Aus der Traum! Die rumänische Tragödie im Jahr 1940

DerHitler-Stalin-Pakt und das Molotow-Ribbentrop-Protokoll vom August 1939 sowie der II. Wiener Schiedsspruch vom 30.08.1940 bedeuteten nach dem Triumph von Trianon vom Juni 1920 einen Tiefpunkt in der rumänischen Geschichte.

Großrumänien nach dem I. Weltkrieg

Aus der Traum!

Die Zerschlagung Großrumäniens

Einleitung

Ende Juni 1940, also vor 84 Jahren, zerschlug Stalin in Komplizenschaft mit Hitler das durch den Vertrag von Trianon am 04.06.1920 bestätigte Großrumänien. Der Traum von Großrumänien währte also ziemlich genau 20 Jahre. Die Folgen dieses spektakulären Vorgangs sind noch heute zu spüren. Am 26.06.1940 wurde dem rumänischen Botschafter in Moskau, Gheorghe Davidescu ein Ultimatum ausgehändigt, in dem Rumänien aufgefordert wurde, Bessarabien, die Nord-Bukowina und das Gebiet um die Stadt Herta zu räumen und unverzüglich an die Sowjetunion abzutreten. Der Zeitpunkt des Ultimatums war sicher nicht zufällig gewählt worden. Am Vortag hatte nämlich Frankreich vor dem Deutschen Reich kapituliert, wodurch Rumänien ohne seine wesentliche Schutzmacht blieb.

Machtpolitisch gründete die SU diesen Anspruch auf das geheime Zusatzprotokoll (Molotow-Ribbentrop-Protokoll) zum deutsch-sowjetischen Vertrag vom 23.08.1939, der den Angriff Deutschlands auf Polen ermöglicht hatte. In diesem Protokoll hatte es unter Punkt 3 geheißen: „Hinsichtlich des Südosten Europas wird von sowjetischer Seite das Interesse an Bessarabien betont. Von deutscher Seite wird das völlige Desinteresse an diesen Gebieten erklärt.“ Auffällig ist, dass in dem Ultimatum auch ein Anspruch auf die Nord-Bukowina gestellt wurde, von der im geheimen Protokoll nicht die Rede gewesen war. Offensichtlich hat Stalin die Chance gewittert, sich über die Zugeständnisse des Protokolls hinaus weitere Gebiete aneignen zu können. Hitler hat dann ja auch trotz anfänglicher Verärgerung darüber den sowjetischen Forderungen zugestimmt, allerdings verbunden mit der Forderung, die Umsiedlung der Deutschen so wie auch der in Bessarabien nicht zu behindern.

Rechtlich argumentierte die SU dahingehend, dass Bessarabien seit 1812 rechtmäßig zu Russland gehöre und 1918/19 widerrechtlich dem jungen Sowjetstaat in einer Schwächephase entrissen worden sei. Bezüglich der Nord-Bukowina wurde geltend gemacht, die dortige Bevölkerung sei in ihrer Mehrheit ukrainisch, und somit sei es nichts wie recht und billig, wenn das Gebiet an die Ukraine angeschlossen würde. Außerdem sei es eine gewisse Kompensation für das Unrecht, das Russland und der SU durch die widerrechtliche Abtrennung Bessarabiens widerfahren sei. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, ließ die SU ein Geschwader Kampfflugzeuge tief in bessarabisches, also rumänisches Hoheitsgebiet eindringen und drohend über Kishinev kreisen.

