SIEBENBÜRGISCHE IDENTITÄTEN

Dieser Aufsatz geht auf einen Vortrag, den der Autor anlässlich der Deutschen Kulturtage in Schäßburg gehalten hat, zurück. Deshalb wurde auf Fußnoten verzichtet.

Einleitung

Siebenbürgische Identitäten im Wandel

Nach ihrer verheerenden Niederlage am Lechfeld im Jahre 955 und ihrer endgültigen Sesshaftwerdung erkannten die Magyaren, wie bereits der Staatsgründer Stephan der Heilige seinen Sohn Emmerich in einem „Libellus de institutione morum“, einer Art Fürstenspiegel, ermahnte -, dass einwandernde „Gäste verschiedene Sprachen und Sitten, verschiedene Lehren und Waffen mit sich bringen, die alle Reiche und den königlichen Hof schmücken und erhöhen, […] denn schwach und vergänglich ist ein Reich, in dem nur eine Sprache gesprochen wird und einerlei Recht gilt“.

Diese Grundsätze der Staatspolitik hat das mittelalterliche Ungarn hartnäckig verfolgt, und diese Politik hat dazu geführt, dass speziell in Siebenbürgen, das im ungarischen Staatsverband immer eine Sonderrolle spielte, eine interessante multiethnische Gesellschaft vorherrschte, die bis heute unübersehbar ist. Die im 12. Jahrhundert im Westen angeworbenen „hospites“ kamen zwar in eine dünn besiedelte Landschaft, aber durchaus nicht in ein „desertum“, also eine Einöde, wie mittelalterliche Quellen lange Zeit missverständlich interpretiert wurden, sondern sie fanden Vorsiedler verschiedenster Art vor, zu denen sie sich geschmeidig gesellten. Im Auftrag der Zentralmacht hatten die Szekler vor allem Südsiebenbürgen militärisch erschlossen und überliessen die befriedeten Gebiete den hospites, während sie selbst weiter nach Osten vorrückten. Sie waren bei ihren Operationen auf bereits konsolidierte wlachische, im späteren Sprachgebrauch rumänische, Siedlungszentren sowie auf petschenegische bzw. kumanische und andere Volksgruppen und -grüppchen gestoßen. Letztere sind schon früh in der Geschichte versunken, sei es, weil die Kooptierung ihrer Eliten in den ungarischen Adel sie führungslos machte, sei es, weil ihre Kopfstärke so gering war, dass sie auf Dauer nicht bestehen konnten. Nach der fortgeschrittenen friedlichen Ansiedlung der hospites, aus denen sich allmählich der Neustamm der Siebenbürger Sachsen formierte, stellte sich Siebenbürgen in vier ethnisch geprägten Entitäten dar: der ungarische Adelsboden, das Territorium der Szekler im Osten Siebenbürgens, das Siedlungsgebiet der Siebenbürger Sachsen und die wlachischen Siedlungsgebiete mit den Zentren der Fogarascher Senke, des Hatzeger Gebiets und des später Marginimea genannten bzw. Hamlescher Gebiets. Wlachische Siedlungen und Siedlungsgebiete hat es in unbekannter Dichte und unbekannter Gesellungsform auch im restlichen Siebenbürgen und in der Maramures gegeben. Diese vier Entitäten traten anfänglich auch in den landtagsähnlichen Zusammenkünften in Erscheinung und sind anfänglich auch gemeinsam in Kriegsaufgeboten dokumentarisch überliefert. Ab Mitte des 14. Jahrhundert tritt die natio valachorum, wie der damalige Sprachgebrauch war, nicht mehr in Erscheinung und war nicht mehr Bestandteil des national-ständischen Gefüges in Siebenbürgen. Fortan gab es nur noch die unio trium nationum: die Nation, also der Adel, die Sachsen und die Szekler. Die natio valachorum war fortan marginalisiert. Natürlich ist der mittelalterliche Begriff der Nation nicht mit dem modernen Nationalbegriff zu verwechseln. Der mittelalterliche Begriff benannte einen Rechtsverband und nicht in ersterLinie einen ethnischen Verband.
Der Identitätsbildung und -festigung dieser Entitäten sowie dem Wandel dieser Identitäten im Verlaufe der Zeit gilt es nun schlaglichtartig nachzugehen. Hierbei wird davon ausgegangen, dass zu einer Gruppenidentität ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit und der kollektive Wille, diese Zusammengehörigkeit zu festigen, gehören. Weiterhin gehört die Überzeugung dazu, dass die Gruppenmitglieder in bestimmten Charakteristika wie Sprache, Religion, Wertvorstellungen, Sitten und Gebräuchen oder sonstigen Aspekten übereinstimmen. Eine Gruppenidentität ist aber nicht nur nach innen gerichtet. Sie ist nur von Belang, wenn sie in der Kontrastierung zu anderen kollektiven Identitäten wahrgenommen wird. Deshalb ist für sie eine geographische Lokalisierung, ein Raum also, wo es auch andere Gruppen mit eigener Identität gibt, für sie unabdingbar. Der hier zur Debatte stehende Raum ist natürlich Siebenbürgen.

