Inspiriert durch die Erzählungen von Theodor Heuss in seinem Buch „Schattenbeschwörungen“ habe ich einige sonderbare historische Persönlichkeiten beschrieben. Die erste dieser Beschreibungen bezieht sich auf den schwedischen König Karl XII., dfer im Jahr 1714 einen Gewaltritt von 2150 km von Pitesti in der Walachei nach Stralsund binnen 15 Tagen zurückgelegt hat, eine phantastische reiterliche Leistung.
Das türkische Abenteuer und der Gewaltrittdurch Siebenbürgen
des Königs Karl XII von Schweden
Einleitung
Im Alter von 13 Jahren las ich in der Bibliothek meines Großvaters in meinem Heimatort Nadesch in Siebenbürgen ein Heftchen mit dem Titel „Karl XII., ein deutscher Held auf dem schwedischen Thron“. Das Heftchen war ein Überbleibsel der reichsdeutschen Pimpfe, die Anfang der 40er Jahre in mehrere Sommerlager nach Siebenbürgen, auch nach Nadesch, verschickt worden waren, um das damals hochgehaltene Auslandsdeutschtum kennenzulernen. Andere ähnliche Heftchen beschäftigten sich mit Hermann dem Cherusker, dem letzten Staufer Konradin, den Helden des Lützowschen Freikorps, dem U-Boot-Kommandanten Otto Weddigen, Albert Leo Schlageter, der 1923 während der Ruhrbesetzung von den Franzosen wegen bewaffneten Widerstandes hingerichtet worden war, und natürlich mit Horst Wessel. Dass diese Heftchen nationalsozialistisches Propagandamaterial für die Hitlerjugend waren, ist mir erst nachträglich bewusst geworden. Damals war ich aber von den beschriebenen Heldentaten fasziniert. Eine andere Hinterlassenschaft der Hitlerjungen war ein khakifarbenes Epaulettenhemd, das mir tadellos passte. Von besonderer Pikanterie war die Tatsache, dass ich es bei offiziellen Schulanlässen mit umgebundenem roten Pionierhalstuch der kommunistischen Schülerorganisation trug, ohne dass irgendjemand daran Anstoß nahm. Besonders bewundert habe ich den Gewaltritt Karls XII., der 1714 eine Strecke von 2150 km (von Pitesti in der Walachei bis Stralsund an der Ostsee) binnen 15 Tagen zurücklegte, also durchschnittlich 143 km pro Tag. Dass er dabei auch durch Siebenbürgen gekommen war, erregte meine Neugier in besonderem Maße. Später habe ich mich natürlich mit diesem König und dem von ihm entfesselten Großen Nordischen Krieg beschäftigt und auch die einschlägige Literatur dazu gelesen. Seinen Aufenthalt in der Türkei nach der verlorenen Schlacht bei Poltawa in der Ukraine und seine aufsehenerregende Rückkehr habe ich dann aber nicht weiter verfolgt. Diese hochinteressante Episode kam mir erst wieder in den Sinn, als ich kürzlich in der mehrbändigen „Geschichte des Osmanischen Reiches“ des rumänischen Polyhistors Nicolae Iorga stöberte und dabei auch auf sie stieß. Iorga beendet verständlicherweise seine diesbezüglichen Darlegungen mit der Ankunft Karls in Pitesti. Zusätzliche Einzelheiten sind auch bei den rumänischen Chronisten Ioan Neculce und Gheorghie Sincai zu finden. Seinen Ritt von Pitesti durch Siebenbürgen beschreibt aber einigermassen ausführlich Franz Zimmermann in seinem Aufsatz „Der Schweden Durchzug durch Siebenbürgen um das Jahr 1714“ vom Jahre 1882 in „Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde, Neue Folge. Siebzehnter Band. I. Heft, Hermannstadt 1882“. Er verwendete dabei alle damals zugänglichen Quellen. Eine umfängliche und zeitraubende Internet- Recherche förderte dann noch etliche weitere Details zutage, sowohl zu seinem Zwangsaufenthalt in der Türkei, als auch zu seinem Gewaltritt, sodass ein einigermassen klares Bild entstehen konnte. Das Buch von Robert Denndorf: Als König Karl XII. von Schweden Gast der Rumänen war, 2017, wurde aus technischen Gründen nicht ausgewertet.
Die folgende Darstellung endet mit der Ankunft des Königs in Nordwestsiebenbürgen. Hinsichtlich seines weiteren Weges haben sich die Quellen verflüchtigt, oder ich habe sie nicht freilegen können.
Persönlichkeit Karls XII
Das Urteil über Karl XII ist sehr zwiespältig. Bewundernswerter „Heldenkönig“ oder verantwortungsloser Abenteurer? Dazwischen bewegen sich alle Stellungnahmen der Zeitgenossen und späterer Analytiker. Das ausgewogenste Urteil hat wohl Friedrich der Große in einem Essay von1759 abgegeben: „……………..Faßt man die verschiedenen Charakterzüge dieses eigenartigen Königs zusammen, so findet man, daß er mehr tapfer als geschickt, mehr tätig als klug, mehr seinen Leidenschaften unterworfen als seinem wahren Vorteil zugetan war. Ebenso kühn wie Hannibal, aber weniger schlau, mehr dem Pyrrhus als Alexander ähnlich, glänzend wie Condé bei Rocroy (1643), Freiburg (1644) und Allersheim (1645), aber niemals mit Turenne zu vergleichen, noch so bewundernswert wie dieser in den Schlachten bei Gien (1652), in den Dünen unweit Dünkirchen (1658), bei Kolmar und besonders in seinen beiden letzten Feldzügen.