Vorbereitung der Annexion Bessarabien und der Nord-Bukowina durch die Sowjetunion

Andreas Hillgruber schreibt in seinem Buch „Hitler, König Carol und Marschall Antonescu, Die deutsch-rumänischen Beziehungen 1938-1944, 1954: „Selten ist eine politische Aktion so lange und gründlich vorbereitet worden wie die Annexion Bessarabiens durch die Sowjetunion.“ In der Tat hat die Sowjetunion die Zeit seit dem Abschluss des deutsch-sowjetischen Vertrags und dem geheimen Zusatzprotokoll genutzt, um das Terrain für den Akt der Annexion zu bereiten. Schon seit dem Herbst 1939 mehrten sich die Anzeichen, dass die Sowjetunion in dieser Hinsicht etwas plante. Am 29. März 1940 sprach der Außenminister Molotow in einer Rede vor dem Obersten Sowjet ganz unverblümt davon, dass es ein ungelöstes Problem zwischen der Sowjetunion und Rumänien gebe. Er betonte ausdrücklich, dass es auch keinen Nichtangriffspakt zwischen den beiden Ländern gebe. Dies und die sich häufenden provozierten Grenzzwischenfälle beunruhigten König Carol derart, dass er im Mai 1940 Deutschland um Hilfe beim Bau eines „Ostwalls“ an der rumänisch-sowjetischen Grenze bat, was allerdings ohne Reaktion blieb. Am 23.06., also 3 Tage vor dem Ultimatum teilte Molotow dem deutschen Botschafter in Moskau mit, dass die Lösung der Bessarabienfrage „keinen weiteren Aufschub“ mehr gestatte und dass der sowjetische Anspruch sich auch auf die Bukowina erstrecke, die eine ukrainische Bevölkerung habe. Ribbentrop ließ schon am 25.06. Molotow wissen: Deutschland habe in der Frage Bessarabiens entsprechend den Vereinbarungen des Moskauer Abkommens gegen den sowjetischen Vorschlag nichts einzuwenden und wünsche nur die Zukunft der etwa 100.000 Volksdeutschen sicherzustellen; der sowjetische Anspruch auf die Bukowina sei dagegen neu und man sei am Schicksal der Volksdeutschen der Bukowina besonders interessiert. „In dem übrigen rumänischen Staatsgebiet habe Deutschland stärkste Wirtschaftsinteressen. Diese umfassen sowohl die Erdölgebiete als auch das Agrarland. Deutschland wünsche nicht, dass diese Gebiete Kriegsschauplatz werden. Die Reichsregierung sei daher gegebenenfalls bereit, „der rumänischen Regierung zu einer friedlichen Bereinigung der bessarabischen Frage im russischen Sinne zu raten“. Molotow antwortete gleich am nächsten Tag, also am 26.06. und sicherte Deutschland die weitestgehende Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Interessen zu und die Sowjetunion habe sich darüber hinaus entschlossen, „ihre Forderung auf den nördlichen Teil der Bukowina zu beschränken“. Gleich danach, noch am selben Tage, wurde eine erste Note dem rumänischen Botschafter überreicht, in der die Abtretung Bessarabiens, der Nord-Bukowina und des Gebietes um die moldauische Stadt Herta gefordert wurde. Eine Antwort erwarte man am 27. Juni. Der Ministerpräsident Tatarescu bat über den deutschen Gesandten in Bukarest sofort um Intervention der Reichsregierung. Um 9,00 Uhr fand beim König in Anwesenheit des Kabinetts eine Unterredung mit dem deutschen Gesandten Fabricius statt, während der die Berliner Antwort eintraf. Zuvor hatte der König noch großspurig vom erbitterten Widerstand und Kampf gegen die Sowjetunion nach dem Vorbild von Finnland gefaselt. Als Fabricius die Antwort mitteilte, trat völlige Ernüchterung ein: Deutschland könne der rumänischen Regierung „im Interesse der Vermeidung eines Krieges zwischen Rumänien und der Sowjetunion nur raten“, der Forderung der Sowjetregierung zu entsprechen. Auf der anschließenden Sitzung des ad hoc einberufenen Kronrats entschied sich die Mehrheit, der sowjetischen Forderung nachzugeben. Noch am gleichen Tage teilte der rumänische Botschafter in Moskau dem sowjetischen Aussenminister diese Entscheidung mit. Daraufhin erhielt er eine zweite Note, in der die Einzelheiten der Übergabe formuliert waren. Danach sollte die Räumung am 28.06. um 14 Uhr beginnen und in vier Tagen abgeschlossen sein. Darüber hinaus sollte eine gemischte rumänisch-sowjetische Kommission zur Regelung von Einzelfragen geschaffen werden. Um 11 Uhr am nächsten Tag, als kurz vor Ablauf des vorgegebenenTermins, teilte Davidescu mit: Die rumänische Regierung sehe sich gezwungen, die Bedingungen anzunehmen, „um die Möglichkeit zu haben, sich den ernsten Folgen zu entziehen“, die bei einer Ablehnung eintreten würden. Wie vorgesehen überschritten die sowjetischen Truppen am 28.06. mittags die alte Grenze und besetzten in vier Tagen die abgetretenen Gebiete. Auf Bitten der rumänischen Regierung hatte sich die Reichsregierung an die sowjetische Regierung gewandt, um eine etappenmäßige Besetzung des abzutrennenden Gebietes zu erreichen. Dies wurde von der Sowjetregierung zwar zugesichert, aber beim Vorrücken überflügelten die russischen Truppen jedoch häufig die sich zurückziehenden Rumänen und erbeuteten auf diese Weise erhebliche Mengen an Kriegsmaterial.