Die Wlachen/Rumänen

Die Wlachen hatten sich nach ihrer Ethnogenese und der Absorption anderer ethnischer Elemente sehr früh geschlossen dem byzantinischen Ritus angeschlossen und galten daher im römisch-katholischen Königreich Ungarn von Anfang an als Schismatiker. Dies spielte allerdings anfänglich eine untergeordnete Rolle, wie ihre gleichberechtigte Teilnahme an den frühen landtagsähnlichen Zusammenkünften belegt. Ihre Marginalisierung setzte erst mit den radikal-katholischen Anjou-Königen im 14. Jahrhundert ein. Insbesondere die Adelsgesetzgebung Ludwigs des Großen vom Jahre 1351 bewirkte den Verlust der Gruppenautonomie der Wlachen. Diese postulierte nämlich, dass alle Adligen des Königreiches katholisch zu sein hatten. Der wlachische Adel, also die Führungselite, musste sich entscheiden, ob er dem byzantinischen Ritus treu blieb und riskierte, den Adelsstand zu verlieren, oder ob er zum Katholizismus konvertierte und im ungarischen Adel aufging. Ein Großteil des Adels entschloss sich zur Konversion und ging dem wlachischen Ethnikum als Führungskraft verloren. Prominentes Beispiel ist die Familie Hunyadi, die es in Person von Mathias Corvinus bis zum Inhaber des ungarischen Königsthrons brachte. Die Adligen, die sich der Konversion widersetzten, sanken in den rechtlosen Zustand ab, oder überquerten die Karpaten, wo sie dann bei der Formierung der beiden rumänischen Fürstentümer eine nicht unerhebliche Rolle spielten. Die Wlachen blieben also führungslos, rutschten so nach und nach in den Hörigenstand ab und schieden aus dem national-ständischen Gefüge Siebenbürgens aus. An der Orthodoxie hielten sie aber hartnäckig fest, und die Orthodoxie war für sie bis in die Neuzeit identitätsstiftend und ist es im Prinzip für die Rumänen auch heute noch. Als im 16. Jahrhundert nach heftigen Auseinandersetzungen der siebenbürgische Landtag (mittlerweile hatte sich das siebenbürgische Fürstentum unter türkischer Oberhoheit formiert) im Jahre 1568 die vier rezipierten Konfessionen etablierte, blieb die Orthodoxie außen vor und galt fortan lediglich als geduldet. Dieser Umstand ist vor allem dadurch zu erklären, dass es den orthodoxen Rumänen (die Bezeichnung „Wlachen“ war unterdessen nach und nach dem Begriff „Rumänen“ gewichen) durch den Verlust ihrer Führungselite an einer „Lobby“ mangelte, die im Landtag wie die übrigen Stände selbstbewusst hätte auftreten können. Die vier rezipierten Konfessionen zeichneten sich interessanterweise dadurch aus, dass sie in der Regel ethnisch gegliedert waren. Die Ungarn und die Szekler wandten sich, sofern sie nicht katholisch blieben oder später wieder katholisch wurden, dem Kalvinismus und dem Unitarismus zu, während die Sachsen die lutherische Konfession annahmen. Die Rumänen hielten an der Orthodoxie fest. Dieses Spektrum hat sich im Wesentlichen bis heute erhalten.
Es gab im späten Mittelalter nicht nur eine wlachische Migration nach jenseits der Karpaten sondern auch umgekehrt eine starke wlachische Immigration nach Siebenbürgen, was darauf hindeutet, dass die Lebensbedingung in den entstehenden Fürstentümern noch schwieriger waren als in Siebenbürgen. Zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts schwappte infolge der dortigen chaotischen Zustände aus der benachbarten Walachei eine neue Welle rumänischer Einwanderer nach Siebenbürgen. Dies hatte zur Folge, dass die Rumänen Ende des achtzehnten Jahrhunderts mit einem Anteil von knapp 60 Prozent an der Gesamtbevölkerung die größte Volksgruppe in Siebenbürgen stellten. Von einer politischen Mitwirkung in Siebenbürgen blieben sie aber nach wie vor ausgeschlossen. Eine Modifizierung ihrer Identität, die sich auf ihre Volkssprache, ihre besonderen Lebensformen und vor allem auf ihr Bekenntnis