Welchen Glanz auch die Taten unseres berühmten Helden verbreiten, man darf ihm doch nur mit Vorsicht nachahmen. Je mehr er blendet, desto geeigneter ist er, die leichtfertige, brausende Jugend irrezuführen. Ihr kann man nicht genug einschärfen, daß Tapferkeit ohne Klugheit nichts ist und daß ein berechnender Kopf auf die Dauer über tollkühne Verwegenheit siegt. Ein vollkommener Feldherr müßte den Mut, die Ausdauer und die Tatkraft Karls XII., den Blick und die politische Klugheit Marlboroughs, die Pläne, Hilfsmittel und Fähigkeiten des Prinzen Eugen, die List Luxemburgs, die Klugheit, Methode und Umsicht Montecuccolis mit der Gabe Turennes, den Augenblick zu erfassen, vereinigen. Aber ich glaube, dieser stolze Phönix wird nie erscheinen…… …..Aber, wird man sagen, mit welchem Rechte wirfst du dich zum Richter der berühmtesten Krieger auf? Hast du, großer Kritiker, denn selbst die Lehren befolgt, die du so freigebig erteilst? Ach nein! Ich kann hierauf nur das eine antworten: Fremde Fehler fallen uns auf, aber die eigenen übersehen wir……“
Immerhin genoß Karl einen solch großen europäischen Ruhm, dass selbst der große französische Philosoph und Publizist Voltaire es sich nicht nehmen ließ, 1731 eine vielbeachtete Biografie vom Leben Karls XII. zu publizieren, die auch Friedrich den Großen beeinflusst hat. Im letzten Kapitel gab er ein Gesamturteil zum Wirken Karls XII. ab, der „durchlebt“ habe, „was nur das Glück Großes und was nur das Unglück Hartes enthält, ohne auch nur einen Augenblick lang durch das erstere verweichlicht oder durch das letztere erschüttert worden zu sein………aber er steigerte alle Heldentugenden bis zu einem Grade, daß sie ebenso gefährlich wurden wie die entgegengesetzten Laster. Seine Festigkeit wurde zum Starrsinn …; seine Freigebigkeit ging in Verschwendung über und ruinierte Schweden … und in den letzten Jahren näherte sich die Art seiner Regierung der Tyrannei……….. Er griff selbst nie jemand zuerst an, aber er war in seiner Rachsucht mehr unversöhnlich als klug. Er war der erste, der den Ehrgeiz besaß, Eroberer zu sein, ohne seine Staaten zu vergrößern; er wollte Reiche nur gewinnen, um sie zu verschenken. Seine Leidenschaft für den Ruhm, den Krieg und die Rache verhinderte ihn ein guter Politiker zu sein, ohne welche Eigenschaft es nie einen Eroberer gab…..Er war nicht so sehr ein wirklich großer als ein außerordentlicher Mensch und mag wohl Bewunderung erregen, doch er ist nicht nachahmenswert……“
Karl XII. entstammte der Pfalz-Zweibrücken-Kleeburgischen Linie des Hauses Wittelsbach, die nach der Abdankung der Tochter Gustav Adolfs, Königin Christine, im Jahre 1660 auf den schwedischen Thron gelangt war. Er wurde am 27. Juni 1682 als ältester Sohn des amtierenden Königs Karl XI. in Stockholm geboren. Schon sehr früh zeichnete er sich durch ein ausgesprochen draufgängerisches und ungestümes Wesen aus. Sein Selbstbewusstsein war so stark ausgeprägt, dass er es nach dem Tode seines Vaters energisch durchsetzte, im Alter von nur 15 Jahren bereits die Volljährigkeit zuerteilt zu bekommen. Außerdem setzte er sich zu aller Verblüffung und entgegen der damaligen Etikette die Königskrone eigenhändig auf. Sowie er die Regierungsgewalt übernommen hatte, etablierte er eine auf seine Person zugeschnittene autokratische Herrschaft. Seinen außerordentlich Ruhm erlangte er, als er nach der Entfesselung des Großen Nordischen Kriegs (Seine Gegner waren Dänemark, Polen-Litauen-Sachsen und Russland.) erst 18-jährig von Sieg zu Sieg eilte. Besondere Beachtung fand sein Sieg über die Russen bei Narwa, wo es ihm gelang, mit nur 10.000 Mann ein russisches Heer von 40.000 Mann vernichtend zu schlagen. Er schien ab da nicht mehr aufzuhalten zu sein und genoß eine europaweite Bewunderung. Die Anteilnahme wich auch nicht, als ihn das Kriegsglück verlassen hatte, und er nach der verlorenen Schlacht bei Poltawa im Jahre 1709 in der Türkei Zuflucht suchen musste. Bewundert wurde vor allem seine spartanische Lebensführung. Er hatte keine Frauenaffären, verzichtete völlig auf Alkohol und ernährte sich sehr einfach. Auch scheute er sich nicht, im Felde mit seinen Soldaten zusammen zu biwakieren. Zu seiner Lebensführung gehört auch seine starke, ja, fanatische Bindung an die lutherische Kirche. Daher verwundert es nicht, dass er auf dem Höhepunkt seiner Macht in der Altranstädter Konvention vom 31.08.1707 energisch zugunsten der schlesischen Protestanten beim Kaiser Josef I. intervenierte. Er fühlte sich wie der große Wasa-König Gustav Adolf als Protektor des Protestantismus.
Seine spektakuläre Heimkehr aus der Türkei nach mehrjähriger Abwesenheit brachte ihm kein Glück. Es gelang ihm nicht mehr, die inzwischen zusammengebrochene Grossmachtstellung Schwedens wieder aufzurichten und er fiel am 30. November 1718 bei der Belagerung von Frederikshald in Norwegen 36-jährig unter noch ungeklärten Umständen. Schweden aber hatte sämtliche Besitzungen auf dem Kontinent eingebüsst. Russland war nun die aufstrebende Macht im Baltikum und an der östlichen Ostsee.
Die Tragik dieses ungewöhnlichen Herrschers besteht darin, dass er sich zwar zeitlebens als Kriegsheld, als „Nordischer Alexander“, bewährte, jedoch das Gebiet der Diplomatie, das die Regenten und Staatsmänner seines Jahrhunderts so kunstvoll beherrschten, ihm gänzlich fremd blieb. Seine persönliche Starrheit und Einseitigkeit haben letztlich den Fall Schwedens verschuldet. Das Urteil der Geschichte blieb also bis heute schwankend. In scharfem Kontrast stehen „die anziehende Persönlichkeit des Heldenkönigs“ und die durch ihn bewirkte katastrophale Zertrümmerung der schwedischen Großmacht nebeneinander. Er war auch der erste Kriegsfürst, dessen sonst glänzend bewährte Strategie an Russland zerbrach. Andere sollten ihm darin folgen.
Die Invasion in Russland und die Wende von Poltawa
Wie später Napoleon Bonaparte und Adolf Hitler glaubte Karl, nunmehr auf dem Höhepunkt seiner Macht und in der Überzeugung unbesiegbar zu sein, mit Russland leichtes Spiel zu haben und es rasch niederzwingen zu können.
Im September 1707 verließ die schwedische Armee Sachsen. Die Soldaten hatten sich mehrere Monate ausruhen können und waren in guter Verfassung. In den Kabinetten der europäischen Großmächte zweifelte kaum jemand an einem Sieg der Schweden.
Bis in den Sommer 1708 hinein marschierte die schwedische Armee in Richtung Moskau. Nun wurde der Proviant allmählich knapp und die Soldaten waren erschöpft, und Karl XII. gab schließlich den Befehl, Richtung Süden zu schwenken. Dort wollte er den Kosaken-Hetman Mazeppa mit angekündigten 20 000 Mann und Nachschub erwarten. Am 11. Oktober 1708 erreichte eine kaum noch kampffähige schwedische Armee die Grenze zur Ukraine. Doch dann häuften sich die Hiobsbotschaften.
Die schwedische Entsatzarmee unter General Adam Ludwig Lewenhaupt war am 27. September 1708 bei Lejasna von den Russen vernichtend geschlagen worden. 6400 Mann schafften es zwar bis zum Hauptquartier des schwedischen Königs, aber die Lebensmittel waren verloren.
In der Ukraine konnte die Armee im Herbst 1708 zwar wieder ein wenig ihre Kräfte sammeln, aber kurz vor Weihnachten kam es zu einem strengen Wintereinbruch. Trotz der ungewöhnlichen Kälte ließ Karl XII. seine Truppen gnadenlos weitermarschieren, wobei er 2.000 Tote hinnehmen musste. Er hoffte aber immer noch auf die Hilfe des Kosaken-Hetmans Iwan Mazeppa, der kurz vorher die Fronten gewechselt hatte und sich vom russischen Zaren Peter losgesagt hatte. Als Vergeltung für diesen Verrat hatte Peter einen Vernichtungsfeldzug gegen das Hetmanat geführt und die Bevölkerung dermassen eingeschüchtert, dass sie Mazeppas Aufruf zu den Waffen nicht Folge leistete. Lediglich die Kosaken der Saporoger Sic folgten ihm bedingungslos. Zusätzlich mangelte es ihm ebenso wie dem schwedischen Heer an Nachschub.
Im Mai 1709 begann Karl mit der Belagerung der Festung Poltawa. Hier hoffte er, Lebensmittel und Schutz zu finden. Auch der russische Zar war nach dem Sieg bei Lesjana zu einer Schlacht bereit und marschierte auf Poltawa, um die Festung zu entsetzen.
