricht heran; sanft steigt der Weg aufwärts; auf der Spitze des Hügels
angelangt wenden wir uns und vor uns erhebt sich eine Kuppe, auf der eine Stadt von
mittelalterlichem Aussehen, mit einer Kirche, mit Mauern und Thoren steht. Unten am
Fusse der Anhöhe bergen sich zwischen Gärten niedliche Häusergruppen, von mächtigen
Pappeln hoch überragt, und grüne Felder und Auen dehnen sich bis zum Fusse einer
Hügelkette, welche diesen malerischen Ort umrahmt. Gegenüber glänzt die Kirche als der
höchste Punkt des Ortes im blassröthlichen Schimmer der untergehenden Sonne; etwas
tiefer zittert das Licht durch die Fenster alterthümlicher Häuser; auch hier sind Strebepfeiler
an den Mauern, geheime Pforten und halbverfallene Thürme. Das Hauptthor ist halb
eingestürzt und rechts und links sind die Mauern mit Gras bewachsen; das zerbröckelte
Mauerwerk ist in die Tiefe gerollt. Etliche ältere Bürger stehen hier im Freien und
besprechen sich nach gethaner Tagesarbeit untereinander; vielleicht ergehen sie sich den
Vermutungen, woher wohl der Fremde sein möge, den sie auf jenem sich herabwindenden
Wege näherkommen sehen. Noch tiefer bilden Häuser mit hohen Dächern und Bäumen und
starkes massives Mauerwerk eine so compacte Masse, dass das Auge nichts Einzelnes
unterscheiden kann. Bald wird es dunkel werden, sonst könnt Ihr wohl Halt machen und
Euch satt schauen. Das herrliche Bild erfreut Euer Auge so sehr, dass Ihr dasselbe nicht
abwenden könnt, bis sich die Strasse ganz nahe am Fusse des Berges hinwindet, so dass auf
einmal das ganze Bild den Blicken entrückt ist. Mit welch lauter Sprache erzählen nicht
diese Steine von einem anderen Zeitalter, von dahingeschwundenen Jahrhunderten, – mit
Moos bewachsen und verwittert wie sie sind, während Disteln und Strauchwerk in den
Zwischenräumen emporwachsen! Hoch oben auf der alten Mauer sind Wohnungen
eingerichtet, und auf eine ganz sonderbare, fast rätselhafte Art mit derselben in Verbindung
gebracht, ohne dass man so recht beide voneinander zu unterscheiden vermöchte. Von oben
herab schauen neugierige Köpfe durch die vergitterten Fenster……….Alles sieht gerade so aus
wie zur Zeit, da der lustige Hans Sachs seine fröhlichen Lieder sang und mit der Ahle dabei
arbeitete. ‚Ist es auch sicher‘, so fragt Ihr Euch selbst, ‚dass dies das neunzehnte Jahrhundert
und nicht das sechszehnte Jahrhundert ist?‘ Oder ist es ein Traum?…………Da lag ein Platz,
von netten Häusern mit grünen Jalousieläden und mittelalterlichen architektonischen
Verzierungen umgeben. Es herrschte hier eine gewisse stille, behagliche Ruhe. Es kam mir
so vor, als müsse der Platz vor dreihundert Jahren fast ebenso ausgesehen
haben……………..Mit welchem Staunen Ihr alle betrachtet! Die Architektur des prächtgen
Thores mit dem massiven und äusserst malerischen Thurm, der sich über demselben erhebt,
die engen Gassen, und die vielerlei Plätze und Winkel, in die Ihr bei Eurem
Umherschlendern gelangt. Man wird ganz an Nürnberg oder Ulm erinnert, oder an jene
seltsamen schmucken kleinen Städtchen, die rings von Mauern umschlossen sind, wie man
sie noch an den Ufern des Rheins findet…………
…………Daran wie an manchen anderen Dingen kann man sehen, wie wenig sich die
ursprüngliche Natur diese Leute verändert hat. Weniger dem bewegten Verkehr und den
rührigen Kämpfen auf dem grossen Schlachtplane des Lebens ausgesetzt, als ihre in der
Heimath zurückgebliebenen Landsleute, behielten sie so lange als möglich ihre
Eigenthümlichkeiten, während sich die Anderen allmählich derselben entledigten. Noch heute
zeigt sich in dem Charakter der Deutschen Siebenbürgens jene Liebe zum Formelwesen, die
das ganze gesellschaftliche und öffentliche Leben in Deutschland charakterisierte, sei es nun
dass diese eigenthümliche Vorliebe sich in der Veröffentlichung eines Gesetzes, oder in
einem Privatschreiben, oder einer diplomatischen Urkunde, in der Stylisierung eines Passes
oder endlich in der Abfassung eines gehörig ducumentierten Lehrbriefes bekundete; diese
besondere, den Deutschen eigenthümliche Vorliebe für das Formelwesen hat sich hier in
Siebenbürgen bis in die neue, wenn nicht die neueste Zeit erhalten………..