gründete, erfolgte mit dem Auftreten der sogenannten Siebenbürgischen Schule (scoala ardeleana) deren Bedeutung für die bis in die Gegenwart wirkende Konturierung der rumänischen Identität nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Sie war aus der auf österreichisches Betreiben entstandenen griechisch-katholischen Kirche hervorgegangen und erwuchs rasch zum geistigen und emanzipatorischen Zentrum der siebenbürgischen Rumänen. So wurde in ihren Klöstern nicht nur die erste Generation einer rumänischen Intelligenz in Siebenbürgen herangezogen, sondern infolge der ausländischen Studienaufenthalte des griechisch-unierten Klerus machten sich die Rumänen auch mit den zeitgenössischen Geistesströmungen Westeuropas (Aufklärung) vertraut. Unter den namhaftesten Vertretern der neuen griechisch-katholischen Intelligenz befand sich die „Trias von Siebenbürgen“ (Samuil Micu-Klein, Petru Maior und Gheorghe Şincai). Zu den größten Verdiensten der „Trias“ gehören unter anderem die Durchsetzung des lateinischen Alphabets (gegenüber dem bis dahin gängigen kyrillischen Alphabet), die Erhebung des Rumänischen zur Schriftsprache und die wissenschaftliche Aufbereitung der Theorie von der dakisch-römischen Kontinuität. All dieses wurde mit Begeisterung auch jenseits der Karpaten übernommen und bewirkte dort die gleiche „neue“ Identitätsstiftung. Mitglieder des griechisch-katholischen Klerus waren auch federführend bei der Abfassung eines Memorandums (Supplex Libellus Valachorum), das im Jahr 1791 Kaiser Leopold II. unterbreitet wurde. Darin wird Leopold II. aufgefordert, die Siebenbürger Rumänen aus ihrer benachteiligten sozialen Stellung zu befreien und in den Rang einer „ständischen Nation“ – gleichberechtigt mit den Ungarn, Szeklern und Sachsen – zu erheben. Das Memorandum blieb jedoch in Wien ohne Reaktion, worauf die Rumänen ein Jahr später (1792) einen neuerlichen Versuch unternahmen, allerdings wieder vergeblich. Während der ungarischen Revolutionswirren im Jahre 1848 griffen die siebenbürgischen Rumänen erstmals auch militärisch und propagandistisch auf der Seite des Kaisers aktiv ein. Nebenbei ist erwähnenswert, dass dabei auch die heutige rumänische Nationalhymne „desteapta te romane!“ (Rumäne erwache!) als Hymne der siebenbürgischen Rumänen entstand. Ein Zusammenschluss mit den Donaufürstentümern stand für sie damals nicht zur Debatte. Dennoch gehörten die Rumänen zu den Verlierern des Bürgerkriegs, denn es wurde ihnen keine territoriale Autonomie zugestanden, wie sie es erhofft hatten. Gleichwohl brachten die darauf folgenden Jahre zumal für die Rumänen einschneidende Neuerungen mit sich. Mit der Abschaffung der Leibeigenschaft 1854 erlangten nahezu 174.000 rumänische Bauernfamilien nicht nur die Freiheit. Vielmehr wurden sie auch infolge der Entschädigungen zu unabhängigen Landbesitzern. Außerdem wurde den zwei rumänischen Kirchen, der griechisch-orthodoxen und der griechisch-katholischen, endlich die Autonomie zuerkannt. Mit dem Entstehen Großrumäniens nach dem 1. Weltkrieg war der gesamtrumänische Identitätsbildungsprozess auf der Basis der Lehren der siebenbürgischen Schule abgeschlossen. Die gewaltigen Bevölkerungsumschichtungen vor allem in der kommunistischen Zeit verschoben Regionalidentitäten außerordentlich stark. Ein regionales siebenbürgisch-rumänisches Sonderbewusstsein verblasste zwar dadurch, blieb aber in Resten noch erhalten und ist auch heute noch in bestimmten traditionellen siebenbürgisch- rumänischen Siedlungskernen zu erkennen, was in bestimmten Bukarester Kreisen nicht selten zu Misstrauen Anlass gibt. Eine Wiederbelebung könnte ein regionales Sonderbewusstsein erfahren, wenn es gelingen sollte, die längst fällige Regionalisierung Rumäniens ins Werk zu setzen.