Umsiedlung der Deutschen

Die Evakuierung und Umsiedlung der Deutschen aus Bessarabien und der Bukowina verlief zügig und relativ problemlos, zumal die Vorbereitungen in Deutschland schon länger im Gange waren. Die Grundlage dafür hatte Hitler bereits am 6.10.1939 in einer Reichstagsrede gelegt: „In diesem Sinne handelte es sich nicht nur um ein Problem, das auf diesen Raum (Polen) beschränkt ist, sondern um eine Aufgabe, die viel weiter hinausgreift. Denn der ganze Osten und Südosten Europas ist zum Teil mit nicht haltbaren Splittern des deutschen Volkstums gefüllt. Gerade in ihnen liegt der Grund und eine Ursache fortgesetzter zwischenstaatlicher Störungen. Im Zeitalter des Nationalitätenprinzips und des Rassegedankens ist es utopisch, zu glauben, daß man diese Angehörigen eine hochwertigen Volkes ohne weiteres assimilieren könne. Es gehört daher zu den Aufgaben einer weitschauenden Ordnung des europäischen Lebens, hier Umsiedlungen vorzunehmen, um auf diese Weise wenigstens einen Teil der europäischen Konfliktstoffe zu beseitigen“. Am 9. Oktober wurde der Reichsführer SS Heinrich Himmler als „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“ mit der Durchführung der in Frage kommenden Umsiedlungen sowie der Neuansiedlung der Volksdeutschen betraut, die vor allem in den eingegliederten polnischen Ostgebieten erfolgen sollte. Über den genauen Vollzug der Umsiedlungen siehe: „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa Band III, Seite 41E ff. Bedeutsam ist die Tatsache, dass das Deutsche Reich am 22.10 1940 mit Rumänien eine Vereinbarung traf, in der die Deutschen aus der Süd-Bukowina und der Dobrudscha in die Gesamtaktion mit einbezogen wurden. Insgesamt wurden bis Mitte Dezember 1940 214.630 Personen umgesiedelt, die wenige Jahre später in den millionenfachen Strom von Flüchtlingen und Vertriebenen einflossen.