Als es endlich zu der von Karl gesuchten Schlacht kommen sollte, war die schwedische Armee kaum noch einsatzfähig. Viele Soldaten litten an Durchfall und Wundfieber.
Zu allem Übel verletzte sich Karl am 17. Juni 1709 bei einem Erkundungsritt auch noch so schwer, dass er das Kommando nur noch von einer Bahre aus führen konnte.
Am Abend des 7. Juli 1709 gab Karl XII. von Schweden den Befehl, in der Nacht Poltawa zu stürmen. Die Infanterie sollte in mehreren Kolonnen in der Nacht die Palisaden der Festung überwinden. Der Plan setzte voll und ganz auf den Überraschungseffekt. Da Karl XII. immer noch eine Tragbahre benutzen musste, übernahm General Renkiöld das Kommando.
Schon der Aufmarsch der Kolonnen vollzog sich chaotisch. Erst im Morgengrauen konnten die Schweden angreifen und schienen um 5.00 Uhr in der Früh auf dem linken Flügel auch tatsächlich Erfolg zu haben, aber das Zentrum und der rechte Flügel scheiterten kläglich. Zar Peter hatte mittlerweile sein Heer alarmiert und bis 9.00 am Vormittag neu formiert. 22 000 Russen standen nun 4000 Schweden gegenüber. General Renkiöld gab schließlich den Befehl zum Angriff. Schon oft in diesem Krieg konnten die Soldaten Karls XII. durch beherztes Handeln die Lage wenden. In der Schlacht von Poltawa gelang dies nicht mehr. Die russische Übermacht setzte sich auf der ganzen Linie durch. In der schwedischen Armee kam es zu wilden Auflösungserscheinungen, und auch die nachrückende Kavallerie konnte die totale Niederlage nicht mehr verhindern.
In der Literatur über diese Schlacht wird oft die Frage gestellt, wer die entscheidenden Fehler begangen hat. Sicher war es von Nachteil, dass Karl XII. nicht persönlich führen konnte. Voltaire meinte dazu lakonisch: „Die Erinnerung von Narwa ist schuld am Untergang bei Poltawa“. Das heißt, Karl XII. hatte seinen Gegner sträflich unterschätzt. Mit Müh und Not entging Karl einer Gefangennahme und rettete sich in Richtung auf osmanisches Territorium. Nach vielen Mühen und hohen Verlusten langte er schließlich mit ca. 1.000 Schweden und zusätzlich einer unbekannten Zahl moldauischer und walachischer Söldner und Kosaken in der Festung Ozcakow am Schwarzen Meer an. Nach kurzer Zeit wurde ihm in aller Form als Aufenthaltsort Bender (heute Tighina am Dnjestr im Machtbereich der von Moldawien abtrünnigen „Republik Transnistrien“) zugewiesen. Kommandeur der Region Bender war der polnische Renegat Jussuf Pascha, der die Aufgabe hatte, auf diesem vorgelagerten Posten des Reiches für Informationen aus dem Norden zu sorgen.
Fünf Jahre Ränkeschmieden in der Türkei
Hier setzte Karl nun alles daran, die Pforte zu einem Vergeltungskrieg gegen Russland zu bewegen. An diesen Aktionen, Verhandlungen und Intrigen waren eine Fülle von Personen mit sehr unterschiedlichen Interessen beteiligt. Auf schwedischer Seite waren dies neben Karl selbst und seinen Offizieren unter anderem der von ihm auf den polnischen Thron gesetzte, aber inzwischen wieder vertriebene König von Polen, Stanislaw Leszczinski, August der Starke hatte ihn vom Thron wieder verdrängt, der polnische Magnat Stanislaw Poniatowski, der mehr und mehr zu seinem Verhandlungsführer in Istanbul wurde, der litauische Magnat Jozef Potocki und der Diplomat Friedrich Ernst von Fabrice, der sich im Auftrag von Holstein-Gottorf zu Karl begeben hatte und dort 5 Jahre lang als einer seiner engsten Vertrauten galt. Er war nach Karls Rückkehr dessen Missionär in England, trat aber dann in den Dienst des Königs von England, Georg I. von Hannover. Die Karl-Biographie von Voltaire, der sich gleichzeitig in England aufhielt, geht hauptsächlich auf Informationen von Fabrice zurück. Er hat auch selbst Publikationen über Karl herausgegeben, die aber kaum noch zugänglich sind. Eine undurchsichtige Rolle spielte auch der deutsche Abenteurer Martin Neugebauer, der 1704 aus russischen Diensten zu Karl übertrat und vor allem ab 1709 zusammen mit Poniatowski dessen Interessen am Hof des Sultans vertrat. Er beherrschte die dort geltenden Spielregeln perfekt und nutzte sie skrupellos. Russischerseits war die entscheidende Figur der kluge und rücksichtslose Gesandte Pjotr Alexejewitsch Tolstoi, der virtuos die Kunst der Bestechung beherrschte. Auf osmanischer Seite waren es neben dem Sultan Achmed mehrere Wesire und Regionalpaschas, die landesüblich immer wieder mal wechselten, und der Khan der Krimtataren. Eine gewisse Rolle spielten auch der Hetmann der Kosaken und die Fürsten der Moldau und der Walachei. Der Kosaken-Hetman Mazeppa war ein hochgebildeter ukrainischer Adliger und hatte u.a. am Jesuitenkolleg in Warschau studiert. Er starb aber schon am 21. September 1709 in Bender (heute Tighina in Transnistrien) und wurde in der Kirche St. Georg in Galatz beerdigt. 1711 haben ihn die Türken ausgegraben und den Leichnam in die Donau geworfen. Von entscheidender Bedeutung waren auch die vielen europäischen Diplomaten am Sultanshof sowie eine unübersehbare Zahl von Agenten, Kaufleuten und Spekulanten sowie Spionen. Sie alle betrieben intensive Lobbyarbeit, sammelten Informationen, streuten Falschinformationen und waren Meister der Bestechung. In der 5-jährigen Anwesenheit Karls in der Türkei herrschte ein reger Verkehr zwischen seinem Aufenthaltsort und Istanbul bzw. Edirne (Adriananopol). Karl empfing von überall in Europa, speziell aus Schweden, Boten und sandte selbst massenhaft welche aus. Sein Hauptproblem bestand darin, dass er völlig mittellos war und auf die Alimentierung durch den Sultan angewiesen war. Im Übrigen machte er völlig unbefangen enorme Schulden.