Die Szekler

Die Szekler, die bekanntermaßen einen Stand in der Unio Trium Nationum, der Union der drei Nationen, repräsentierten, haben im Verlauf der Geschichte einen fundamentalen Identitätswechsel vollzogen. Es ist hier nicht der Ort, ihre ethnische Herkunft zu reflektieren, zumal sich die Forschung bis heute nicht einig ist. Fest steht, dass sie sich, zumindest seit es greifbare Quellen gibt, eines magyarischen Idioms bedienten. Obwohl die Mitglieder der funktionierenden mittelalterlichen ständischen Gesellschaften ethnischen Unterschieden wenig Bedeutung zuschrieben und für sie die ständisch-gesellschaftliche Gliederung und die aufgrund dieser Gliederung entstandenen Interessenverbände bestimmend waren, gab es durchaus auch ethnische Konnotationen. Es darf nicht übersehen werden, dass neben der ständischen Partikularität die spezifischen physisch-geographischen Gegebenheiten des von den Szeklern bewohnten Territoriums einen bedeutenden Pfeiler der Szekler Identität bildeten. Der stabile und hartnäckig gewahrte ständische Status bzw. die markanten landschaftlichen Merkmale führten dazu, dass wiederholt der Terminus „Szekler Volk“ verwendet wurde. Dazu hat auch beigetragen, dass sich unter den führenden ständischen Nationen Siebenbürgens, den Mitgliedern der unio trium nationum, die „Sächsische Nation“ durch Sprache, Herkunft und Kultur von der ungarischen und selbstverständlich auch von der szeklerischen ebenfalls unterschied. Es ergab sich also die logische Folgerung, dass alle drei „Nationen“ auch über spezifische ethnische Merkmale verfügten.

Der im Mittelalter ausgebildete solide Boden der szeklerischen ständischen Identität wurde ab dem 16. Jahrhundert immer unsicherer. Verursacht wurde dies durch die geopolitischen Veränderungen und durch die Veränderung der Kriegsführung. Der Wehrdienst, den die Szekler als Dienst für ihre ständischen Privilegien leisteten, hatte nicht mehr das alte Gewicht, und die Führung des Landes begann bereits in der Zeit des Fürstentums, die allmählich ohne Gegenleistung gebliebenen Privilegien einzuschränken. All dieses fügte jedoch dem ständischen Bewusstsein der Szekler keinen Schaden zu. Sie traten

weiterhin als ständische Nation auf, forderten hartnäckig die vollständige Wiederherstellung ihrer Freiheiten, und bis Mitte des 19. Jahrhunderts änderte sich diese Grundeinstellung kaum. Dies bedeutet aber nicht, dass sich die regionale Identität des Szeklertums überhaupt nicht verändert hätte. Bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts gibt es Anzeichen dafür, dass die auf ihre ständische Partikularität empfindlich stolzen Szekler auch ein ungarisches Bewusstsein zu entwickeln begannen. Zweifellos spielte das Sprachedikt Josephs II., also die Einführung des Deutschen als Amtssprache in der gesamten Monarchie, bei der Entstehung des ungarischen nationalen Gedankens und beim gemeinsamen Auftreten der Ungarischsprachigen eine bedeutende Rolle. Auch die kaiserliche Verwaltungsreform, die die ständischen Autonomien abgeschafft hatte, ließ den Komitatsadel und die Szekler zusammenrücken. Die spätere Zurücknahme dieser Verwaltungsreform änderte an diesem Vorgang nichts, und es entwickelte sich zunehmend eine gesamtungarischsprachige Solidarität. Dieses Phänomen hatte zur Folge, dass in den nachjosephinischen Zeiten immer mehr Äußerungen zu vernehmen waren, die die Verpflichtung zur Schicksalsgemeinschaft mit der sich entwickelnden bürgerlichen ungarischen Nation bestätigten: so vor allem die Unterstützung der Idee der Union mit Ungarn, die immer häufigere Verwendung des Begriffs „Nation“ im bürgerlichen und nicht mehr im ständischen Sinne sowie die prioritäre Behandlung der Angelegenheit der ungarischen Sprache. Die Szekler waren also auf dem Weg, eine doppelte Identität für sich zu konstruieren: Im modernen, bürgerlichen Sinn bekannten sie sich als Angehörige der ungarischen Nation, sprachen aber weiterhin über die Szekler Nation als privilegierte ständische Nation. Wenn sie das nicht getan hätten, dann hätten sie auf die gründlich abgenutzten und verstümmelten, aber in bestimmten Bereichen des öffentlichen Lebens immer noch beanspruchten alten Freiheiten verzichtet, was für sie zu dem Zeitpunkt noch nicht in Frage kam. Dadurch verflocht sich die ständische und nationale Rhetorik. Am deutlichsten hat dies Sandor Körösi Csoma im Jahre 1825 zum Ausdruck gebracht, indem er sagte, er sei „der Sohn der szeklerischen Nation“, die „Teil der ungarischen Nation ist“. Allerdings verzichtete die Szekler Nation formell auf ihren privilegierten Status, indem sie in der Sitzung von Agyafalva (rum. Lutita) 1848 beschloss: „…..rechtlich und hinsichtlich ihrer Pflichten sind alle Bürger des Szeklerlandes gleich“. Damit hörte die ständische Szekler Nation auf zu existieren. Ungeachtet dessen haben die Szekler ihren Freiheitsmythos bis zum heutigen Tage weitertransportiert und wachgehalten. Ihre hartnäckige Forderung nach einer Autonomie des Szeklerlandes (Szekelyföld, tinutul secuiesc) im zentralistischen Staat Rumänien ist ein beredter Beleg dafür.