Vorgeschichte des Zweiten Wiener Schiedsspruchs

Rumänien sah sich aber sowohl aussen- und sicherheitspolitisch als auch innenpolitisch einem Desaster gegenüber. Darüber hinaus mussten Zigtausende Flüchtlinge aus Bessarabien und der Bukowina (Beamte, Militärs mit ihren Familien und Tausende, die vor der drohenden Bolschewisierung die Flucht ergriffen hatten) untergebracht und versorgt werden. König Carol reagierte zunächst hektisch und planlos. Völlig sinnlos befahl er in der Nacht vom 27.06. auf den 28.06. die äußerst kostspielige Generalmobilmachung der rumänischen Armee und bildete die Regierung Tatarescu um. Bemerkenswert war hierbei, dass der Führer der noch vor kurzem als staatsfeindlich bekämpften Eisernen Garde Horia Sima zum Unterstaatssekretär im Kultusministerium ernannt wurde. Diese radikale klerikal-faschistische Bewegung, die in den 30er Jahren mit ihren terroristischen Anschlägen für großes Aufsehen gesorgt hatte, war mit ein Grund für den Staatsstreich König Carol vom Februar 1938 gewesen, durch den er eine autoritäre Königsdiktatur errichtete. Die Garde wurde grausam verfolgt und ihre überlebenden Führer fanden Unterschlupf in Deutschland, von wo aus sie mit wenig Erfolg versuchten, auf Rumänien Einfluss zu nehmen. Nachdem sich Rumänien mit dem Verschwinden der Kleinen Entente, der Agonie des Balkanpaktes, der Niederlage des Bündnispartners Polen und der Kraftlosigkeit der Garantiemacht Frankreich, das schon im Juni 1940 kapitulieren musste, in totaler Isolation befand, suchte es Anschluß an die Achsenmächte. Der König hoffte, mit der vorsichtigen Annäherung an die Eiserne Garde Deutschland für die Interessen Rumäniens zu gewinnen. Versuche, die Eiserne Garde an das autoritäre System Carols zu binden, waren schon seit April im Gange. Anfang Mai hatte der König eine Sonderdelegation zu Horia Sima nach Deutschland gesandt, um eine Loyalitätserklärung von ihm zu erlangen. Dieser sagte unter der Bedingung zu, daß die rumänische Außenpolitik nach Deutschland hin orientiert werde. Dem König wurde immer klarer, dass, nachdem über die zukünftigen sowjetischen Absichten völlige Unklarheit herrschte, nur Deutschland in der Lage sein konnte, Rumänien den nötigen Schutz zu gewährleisten. Kurz nach dem Kronrat vom 27. Juni bat der König den deutschen Gesandten zu sich und teilte ihm mit: Nachdem er in der Bessarabienfrage dem deutschen Rat auf Räumung ohne Widerstand gefolgt sei, „bitte er nun Hitler um die Garantie der rumänischen Grenzen und um die Entsendung einer deutschen Militärmission nach Rumänien“. Die Antwort der Reichsregierung ließ zunächst auf sich warten. Im Zusammenhang mit der Neuorientierung der rumänischen Außenpolitik erklärte der unter dem Vorsitz von Ministerpräsident Tatarescu tagende Ministerrat auf Vorschlag des Außenministers Argetoianu am 1. Juli, daß Rumänien auf die britisch-französische Garantie verzichte. Die Gestaltung der politischen Verhältnisse werde „durch die europäische Neuordnung bestimmt, die sich auf dem Wege zur Verwirklichung befinde. Um die Annäherung an Deutschland noch sichtbarer zu machen, entschloss sich König Carol am 4. Juli zu einem erneuten Kabinettswechsel. Die Eiserne Garde erhielt gleich drei Kabinettsposten. Ihre Minister traten jedoch schon am 8. Juli wieder zurück, da ihre überzogenen politischen Forderungen nicht akzeptiert worden waren. In diesem Zusammenhang wurde verschiedentlich eine Regierung unter dem sehr populären General Ion Antonescu diskutiert. Die von diesem verlangten weitreichenden Vollmachten lehnte Carol aber ab. Dubioserweise wurde Antonescu kurz danach, am 09.07., in seinem Hause in Predeal verhaftet und von schwerbewaffneten Gendarmen in einem Auto in einen Wald bei Sinaia gebracht, wo er wohl einen „Unfall“ erleiden sollte. Der Vertraute des Generals, Mihai Antonescu (nicht verwandt, sondern zufällige Namensgleichheit), der dem Wagen gefolgt war, begab sich sofort zum deutschen Gesandten Fabricius und unterrichtete ihn von dem Geschehenen. Fabricius intervenierte sofort beim Hofminister Urdareanu. Gleichzeitig baten der ehemalige Wirtschaftsminister Cancicov und der General Rozin den Sonderbeauftragten für Wirtschaftsfragen, Gesandten Dr. Hermann Neubacher, sich für die Rettung „des besten Mannes der Nation“ einzusetzen Auch dieser kam dieser Bitte unverzüglich nach, sodass Antonescu am 11. Juli wieder freigelassen wurde. Er erhielt nun das Kloster Bistrita in Oltenien am Südhang der Karpaten als Aufenthaltsort zugewiesen, wo er zwar bewacht wurde, aber das Recht hatte, Besuche zu empfangen. Unterdessen betonte die Regierungserklärung des am 4. Juli ernannten Kabinetts Gigurtu die von Rumänien erstrebte „aufrichtige Eingliederung in das von der Achse Berlin-Rom geschaffene System“. Im Zusammenhang damit erklärte die rumänische Regierung am 11. Juli den Austritt aus dem Völkerbund, ein Geste, die Deutschland gewogen stimmen sollte. Am 15. Juli sandte der Aussenminister Manoilescu ein Telegramm an Ribbentrop, in dem er das Bestreben seiner Regierung hervorhob, die Beziehungen zu Deutschland auf allen Gebieten enger zu gestalten. Inzwischen war nun auch die Antwort Hitlers auf den Vorschlag des Königs Carol, Deutschland solle die Grenzen Rumäniens garantieren und eine Militärmission entsenden, in Bukarest eingetroffen. In einem Brief vom 15. Juli erklärte Hitler dem rumänischen König, dass er nicht in der Lage sei, diesen Wünschen zu entsprechen, solange noch die Grenzprobleme gegenüber Ungarn und Bulgarien offen stünden. Sobald diese geregelt seien, werde er gerne auf die Bitte Carols zurückkommen. Damit begann der zweite Akt der rumänischen Tragödie des Jahres 1940.