1710/11 schien sich die Hoffnung Karls auf einen Vergeltungskrieg zu erfüllen. In der Türkei hatte sich eine Machtverschiebung vollzogen, nachdem Achmed III. 1703 durch einen Putsch an die Macht gelangt war und nach der Wiedererlangung der Festung Azov strebte, die 1696 an Russland verlorengegangen war. Darüberhinaus war der leidenschaftliche Russlandgegner Devlet II. Girai 1709 erneut zum Khan der Krimtataren ernannt wurden und setzte alles daran, einen Krieg gegen Russland anzuzetteln. Ihm zur Seite standen die Saporoger Kosaken, mit denen er sich nach langjähriger Gegnerschaft ausgesöhnt hatte. Der neue Hetman Filip Orlyk, Mazeppa war ja 1709 gestorben, galt ebenfalls als leidenschaftlicher Russlandgegner. Alle diese Kräfte wurden durch ein diplomatisches Trommelfeuer am Sultanshof durch Karls Emissäre dahingehend beeinflußt, dass sich der Sultan schließlich zu einer Kriegserklärung an Russland entschloss. Daran konnten auch die enormen Bestechungsgelder des russischen Gesandten Tolstoi nichts mehr ändern. Auch die Vermittlungsversuche Englands, Frankreichs und der Generalstaaten halfen nichts. Die Kriegserklärung erfolgte im November 1711. Karl schien am Ziel seiner Hoffnungen angelangt zu sein, doch es sollte anders kommen. Peter glaubte, den Türken durch einen Gegenschlag zuvorkommen zu können, indem er versuchte die Balkanvölker zu einem Aufstand gegen die Türken aufzuwiegeln. Anknüpfend an alte Hoffnungen der balkanischen Christen auf russische Hilfe rief Peter in Proklamationen die Glaubensbrüder auf dem Balkan auf, sich gegen die ungläubigen Unterdrücker zu erheben. Ihnen folgten jedoch lediglich eine kleine Schar von Montenegrinern. Für die Wirksamkeit dieser Idee war es zu dem Zeitpunkt noch zu früh. Erst im 19. Jahrhundert gelangte die russische Variante des Panslawismus zur vollen Geltung, nachdem sie ein ideologisches Fundament erhalten hatte, und der Schutz der orthodoxen Balkanvölker zur russischen Staatsraison wurde. Er selbst brach mit einem Heer in Richtung Donau auf. Der undurchsichtige Großwesir Baltaci Mehmed Pascha, der den Feldzug leitete, verschleppte zunächst den Abmarsch und den späteren Aufmarsch der türkischen Truppen aus unbekannten Gründen und gab Peter Gelegenheit, seine Armee zu sortieren und in die Moldau einzurücken. Obwohl der Fürst der Moldau Dimitrie Cantemir inzwischen offen und der der Walachei Constantin Brancoveanu verdeckt zugunsten des Zaren agierten, gelang es diesem trotz der Zögerlichkeit des Großwesirs nicht, rechtzeitig einen ausreichenden Nachschub sicherzustellen. In der Nähe von Husi am Pruth, in Stalinesti, wurde die russische Armee von einer überlegenen türkischen Streitmacht eingekesselt und Peter konnte sich mangels Lebensmitteln kaum noch wehren. Für ihn gab es schließlich nur noch zwei Möglichkeiten: Gefangennahme oder Tod. Da geschah das rätselhafte „Wunder am Pruth“, wie es in der Literatur heißt. Die Türken nutzten ihre Chance nicht, und der Großwesir verzichtete auf die Vollendung seines militärischen Triumphes und die Gefangennahme des Zaren und damit auf alle sich daraus ergebenden Möglichkeiten. Wie ist das zu erklären? Bei den Verhandlungen mit dem Großwesir war auch die Zarin Katharina ohne Peter in dessen Zelt erschienen, und das Ergebnis war, dass die Russen mit dem Zaren an der Spitze freien Abzug erhielten. Mit Musikbegleitung und wehenden Fahnen zogen die Besiegten in voller Ordnung ab, als wären sie die Sieger. Allerdings war der Großwesir jetzt um ein Vielfaches reicher als vorher und zusätzlich im Besitz des gesamten Schmuckes der Zarin. Dass sie bei der Gelegenheit auch die Geliebte des Großwesirs gewesen sei, wie hartnäckig kolportiert wurde, gehört sicher in den Bereich der Legenden. Der Historiker Reinhard Wittram bietet eine ganz andere, sehr viel einleuchtendere, Erklärung für das „Wunder am Pruth“ an: Es sei vor allem die Furcht vor einem Eingreifen Österreichs bei einer Zerschlagung Russlands gewesen, die dem Interesse von Wien zuwider gelaufen sei, zumal es nach der Niederschlagung des Rakoczi-Aufstandes (Kuruzzen- Krieg) die Hände wieder frei hatte, und mit dem Prinzen Eugen an der Spitze seiner Streitkräfte einen furchterregenden Gegner darstellte. Einem solchen Gegner sei die Türkei nicht gewachsen gewesen und deshalb sei der Wesir vor einer Vernichtung Russlands zurückgeschreckt. Für die Türkei waren die relativ milden Kapitulationsbedingungen akzeptabel: Die Festung Asov und die kurz vorher errichteten Verteidigungsanlagen mußte Russland an die Türkei abtreten, die neu errichtete Schwarzmeerflotte war an die Türkei zu verkaufen, Russland musste Polen räumen und Karl XII. die Heimkehr durch Polen gestattet werden, die jetzt wieder aufgenommenen Tributzahlungen an die Tataren durften aber geheim bleiben. Auch mußte sich Russland bequemen, zuzulassen, dass der verjagte polnische König Leszczinski wieder auf den polnischen Thron gesetzt werde. Für Karl war das Ergebnis dieser Kampagne eine Katastrophe. Empört intervenierten er und sein Agent Funk beim Sultan und forderten die Absetzung des Großwesirs, was dann mit einiger Verzögerung am 20. November 1711mit der Anschuldigung der Bestechlichkeit auch geschah. Die Türkei blieb jedoch bei den Abmachungen mit Russland. Karl wurde sogar bedeutet, sich unverzüglich auf den Weg über Polen in sein Heimatland zu machen. Gleichzeitig wurden ihm die zum Lebensunterhalt notwendigen Tagegelder gesperrt und die Paschas Kara-Mohammed und Hassan nach Bender beordert, um ihn durch Polen zu geleiten. Karl dachte gar nicht daran, sich fortzubewegen, und liess den Wesir wissen, dass er auf den ersten Türken, der sich ihm feindlich zu nähern wage, feuern werde. Dem neuen Wesir Jussuf Dschurdchi gegenüber erklärte der „heroische Eisenkopf“ (Demirbasch), er gedenke nur mit einem ansehnlichen Armeekorps und 600.000 Skudi in den Taschen das türkische Gebiet zu verlassen. Im übrigen sei er bereit, gegen die zu Feinden gewordenen Gastgeber kämpfend zu sterben. Immerhin erhielt Karl daraufhin wenigstens seine Tagegelder wieder. Als sich herausstellte, dass Peter die Erfüllung seiner Auflagen aus der Abmachung vom Pruth verschleppte, verhärteten sich die Beziehungen zwischen der Türkei und Russland wieder, und es entstand wieder eine wachsende Kriegsgefahr. Jetzt erst lenkte Peter ein und begann damit, die Friedensauflagen zu erfüllen. Am 21. April 1712 ließ dann der Sultan den König wissen, dass der ins Auge gefasste Krieg gegen die Russen nach der im Verhalten Peters eingetretenen Wendung fallen gelassen worden sei. Nach der Vermittlung durch die Vertreter Englands und der Generalstaaten kam es sogar zu einem Vertrag auf 25 Jahre. Dieser Nachricht fügte der Sultan eigenhändig hinzu: „Diesem meinem kaiserlichen Briefe gemäß wurde die Leitung Ihrer friedlichen Rückreise nach Schweden durch Polen dem Krimkhan und dem Pascha Ismael von Bender anvertraut; Sie müssen also nun auch tun, was dieser unser Brief empfiehlt.“ Karl dachte erneut nicht daran, sich fortzubewegen, zumal er, wie er auch geltend machte, völlig mittellos war. Bis Oktober 1712 geschah also gar nichts. Bewegung kam in die Angelegenheit, als immer klarer wurde, dass Peter doch nicht bereit war, Polen gänzlich zu räumen und zuzulassen, dass Lesczcinski wieder auf den polnischen Thron gesetzt wurde. Auf das Betreiben des Khans hin erfolgte eine erneute, aber eher halbherzige, Kriegserklärung an Russland. Immerhin wurden die Tataren großzügig ausgestattet, und der König erhielt 1.000 Beutel Gold, um seine Angelegenheiten zu regeln. Karl nannte den Sultan überschwänglich einen „unschätzbaren Diamanten“, nachdem ihm die frohe Botschaft mit Militärmusik überbracht worden war. Weiterhin wurden alle notwendigen Kriegsvorbereitungen getroffen. Doch dieses Mal verdarb Karl selbst seine Sache. Er verteilte das erhaltene Geld sogleich an seine Gläubiger und Offiziere, ja sogar an die Musikanten des Paschas von Bender, und verlangte immer neue Summen, um die großen Schulden, die er bei allerhand fragwürdigen Geschäftsleuten gemacht hatte, bezahlen zu können. Er ließ mitteilen, dass er sich nicht von der Stelle bewegen würde, bis dies nicht geschehen sei. Hartnäckig verweigerte er seine Rückkehr zur See und über Frankreich sowie durch Polen und lehnte auch anderweitige Vermittlungsversuche kategorisch ab. Diese starre Haltung führte letztendlich dazu, dass sein Beauftragter Funk in Istanbul verhaftet wurde und der Sultan beim Mufti eine Fatwa erwirkte, dass auch der König verhaftet werden sollte. Dieser wehrte sich in einem aussichtslosen Kampf, dem 150 Türken und Tataren zum Opfer fielen, mußte sich aber am 12. Februar 1713 schließlich leicht verwundet gefangen geben. Unter strenger Bewachung wurde er dann zum Schloß Timuratsch bei Demotika in der Nähe von Istanbul gebracht, wo er bis zu seiner Abreise als Gefangener des Sultans lebte.