Die Siebenbürger Sachsen

Auch die Siebenbürger Sachsen haben im Verlauf ihrer nun bald 900-jährigen Geschichte mehrfach ihre Identität modifiziert. Heute gibt es hinsichtlich ihrer Benennung eine verblüffende Konfusion. Sie selbst nennen sich Siebenbürger Sachsen, und wenn sie unter sich sind, Sachsen. In Deutschland werden Sie Deutschrumänen oder Rumäniendeutsche genannt. In der offiziellen Sprachregelung werden sie „Deutsche rumänischer Nationalität“ genannt, wie der Außenmister Steinmeier anlässlich der Jubiläumsfeier des DFDR am 09. März 2015 ausdrücklich betonte. In Rumänien werden sie „rumänische Staatsbürger deutscher Nationalität“ genannt. Also, was sind die Siebenbürger Sachsen nun?

In den ersten uns überlieferten Quellen werden die Siedler mit dem Sammelbegriff hospites, dann flandrenses, teutonici, teutones, latini und erst später saxones benannt. Diese Mehrfachbenennung deutet darauf hin, dass es sich keineswegs um eine einheitliche Siedlergruppe gehandelt hat, und in der Tat hat es mehrere Generationen gedauert, bis sich der Neustamm der Siebenbürger Sachsen formiert hat. Bei der Übertragung des Namens Saxones, der wohl zunächst ein terminus technicus für privilegierte Siedlergruppen war, auf den sich bildenden Neustamm gewann er ethnischen Charakter, und es war zunehmend die Rede von der natio saxonica oder gar der gens saxonica. Dies waren zunächst aber Bezeichnungen von außen. Dass die Siedlergemeinschaft den Begriff Saxones für sich selbst auch in Anspruch zu nehmen begannen, erfahren wir relativ spät, nämlich im ausgehenden 14. und in der ersten Hälfte des 15. Jahrhundert. In mehreren Quellen ist jedoch vorher schon von ihrer Muttersprache, der lingua materna, die Rede. Ein interessantes Detail bei der sächsischen Identitätsfindung waren ihnen von außen zuerkannte Eigenschaften, nämlich circumspecti et prudenties (umsichtig und klug), also Eigenschaften, die mit ihnen gleichgesetzt wurden. Ab da wird dieses Ausdruckspaar auch innerhalb der Siedlergemeinschaft einen nationalen Stellenwert bewahren und geradezu identitätsstiftend werden. Ihr Nationalgefühl war ab Mitte des 15. Jahrhunderts sächsisch geprägt, d. h. man betrachtete sich als Saxones, deren nationale Bedeutung vor allem in der privilegierten Gemeinschaft auf eigenem Königsboden bestand, wobei der Nationalbegriff in erster Linie territorial-ständisch aufgefasst wurde. Das 16. Jahrhundert fügte dann dem