………Der hohe Grad von Wissen und Cultur, der überall in den sächsischen Städten und
Dörfern angetroffen wird, ist eine so bemerkenswerte Erscheinung, dass sie das Staunen des
fremden Reisenden erregen muss. Überall findet er, was man in früheren Zeiten ‚Studirte‘
und was wir jetzt ‚Gelehrte‘ nennen. Die Berichte von den Verhandlungen und Arbeiten des
Alterthumsvereins und der Hermannstädter Gesellchaft der Wissenschaften geben hinlänlich
Zeugnis von dem Fleisse und dem Talente dieser Männer. In Beziehung auf den
interessanten Inhalt und den tiefen Ernst der Forschung können diese Schriftwerke kühnlich
anderen Arbeiten dieser Art, wie sie Deutschland und England aufzuweisen haben, an die
Seite gestellt werden…………

………….Als ich Schäßburg zu verlassen mich anschickte, musste ich lange warten, bis der
Wagen bereit war; man gab mir dabei zu verstehen, der Fuhrmann warte möglicherweise bis
die Glocke Zwölf geschlagen; es herrscht nämlich durch ganz Siebenbürgen der Aberglaube,
dass man kein Glück habe, wenn man zu einer Reise in der Stunde zwischen Elf und Zwölf
aufbreche. Ob in Beziehung auf Eile und Pünktlichkeit bei Einhalten der Zeit der Einfluss
des Aberglaubens sich geltend macht, weiss ich nicht; aber in meinem Leben habe ich nicht
so wenig Pünktlichkeit angetroffen als hier. Bis dahin hatte ich imm er geglaubt, dass hierin
die Bayern von Niemand übertroffen werden könnten; ist doch bei ihnen das Allerbilligste
die Zeit! Allein in diesem fernen Lande hier hielt auch nicht Einer genau die festgesetzte
Zeit ein. Es wird hier für gar nicht auffallend gehalten, wenn Jemand, der ganz bestimmt um
sieben Uhr hätte eintreffen sollen, endlich um neun Uhr seine Erscheinung bewerkstelligt.
Pünktlichkeit ist hier etwas ganz Unbekanntes. Ich verliess Schässburg, – doch nicht bevor
die Glocke Zwölf geschlagen, – um meine Reise nach Kronstadt fortzusetzen. Die Strassen
sind unstreitbar in trauriger Verfassung, schlecht gepflastert, und mitten durch die breiteste
derselben fliesst ein ansehnlicher Bach mit hohen, zerrissenen Ufern. Die meisten sind sehr
schmal, wie dies übrigens nicht anders sein konnte in einer befestigten Stadt, wo der
engbegrenzte Raum äusserst werthvoll ist. Allein kein Ort in Siebenbürgen fesselt durch
seine ausnehmend pittoreske Lage so sehr Eure Aufmerksamkeit, und wenn Ihr so von der
oberen Stadt in die beiden Thäler hinabblickt, so könnt Ihr Euch gewiss nicht erinnern,
jemals früher einen so reizvollen Ort gesehen zu haben……..“

Eine Antwort auf „Die Handwerkerstadt Schäßburg im Rahmen der siebenbürgischen Städtentwicklung“

  1. Ja! Demnächsst erscheint ein Sammelband von mir, in dem dieser Beitrag abgedruckt ist. Der Titel: „Rückblicke“

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