In der Zwischenzeit unternahm der Sultan einen Schachzug gegen Russland, der aber wohl nur als Drohgeste gedacht war. Die Vertreter des Zaren hatten nämlich im Sommer 1713 wieder einmal den Tribut in Höhe von 40.000 Dukaten verweigert und den Sultan dadurch sehr verärgert. Dieser entschloß sich nun nach außen hin zu verkünden, dass er den wieder abgesetzten König von Polen, Stanislaw Leszczinski, der sich als Gast der Türkei in Bender befand, wieder auf den polnischen Thron zu setzen und August den Starken aus Polen hinauszutreiben gedenke. In Wirklichkeit waren die Maßnahmen zu diesem Schritt eine Drohkulisse gegenüber Russland. Anfang 1714 lenkte dann Russland wieder einmal ein und der Spielball Leszczinski musste sich wieder ins Exil nach Ungarn (Kronstadt) begeben. Karl verlieh ihm nach seiner Rückkehr nach Schweden ein unbefristetes Aufenthaltsrecht in Zweibrücken, das in Personalunion mit Schweden regiert wurde. Nach Karls Tod im Jahre 1718 allerdings wurde dieses Aufenthaltsrecht aufgekündigt, da die äußerst kostspielige Hofhaltung Leszczinskis die finanziellen Möglichkeiten des Fürstentum überstieg. Er fand dann Zuflucht beim Herzog Leopold von Lothringen, zog es aber aus Angst vor Anschlägen durch August den Starken vor, sich in den französischen Festungen Landau und Weißenburg im Elsaß zu verschanzen. Nach der Eheschließung seiner Tochter mit Ludwig XV. von Frankreich wurde ihm das sehr repräsentative Schloß Chambord an der Loire in der Nähe von Blois als Wohnort zugewiesen. Im polnischen Erbfolgekrieg gelangte er nochmals für kurze Zeit auf den polnischen Thron (September 1733 bis Januar 1734) und wurde schließlich mit dem Herzogtum Lothringen belehnt. Der vorherige Herzog Franz Stephan, der spätere Ehemann von Maria Theresia und spätere Kaiser, wurde mit dem Herzogtum Toscana abgefunden. Nach dem Tod Lezczinskis im Jahr 1766 fiel Lothringen an Frankreich.
Karl lebte nach seiner Gefangennahme verbittert und apathisch in seinem Zwangsaufenthaltsort und machte keinerlei Anstalten, die Türkei zu verlassen. Weder die vielen Vermittlungsangebote ausländischer Mächte, noch die Herabsetzung der Tagegelder auf ein Minimum und die erneute Verhaftung seines Agenten Funk konnten ihn umstimmen. Die großzügige Offerte des Kaisers Karl VI., ihn im Falle einer Rückkehr nach Schweden in allen Ehren und in gebührender Weise an der österreichische Grenze zu empfangen und ihn durch kaiserliches Gebiet zu geleiten, ließ er unbeantwortet. Erst als Anfang 1714 General Liewen im Auftrag von Karls Schwester Ulrike Eleonore von Stockholm aus in Demotika eintraf und ihm mitteilte, dass seine unverzügliche Heimkehr angesichts der desaströsen Lage des Reiches dringend geboten sei, erwachten seine alten Lebensgeister wieder, und er entschloss sich zur frühestmöglichen Abreise aus der Türkei. Der Sultan war erleichtert, als nun die Aussicht bestand, seinen unerwünschten königlichen Gast endlich los zu werden, und wendete sich anderen Belangen des Reiches zu. Ein für die Türkei inzwischen eher marginaler Bereich, für die Donaufürstentümer aber von schicksalhafter Bedeutung, war die Nachfolgeregelung für die wegen ihrer Schaukelpolitik zwischen der Türkei und Russland in Ungnade gefallenen Fürsten der Moldau und der Walachei. Der Fürst der Moldau, Dimitrie Cantemir, der schon vor dem „Wunder vom Pruth“ offen zu Russland übergelaufen war, entging seinen Häschern nur durch den Umstand, dass die Zarin Katarina, die nach der Einigung mit dem Großwesir freien Abzug genoss, ihn in ihrem Wagen mitnahm. So rettete sie sein Leben und er wurde zu einem der engsten Berater des Zaren. International gelangte er wegen seiner literarischen Tätigkeit zu hohen Ehren und wurde u.a. Mitglied der „Brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften“. Sein walachischer Kollege Constantin Brancoveanu hatte weniger Glück. Nach einer Phase strengster Überwachung wurde er schließlich zusammen mit seinen vier Söhnen nach Istanbul verbracht, wo der Henker auf sie wartete. Die Hinrichtung erfolgte am 15. August 1715. Cantemir und Brancoveanu waren für über 100 Jahre die letzten einheimischen Fürsten gewesen. An ihrer Stelle wurden nun hochrangige griechische Adlige und Geschäftsleute aus dem Istanbuler Stadtteil Phanar zu Fürsten ernannt. Diese erkauften sich für viel Geld den Thron und nutzten die in der Regel kurzen Herrscherzeiten, um das Land gründlich auszupressen und sich exorbitant zu bereichern. Sie schufen ein Klima der Rechtsunsicherheit und der Korruption, in dem die Simonie und die Erpressung blühten. Es war auch die Zeit, in der die für Rumänien so typischen Überlebenstechniken wie das System der Clanbildung und die vielfältigen Methoden, sich mit Hilfe von Seilschaften auf Staatskosten persönlich zu bereichern, entstanden, und die die Phanariotenzeit bis heute überdauerten. Die Phanarioten wechselten sich in der Herrschertätigkeit ab, aber einige schafften es, wiederholt den Thron zu besteigen. Besonders hervorzuheben ist Constantin Mavrocordat, der es sechsmal zum Fürsten der Walachei und viermal zum Fürsten der Moldau brachte. Die Hauptleidtragenden waren die Bauern, die die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung ausmachten, ein Umstand, der immer wieder zu mehr oder weniger heftigen Bauernunruhen führte, zuletzt 1888 und dann schließlich zum staatserschütternden Bauernaufstand von 1907.