Bewusstsein der Siebenbürger Sachsen noch andere Bestandteile hinzu, wie etwa die deutsche Abstammung und Sprache, eigene Sitten und eigene kulturelle Leistungen. Vorher schon war ein Bewusstsein der Zugehörigkeit zum deutschen Sprachraum und Kulturkreis entstanden, vermittelt durch die rege Handelstätigkeit, die Wandergesellen und die Vielzahl siebenbürgisch-sächsischer Studierender an deutschen Universitäten. Jetzt aber intensivierte sich dieses Bewusstsein und die Sachsen begannen, sich immer mehr als Deutsche zu empfinden, ein Prozess, dem die Reformation auf der Wittenberger Basis einen weiteren Schub in Richtung Deutschtum verlieh. In den Selbstbezeichnungen wurden Sachse – Deutscher und sächsisch – deutsch zu Synonymen. So konnte es auch nicht ausbleiben, dass die Mehrheit der Sachsen sich im Bürgerkrieg nach dem Untergang des ungarischen Königreiches im Jahre 1526 auf die Seite der „deutschen“ Partei stellte
(Kronstadt bildete ein Ausnahme) und auch in späteren immer wieder aufflammenden Auseinandersetzungen auf den vermeintlich deutschen Kaiser setzte. Diese Haltung wurde von den beiden anderen Ständen als Ausbruchsversuch aus dem siebenbürgischen Verband oder gar als Landesverrat gewertet und führte zu heftigen Kontroversen im Landtag. Das Desinteresse der Kaiser an den sächsischen Belangen und die Konfrontation mit der zügellosen kaiserlichen Soldateska in der Folgezeit führte zum radikalen Umschwenken der Sachsen bezüglich ihres Bewusstseins. Bereits in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts rückte das Deutschbewusstsein in den Hintergrund und man besann sich auf die genuinsächsische Identität. Treibende Kraft hierbei war Kronstadt. Das 18. Jahrhundert, als Siebenbürgen bereits habsburgisch war, war geprägt von einer unmissverständlichen Aufwertung der sächsischen Selbstbezeichnung, so dass es als das Zeitalter des genuinsächsischen Nationalgefühls bezeichnet werden kann. Allerdings traf dies nur auf die Nationsuniversität, also den Privilegienverband zu. Die hörigen Sachsen auf Komitatsboden gehörten nur zweitrangig dazu und zwar über ihre Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche. Umso größer war der Schock, als Joseph II. die Stände auflöste. Die Sachsen empfanden dies als einen Fall ins Nichts. Auch wenn Joseph dieses Edikt auf seinem Totenbett wieder zurücknahm, so hat sich die Nationsuniversität davon nie mehr erholt. Es setzte eine Schockstarre und Resignation ein. Friedrich Teutsch hat diese Periode „die stille Zeit“ genannt.
Das 19. Jahrhundert brachte für das siebenbuügisch-sächsische Bewusstsein einen radikalenParadigmenwechsel mit sich. Noch während der „stillen Jahre“ begann die Wirtschaft infolge der langen Friedenszeit zu prosperieren. Es einstanden Manufakturen und Handelshäuser und es entwickelte sich ein wohlhabendes Wirtschafts- und ein selbstbewusstes Bildungsbürgertum. Vereinsgründungen jeglicher Art waren die Folge. Der wichtigste Verein war der „Verein für Siebenbürgische Landeskunde“. Seine Gründung war ein nationales Großereignis und er verstand sich als volkserzieherische Agentur. Er war der Humus für den beeindruckenden Höhenflug der siebenbürgisch-sächsischen Forschung, die auch in Deutschland hoch geschätzt wurde. In seinem Gefolge entstanden Gewerbevereine und zur Hebung des Bauernstandes ein Landwirtschaftsverein und eine Vielzahl von Raiffeisenvereinen, später auch Ackerbauschulen, die Hermannstätdter Sparkasse und die Bodenkreditanstalt. Auch das Geistesleben blühte wieder auf. Johann