Vorbereitungen zur Heimkehr
Nach seiner Entscheidung, die Türkei zu verlassen, ging Karl fieberhaft daran, die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Es war kein leichtes Unterfangen, alles minutiös zu planen, wie es seine Art war. Ihm waren noch ca. 1.000 Soldaten und Offiziere verblieben, und nun mußte für alle eine Reiseroute, die realistischen Reiseetappen und die für die Reise nötigen Unterkünfte organisiert werden. Außerdem mußte das nötige Begleitpersonal wie Dolmetscher und Führer sichergestellt werden. Sein Hauptproblem war aber, die nötigen Mittel zu beschaffen, nachdem ihm der Sultan signalisiert hatte, dass seitens der Türkei nichts zu erwarten sei. Nachdem er sich hohe Darlehen in Istanbul beim englischen Kaufmann Cook und beim französischen Gesandten Desalleurs, der sich sehr umtriebig immer wieder um Vermittlung zugunsten Karls bemüht hatte, beschafft hatte, brach er am 1. Oktober in Begleitung eines türkischen Ehrengeleites von Demotika in Richtung Norden auf. Der Zug bestand aus 300 Pferden und 60 Wagen. Am 4. Oktober erreichte er Pitesti, wo der vereinbarte letzte Sammelpunkt auf türkischem Boden war. Hier wartete er das Eintreffen der vom kommandierenden General in Siebenbürgen, Stephan compte de Steinville, geliehenen 50.000 Gulden ab, um die er einen seiner Beamten nach Kronstadt geschickt hatte. Währenddessen teilte er sein inzwischen angewachsene Gefolge in Abteilungen unter dem Kommando von Hauptleuten ein und gab ihnen genaue Instruktionen für ihre Weiterreise durch Siebenbürgen, Ungarn, Österreich und Deutschland nach Stralsund. Er selbst begab sich dann auf ein Landgut in der Nähe von Pitesti, um in engerem Kreise seine eigene Weiterreise zu organisieren. In seiner Begleitung befanden sich der General Poniatowski, Graf Thure Bielcke, Oberst Bosquet, Oberst Buddenbrook, Gardekapitän Adlerfeld, Oberst Düring, Generaladjutant Gustav Friedrich von Rosen, des Königs Kammerdiener Melchior Neumann, der Dolmetscher Babtista Savari, zwei Lakaien und zwei Stallknechte. Buddenbroock, den Dolmetscher Savari, den Kammerdiener Neumann und einen Lakaien schickt er in Richtung Belgrad, von wo aus sie die Reise fortsetzen sollten. Alle anderen bis auf von Rosen und Düring wies er an, ihm einen Tag nach seinem Aufbruch zu folgen. Er selbst wollte allein und inkognito, nur von von Rosen und Düring begleitet, die Reise antreten.
Der Wiener Hofkriegsrat, die oberste Militärverwaltung, maß dem Fall hohe Bedeutung bei und traf diverse Vorkehrungen. Man wollte ganz augenscheinlich verhindern, dass die Schweden ohne Kontrolle Siebenbürgen und Ungarn passierten. Zu tief sass noch der Schock, den Franz Rakoczi mit seinem gefährlichen Aufstand, dem Kuruzzenkrieg, hervorgerufen hatte, und der vom Ausland aus immer noch versuchte, Bündnisse gegen den Kaiser zustande zu bringen. Schon am 14. Juni, Karl hatte gerade dem Sultan offiziell mitgeteilt, er wolle nun das Land verlassen, und um einen Pass gebeten, erhielt der kommandierende General in Siebenbürgen Stephan de Steinville die Weisung, den König für den Fall, dass er seine Durchreise nicht besonders anmelden sollte, „mit aller Höflichkeit und Ehrerbietung“ und unter Salutschüssen zu empfangen und mit einer entsprechenden Ehrenwache zu umgeben. Weiterhin sollte dem König bedeutet werden, dass ein würdigerer Empfang nicht erfolgen könne, da dieser es versäumt habe, seine Ankunft anzuzeigen. Noch ging man davon aus, Karl werde den Weg über Peterwardein, eine österreichische Festung an der Donau gegenüber vom heutigen Novi Sad, nehmen. Als der österreichische Gesandte in Istanbul Fleischmann dann aber berichtete, der König sei unterwegs nach Siebenbürgen über Bukarest und Targoviste, wurde Fleischmann angewiesen, den genauen Grenzübergang und die geplante Route anzufordern. Gleichzeitig sollte Fleischmann dem schwedischen Abgesandten Grothausen, der sich gerade in Istanbul befand, um Geldanleihen vorzunehmen, unmissverständlich mitteilen, dass der König, nachdem er sich nun entschlossen hätte, über Siebenbürgen zu reisen, unbedingt die Route Großwardein, Ofen und Niederösterreich zu nehmen habe, da nur so die Beförderung und Einquartierung sichergestellt werden könne. Schlesien sei dagegen strikt zu meiden, da man anderenfalls befürchten müsse, dass der König von den nordischen Mächten angegriffen, und so der Krieg in die kaiserlichen Lande getragen werde. In Wirklichkeit wollte der Kaiser den König aus Schlesien fernhalten, weil er tumultartige Sympathiekundgebungen der evangelischen Schlesier befürchtete, nachdem Karl ihnen in der Altranstädter Konvention zu einer befriedigenden Existenz verholfen hatte. In der Weisung des Hofkriegsrates hieß es dann wörtlich: „…..Zum Beweise besonderer Freundschaft und Hochachtung aber gestatte der Kaiser nicht nur den Durchzug des Königs und seines Hofstaates sondern auch den der ganzen Suite, doch müsse dieselbe des Unterhalts wegen in 2 oder 3 Routen getrennt marschieren und wäre über dieselbe eine genaue Liste an den Hofkriegsrath zu richten…..“. Schließlich wurde Fleischmann beauftragt, den Zeitpunkt des Übertritts der Schweden auf österreichisches Gebiet zu melden und dafür zu sorgen, dass sich unter ihnen keine politisch verdächtigen Personen befänden. Sicher waren unter „politisch verdächtige Personen“ Rakoczi-Anhänger gemeint, wie überhaupt der Hofkriegsrat ganz offenbar die Befürchtung hegte, eine eventuell unkontrollierbare Zusammenrottung könnte durchaus zur Gefahr werden. Diese Befürchtung wurde noch deutlicher in der Weisung, die an den kommandierenden General in Siebenbürgen erging, nämlich, dass dieser die Schweden persönlich durch das Land geleiten und streng darauf achten solle, dass der König auf keinen Fall den Weg durch Schlesien einschlage. Außerdem solle er den Durchzug streng überwachen und den zu erwartenden großen Zulauf des Volkes an „lutherischen Orthen“ unterbinden. Gemeint waren natürlich die Ortschaften der ausnahmslos lutherischen Siebenbürger Sachsen und der lutherischen Ungarn und Szekler, letztere vor allem im Burzenland beheimatet. Auch wurde angekündigt, dass zur Unterstützung des Generals der Feldmarschallleutnant Graf Welczek und dessen Stellvertreter Generalfeldwachtmeister Graf Tollet entsandt worden seien. Schließlich wurde dem General am 1. Oktober direkt aufgetragen, den König nötigenfalls darauf aufmerksam zu machen, dass der Kaiser ihm unter keiner Bedingung gestatten könne, einen Weg durch kaiserliches Gebiet zu nehmen, den er vorher der Regierung nicht angezeigt habe. Die Aufregung im Hofkriegsrat muss also erheblich gewesen sein. Die Lage entspannte sich erst, als der schwedische Legationssekretär Stiernhöck am 18. Oktober in Wien verkündete, der König werde nicht durch Schlesien ziehen, wünsche aber, für seine Person unerkannt zu reisen, und verzichte daher auf jeglichen pomphaften Empfang durch die Behörden. Weiterhin teilte er mit, dass die Liste des ca. 1.000 Mann umfassenden Gefolges ehestens zugestellt werde. Nicht ohne Ironie teilte er dann auch mit, dass sich bezüglich der vom Hofkriegsrat befürchteten „verdächtigen Personen“ „….kheine Ungarn von denen, die an der jezo gedämpften Rebellion Theil gehabt….