Gött gründete das „Siebenbürger Wochenblatt“ und weitere Periodika, die der Beginn einer soliden und wirkungsmächtigen Publizistik in Siebenbürgen waren. Publizisten, Dichter, Historiker und Politiker trugen in bedeutendem Maße zur Wiederbelebung des deutsch-sächsischen Bewusstsein bei. Die volkspolitischen Debatten fanden ab nun aber außerhalb der wirkungslahm gewordenen Nationionsuniversität, die sich auf verwaltungstechnische Gebiete zurückzog, statt. Ihre letzte große Tat war die zusammen mit der Kirche im Jahre 1844 gegründete Rechtsakademie mit Universitätscharakter, die jedoch schon 1887 ihre Tätigkeit wieder einstellen musste. Der nationale Aufbruch in den deutschen Ländern im Zusammenhang mit den Befreiungskriegen und das darauf gründende Einigungsbestreben in Deutschland schlug das siebenbürgisch-sächsische Bildungsbürgertum und vor allem die akademische Jugend ebenso in seinen Bann, wie das glänzende deutsche Literaturschaffen der damaligen Zeit. Schiller wurde geradezu zum Heros hochstilisiert. Kulturell fühlte man sich eins mit der deutschen Kulturnation, zu der damals selbstverständlich auch das schweizerische und das österreichische Kulturschaffen gehörten. Bischof G. P. Binder verordnete daher nicht zufällig am 09.12.1848 das Hochdeutsche zur Pflichtsprache in Kirche und Schule. Dies hatte jedoch zur Folge, dass das Siebenbürgisch-Sächsische endgültig zur Mundart herabsank. Der begeisterten und begeisternden Hinwendung zur deutsche Kulturnation wurde allerdings eine Grenze gesetzt, wie der bedeutende Publizist Franz Gebbel im Jahre 1868 im „Siebenbürgisch-Deutschen Wochenblatt“ formulierte: „Deutschland, wunderbares Wort! Deutschland, Mutter unserer Väter, Mutter unserer Sprache, unseres Glaubens, unserer Bildung (….) Heimatland unseres Geistes, Deutschland – unser bürgerliches Heimatland bist Du nicht und wirst es niemals werden! Eine andere Heimat hat uns Gott gegeben, ihr zu leben, sie zu lieben und für sie zu sterben (….).“ Dieses Credo behielt seinen Bestand auch nach der Inkorporierung Siebenbürgens in den großrumänischen Staat nach dem 1. Weltkrieg. Daran hat die kurze aber dramatische Phase der nationalsozialistischen Umgestaltung und das Bestehen der Volksgruppenführung auf den gesamtdeutschen Gedanken im Prinzip auch nichts ändern können. Allerdings haben die Sachsen später schwer unter dieser Verirrung sehr stark leiden müssen. Wenn in der Vergangenheit die sächsische Nation im ständischen Sinne des Königsbodens verstanden wurde, so sprach man jetzt nur noch vom „sächsischen Volk“ und bezog die Sachsen auf dem Komitatsboden selbstverständlich mit ein, zumal sie nach der Revolution von 1848/49 der Hörigkeit entledigt worden waren. Mit der endgültigen Auflösung der Nationsuniversität im Jahre 1876 trat die Kirche in diese hinterlassene Lücke und wurde zum Interessenvertreter des sächsischen Volkes. Sie hat unter Führung von Bischof Georg Daniel Teutsch diese Aufgabe kraftvoll angenommen und wurde zu der, wie wir gewöhnt sind zu sagen, sächsischen Volkskirche. Die Zugehörigkeit zu ihr wurde für die Sachsen geradezu identitätsstiftend und die Kirche wurde zu ihrem hauptsächlichen Kristallisationspunkt. Auch daran konnte die kirchenfeindliche nationalsozialistische Phase nichts ändern, denn, wie jemand einmal formulierte: „Die Sachsen sind der Volksgruppenführung nur mit einem Bein nachgelaufen. Das andere Bein blieb fest unter der Kanzel einbetoniert.“ Ich komme nun zum Ausblick und beschränke mich dabei auf die Siebenbürger Sachsen.