“ dabei befinden würden. Dennoch erhielt Graf Welczek am 22. Oktober nochmals genaue Instruktionen, in welcher Form die Überwachung des Schwedenkönigs zu erfolgen habe. Unterdessen hatte der kommandierende General die siebenbürgische Landesregierung, das königliche Gubernium in Hermannstadt aufgefordert, für den Empfang und den Unterhalt der Schweden die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Die beiden adhoc ernannten Kommissäre Gubernialrat Graf Michael Mikes und Stephan Kornis sollten alles koordinieren. Da man erwartete, dass der König über den Törzburgpass nach Kronstadt reisen würde, begab sich Steinville dorthin, um ihn persönlich zu empfangen. Ein Kronstädter Zeitgenosse berichtete darüber: „1714 den 21 Oktober kam der commandierende General von Siebenbürgen Graf Steinville in Kronstadt an und traf nebst dem hier bereits anwesenden Michael Mikes die Anstalten zum Empfang des Königs. Der erstere hatte 600 Reiter, Mikes dagegen 300 Szekler in Bereitschaft, dem König an die Gränze der Walachei entgegenzugehen und denselben mit dieser Mannschaft durch ganz Siebenbürgen zu begleiten. Die Wände der Zimmer des Rosenauer Pfarrhauses wurden mit persischen Teppichen bekleidet, dem König ein angemessenes Quartier zu gewähren, eine große Küche auf dem Markt dieses Ortes errichtet und ein Silberservice im Werth von 1.500 Gulden vom commandierenden Generalen zur Besetzung der Tafel nach Rosenau geführt“. Am 23. Oktober befahl der Hofkriegsrat sämtlichenTruppenkommandanten in Ungarn, die Anordnungen der den schwedischen König begleitenden Kommandeure Graf Tollet und Graf Welczek zu befolgen und den Durchzug in jeglicher Weise zu fördern. Zugleich erhielt Steinville zwei Marschrouten übersendet, auf welche das Gefolge zu verteilen sei. Sammelpunkt sollte in jedem Fall der Knotenpunkt Szilaghyi-Somlyo ( Schomlenmarkt, rum. Simleu Silvaniei, ganz in der Nähe von Zalau) sein, von wo aus der Marsch dann weiter gehen sollte.
Die Heimkehr
Während Steinville in Kronstadt auf Posten stand, und alle Welt auf die Ankunft des Königs wartete, passierte dieser unerkannt den Rotenturmpass. In der Nacht vom 6. auf den 7. November waren der König und seine beiden Begleiter ohne Führer und nur mit je einem zusätzlichen Handpferd versehen aufgebrochen, nachdem sie sich die Tarnnamen Peter Frisch, Johann Palm und Erik Ungarn zugelegt hatten. Den Rotenturmpass erreichten sie jedoch verspätet, weil sie ohne Führer auskommen wollten und sich in dem großen Wald davor hoffnungslos verirrten.Nach längerem Suchen trafen sie schließlich auf einen an seinem Feuer eingeschlafenen Schweinehirten, der sie gegen Entlohnung zur Landstrasse hinführte. In Kinen (rumänisch Caineni) machten sie kurz Rast und der König ritt mit Düring in hohem Tempo weiter. Von Rosen hatte Weisung erhalten, ihnen in vier Stunden zu folgen und ihnen dann immer auf den Fersen zu bleiben. Um 11 Uhr erreichten sie Hermannstadt, hielten sich aber dort nicht auf, sondern galoppierten unter Führung von zwei Postillionen über Großau in Richtung Westen. Oberst Düring war solchen Strapazen nicht gewachsen und stürzte noch vor der nächsten Poststation ohnmächtig vom Pferde. Man brachte ihn an ein nahes Wasser, wobei der König selbst mit Hand anlegte. Dieser setzte nun mit einem der Postillionen den Weg fort, geriet aber zwischendurch auf Abwege, so dass Düring, der, sowie er sich etwas erholt hatte, nachgeritten war und sogar noch vor Karl auf der nächste Station ankam. Von hier aus eilten sie dann an Klausenburg, Zalah (Zalau, Zillenmarkt) und Szilaghyi-Somlyo (Schomlenmarkt, Simleu Silvaniei) vorbei. Hier überholten sie den zu ihrer Überwachung abkommandierten Grafen Welczek, ohne dass dieser sie erkannt hatte. Über die Kumanensteppe und über die noch heute befahrene Steinbrücke bei Hortobaghy ging es dann in atemberaubenden Tempo weiter nach Ofen und über Ungarisch-Altenburg (Mosonmagyarovar) nach dem Knotenpunkt Bruck an der Leitha und dann weiter über Wien, Passau Regensburg, Nürnberg, Würzburg, Hanau, Kassel, Göttingen, Braunschweig, Güstrow, Loitz und Tribsen nach Stralsund, wo sie in der Nacht vom 21. auf 22. November unter tosendem Beifall eintrafen. Dieser phantastische Ritt Karls XII. ist in die Annalen der Weltgeschichte eingegangen, denn der nun legendäre König von Schweden hatte über Stock und Stein 2.150 km in nur 15 Tagen hoch zu Ross zurückgelegt. Wie viele Pferde er dabei zuschanden geritten hat, ist nicht überliefert.
In der ersten Novemberhälfte rückte auch das Gefolge des Schwedenkönigs über den Törzburgpass auf Rosenau vor. Fieberhaft aber vergeblich fahndete die österreichische Seite nach dem König. Der war inzwischen Hunderte von Meilen entfernt. Nach dem Bericht des damaligen Kronstädter Stadtprediger Daniel Fronius trafen ein „am 9. November 1714 zuerst eine, wie es hiess, 300 Mann starke Abteilung Schweden, welche sich gleich weiter nach Heldsdorf begab. Die zweite Abteilung folgte am folgenden Tage nach , gleichfalls in 300 Mann bestehend; und am 11. November erschien daselbst auch die dritte Abteilung mit dem Hofprediger Karl Sternelle, welcher auch in die Stadt fuhr, den Stadtpfarrer sowie den Stadtprediger Daniel Fronius zu besuchen. An dem nämlichen Tag wurde den in die Stadt gekommenen Schweden auf den Wunsch des Hofkanzlers Baron Molern in der großen Kirche von Stadtpfarrer Paul Neidel in hochdeutscher Sprache gepredigt.“ Am 12. November folgte die vierte ,am 13. November zog die fünfte und letzte Abteilung durch Weidenbach. Die um die 1.500 Mann starke Mannschaft logierte in Rosenau, Heldsdorf und Nussbach. Hinzu kamen noch Polen, Türken, Tataren und Juden.