Ausblick

Wie wir alle zur Kenntnis nehmen mussten, hat ein überwältigend großer Teil des sächsischen Volkes aus einem Knäuel von Gründen, die hier nicht zur Debatte stehen, die entscheidende Passage von Gebbels Feststellung: „Deutschland – unser bürgerliches Heimatland bist Du nicht und wirst es niemals werden! Eine andere Heimat hat uns Gott gegeben, ihr zu leben, sie zu lieben und für sie zu sterben“ für sich außer Kraft gesetzt und hat vor allem Deutschland durch die Auswanderung dorthin auch zum „bürgerlichen Vaterland“ gemacht. Ob die dortige sächsische Gemeinschaft nach dem Ableben der Erlebensgeneration ihre sächsische Identität wird bewahren können, oder ob sie zu einem Traditions- und Folkloreverband mutieren wird, soll hier ebenfalls nicht erörtert werden. Fest steht, dass die im DFDR organisierten in Rumänien verbliebenen Sachsen sich der Gebbelschen Sicht der Dinge nach wie vor verpflichtet fühlen. Das belegt ihr außerordentlich starkes und punktuell erfolgreiches kommunalpolitisches Engagement sowie die Tatsache, dass einer von ihnen es in seinem Dienst am „rumänischen Vaterland“ sogar zum Staatspräsidenten gebracht hat. Ungeachtet dessen fühlen sie sich selbstverständlich nach wie vor der deutschen Kulturnation zugehörig, was keines besonderen Beleges bedarf. Zu einer lebensfähigen ethnischen Gemeinschaft gehören, wie schon dargelegt wurde, klar erkennbare Konturen in Sitten, Gebräuchen, ethischen Normen und vor allem eine selbstbewusste Identität und ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Darüber hinaus zeichnet sich eine vitale Gemeinschaft dadurch aus, dass sie regional fest verwurzelt ist und aus allen Generationen besteht, also aus Jung und Alt, sowie insbesondere eine leistungsstarke mittlere Generation aufweist. Das Zusammengehörigkeitsgefühl war bei den Sachsen immer sehr stark, und um es zu festigen, haben sie Gesellungsformen geschaffen, die über Jahrhunderte Bestand hatten und auch von außen mit bewunderndem Staunen betrachtet wurden: die Nachbarschaften, Bruderschaften, Schwesterschaften, später die Vereine, Kränzchen u.v.a.m. In welcher Verfassung befindet sich nun die sächsische Gemeinschaft heute? Bedauerlicherweise ist festzustellen, dass sie auf einen Bruchteil ihrer ehemaligen Kopfstärke geschrumpft ist und ein sehr hohes Durchschnittsalter aufweist, das von Jahr zu Jahr steigt. Die deutschen Schulen existieren zwar noch, werden aber mangels eigenem Nachwuchs überwiegend von andersnationalen Kindern besucht. Auch die Jugendforen setzen sich überwiegend aus nichtsächsischen Jugendlichen zusammen. Hinzu kommt noch, dass infolge der veränderten demographischen Situation gemischtnationale Eheschließungen geradezu zur Norm geworden sind. Der Nachwuchs aus diesen Familien wird seine Identität neu definieren müssen. Dieses Phänomen hat zudem zur Folge, dass die Gottesdienste der ev. Kirche zunehmend zweisprachig abgehalten werden müssen, da angeheiratete nichtsächsische Ehepartner, gelegentlich auch deren Kinder, zwar evangelisch sind, aber die traditionelle Gottesdienstsprache, nämlich das Deutsche, nicht beherrschen. Auch bezüglich der Gesellungsformen hat infolge der Globalisierung, der hohen Mobilität sowie des Siegeszugs der modernen Kommunikationstechnik ein radikaler Paradigmenwechsel stattgefunden. Große Teile der jüngeren und mittleren Generation kommunizieren per E-Mail und SMS miteinander, unterhalten sich in Chat-Rooms oder in den sozialen Netzwerken. Traditionelle Formen der Gesellung werden zur Ausnahme. Der Soziologe Ullrich Beck konstatiert eine rasante Enttraditionalisierung der Gesellschaft mit verheerenden Folgen für das gerade in Deutschland bisher stets hochgehaltene Vereinsleben. Es fehlt allenthalben an aktivem Nachwuchs. Der ehemalige Ratspräsident der EKD Huber sprach kürzlich hinsichtlich des kirchlichen Bereichs von einem signifikanten Traditionsabbruch, was natürlich das Gemeindeleben vor große Herausforderungen stellt. Vereinzelung der Menschen, diffuse Orientierungslosigkeit, Unverbindlichkeit, Beliebigkeit, Wertevakuum, Unverlässlichkeit, Gefühl der Heimatlosigkeit sind Schlagworte, die immer häufiger in der soziologischen Literatur diskutiert werden. Schon längst ist die Rede von der permissiven Gesellschaft. Sollten diese Erscheinungen, sofern sie zutreffen, angesichts der Globalisierung und der völlig offenen Grenzen ausgerechnet vor Siebenbürgen halt machen? Wohl kaum!

Dies alles kann man zwar beklagen, ändert aber dadurch nichts daran. Es ist
daher zur Kenntnis zu nehmen und zu akzeptieren. Welche Konsequenzen werden diese Erscheinungen aber für das ohnehin sehr geschwächte sächsische Gemeinschaftsleben haben? Wir wissen es nicht. Noch nicht.
Die Geschichte bleibt, wie wir alle wissen, nicht stehen. Gesellschaften entfalten und verändern sich stetig und müssen ihre Identitäten je nach Gesellschaftsbedingungen immer wieder neu begründen. Die sächsische Gesellschaft in Siebenbürgen steht also zur Zeit vor einer großen Herausforderung. Eins steht aber jetzt schon fest: Die sächsisch-deutsche Gesellschaft wird in der Zukunft ein anderes Bild bieten, als wir es aus der Retrospektive heraus kennen.