Um die gleiche Zeit erreichten auch der holsteinische Bevollmächtigte und enge Vertraute des Königs, Friedrich Ernst von Fabrice, sowie der Kaufmann de la Motraye von Targoviste kommend Kronstadt, die „gut befestigte Stadt, stark bevölkert mit Magyaren, echten Sachsen, Deutschen und einigen walachischen und bulgarischen Flüchtlingen“, wie Fabrice schreibt. Die Behörden waren sehr befremdet, als sie von Fabrice erfuhren, dass der König unter allen Umständen inkognito reisen wolle. Der Gast und sein Wegbegleiter empfingen in ihrer Wohnung die Spitzen der Kronstädter Gesellschaft und waren Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit. Am 29. November reisten sie in Richtung Hermannstadt und stellten unterwegs zu ihrer Verblüffung fest, dass die Behörden immer noch nach dem Verbleib des Königs fahndeten, zu einem Zeitpunkt, als dieser schon längst wieder in Stralsund war. In Hermannstadt mussten sie sich sofort gegenüber den Behörden ausweisen, da man sie für Schweden hielt. Auch die Hermannstädter Gesellschaft machte ihnen ihre Aufwartung und drückten bei dieser Gelegenheit „ihre Verehrung für einen Fürsten aus, welchen sie für einen zweiten Gustav Adolph oder für eine der hervorragendsten Stützen des Protestantismus hielten“. Während eines Besuches beim Hermannstädter Bürgermeister Johann Hossmann von Rothenfels traf ein Kurier von seinem Vorgesetzten, dem 1. Minister von Holstein Georg Heinrich von Görtz ein, der ihn zu einer sofortigen Begegnung aufforderte. Nach wenigen Stunden traf er auf Görtz und sie reisten dann gemeinsam über Weissenburg, Klausenburg und Debrecen nach Wien und von dort zu Karl nach Stralsund. Karl machte Görtz daraufhin zu seinem Generalbevollmächtigten, was diesem in Schweden viele Feinde eintrug. Insbesondere bei Karls Schwester Eleonore und ihrem Mann, dem späteren König Friedrich I. von Hessen Kassel galt er als „Verderber“ Schwedens und wurde am 19. Februar 1719 enthauptet.
Die schwedischen Soldaten zogen nach einer vom 8. November datierten Marschroute über Rosenau, Heldsdorf Nussbach, Vargyas (rum. Varghis), Sommerburg (rum. Jimbor), Reps, Deutschkreuz, Schaas, Zuckmantel, Band, Mehes (Bienendorf, rum. Mihesu de Campie), Doboka (rum. Dobaca) nach Szilagyi-Somlyo (Schomlenmarkt, rum. Simleu Silvaniei) und von dort in Richtung Ungarn. Die letzten kamen im Sommer 1715 in Schweden an.
Schluss
Von Karls Mannschaft waren, bevor er noch ernstlich an das Verlassen des türkischen Bodens dachte, grössere und kleinere Trupps, auch einzelne Offiziere, durch Siebenbürgen gezogen. Die ersten Durchzügler erschienen schon im Jahre 1710, wenigstens ist zu diesem Jahr folgende Widmung in das Kirchenbuch der evangelischen Gemeinde in Honigberg bei Kronstadt eingetragen: „Legata. 1710 schenken die durchpassierenden Schweden Geld bey die hiesige Kirche, woraus der Altar ist gemacht worden.“ Auch später passierten wieder Schweden die Gemeinde, denn auf demselben Blatt steht: “171(?) ist auch das Positiv aus dem Legat Gustavi Soldan eines schwedischen Offiziers gemacht worden. Gegen Ende des Jahres 1711 zog Andreas Heldmann aus Hermannstadt mit einem schwedischen Offizier nach Schweden. In Uppsala machte er später eine akademische Karriere. Vor dem Jahr 1713 sind Schweden auch durch Kronstadt gezogen. Sie wussten nur rühmliches zu erzählen über den dortigen lutherische Gottesdienst und über die Gastfreundschaft der Kronstädter, wie der aus Kronstadt stammende Hallenser Historiker Martin Schmeitzel zu berichten weiss. Nach Karls Gefangennahme im Februar 1713 zogen sich etliche seiner Landsleute nach Kronstadt zurück. Beispielsweise verließ Professor Magister Wirfel aus Greifswald am 13. März 1713 nach achttägigem Aufenthalt in Begleitung zweier schwedischer Offiziere die Stadt. Schmeitzel berichtet: „Da aber der König in Schweden Carolus XII. seit der anni 1709 fatalen Schlacht bey Pultawa sich mit dem Rest seiner Völker in der Moldau bey Bender aufgehalten und dieses Jahr (1713) von den Türken und Tataren feindlich angehalten und gefangen weggeführt worde so habenn, sich viele von seinen Leuthen hoc anno nach Cronstadt reteriert, ja die gantze Zeit über sind beständig Schwedische Herren ab und zugereiset, wie denn auch ein Graf Torstenson daselbst gestorben und in die grosse Kirche begraben worden.“
Da das Zurückfluten der Schweden in Siebenbürgen natürlich großes Aufsehen erregt hatte, konnte es nicht ausbleiben, dass sich sehr bald eine Sagen- und Legendenbildung dieses Ereignisses bemächtigte. In Kronstadt wurde verbreitet, der König habe noch von türkischem Boden aus inkognito einen Abstecher nach Kronstadt gemacht und dort einem Gottesdienst in hochdeutscher Sprache beigewohnt. In Heldsdorf hielt sich bis in die Neuzeit hinein die Sage, Karl habe hier das Abendmahl eingenommen und der Kirche dafür die Altrarblätter mit Gemälden aus der Leidensgeschichte Jesu geschenkt. Auch die Schmiede, in der Karls Pferde beschlagen worden sein sollen, wurde noch bis Ende des 19. Jahrhunderts gezeigt. In Reps erzälte man sich, Karl sei nach der Einnahme des Abendmahls vom Pfarrer Paul Figuli zu Tisch gebeten worden, und nach der Aufhebung der Tafel habe man einen Zettel mit der Aufschrift gefunden: „Beten Sie für den unglücklichen König von Schweden.“ In Hermannstadt soll er an einem Ball teilgenommen und bis in die frühen Morgenstunden mit einer Hermannstädterin getanzt haben. In Kirchberg bei Agnetheln, wo es viele hochgewachsene, blonde und blauäugige Menschen gab, wurde lange Zeit erzählt, dies seien die Nachfahren von Schweden, die sich auf ihrem Rückmarsch hier niedergelassen hätten. Schließlich wurde bis in die jüngere Vergangenheit hinein das Gerücht verbreitet, Karl habe gleich nach seiner Rückkehr ein Dekret erlassen, nach dem jeder siebenbürgisch-sächsische Theologiestudent ein großzügiges schwedisches Staatsstipendium erhalten solle, wenn er sein Studium in Uppsala aufnehmen wolle. Dies sei der Dank für die freundliche Aufnahme, die er während seiner Heimkehr in den evangelischen siebenbürgisch- sächsischen Pfarrhäusern genossen habe. Das Dekret ist nie aufgefunden worden. Sicher gab es noch viel mehr Gerüchte und Legenden über dieses spektakuläre Ereignis, die aber im Verlauf der Zeiten verblasst sind.
Nicht nur die Persönlichkeit sondern auch der Tod Karls XII. gibt Rätsel auf. Bis heute ist nämlich ungeklärt, ob er durch eine feindliche Kugel zu Tode kam, oder ob er einem heimtückischen Mordanschlag aus den eigenen Reihen zum Opfer fiel.