Der von Hitler angeregten friedlichen Regelung der Differenzen Rumäniens mit Ungarn und Bulgarien stimmte König Carol in einem Antwortschreiben an Hitler zunächst zu. Die Gespräche mit Bulgarien verliefen einvernehmlich und man einigte sich schon am 21. August auf die Abtretung der Süddobrudscha an Bulgarien. Es zeigte sich jedoch bald, dass die eingeleiteten Verhandlungen mit Ungarn nicht zum Ziele führen würden. Rumänien setzte auf einen Bevölkerungsaustausch, wohingegen Ungarn von vorneherein auf weitgehende Gebietsabtretungen bestand. Siebenbürgen sollte zu zwei Dritteln an Ungarn gelangen und bei Rumänien lediglich ein schmaler Streifen nördlich der Südkarpaten verbleiben, ein Gebiet, in dem schon seit dem frühen Mittelalter eine rumänische Bevölkerung nachweislich siedelte. Die militärischen und aussenpolitischen Konstellationen ließen Hitler den Entschluss fassen, sich umgehend in das Geschehen einzuschalten. Zwischenfälle an der neuen sowjetisch-rumänischen Grenze im August und eine zweideutige Rede Molotows am 1. August hatten in den Augen der deutschen Führung die Lage in Südosteuropa während der vergeblichen ungarisch-rumänischen Verhandlungen immer mehr verschärft und führten am 25./26. August zur akuten Krise, als Nachrichten über starke russische Truppenkonzentrationen an der rumänischen Grenze einliefen. Gleichzeitig erhöhte sich die Spannung im ungarisch-rumänischen Grenzgebiet. Es schien Hitler also höchste Zeit zu sein, zu einer Entscheidung zu gelangen. Also liess er die Beteiligten zu einem Treffen in Wien laden, wo er ihnen seinen Schiedsspruch unterbreiten lassen wollte. Der deutsche Aussenminister Ribbentrop und der italienische Aussenminister Ciano empfingen die Delegationen am 29.08. im Schloss Belvedere und teilten diesen mit, dass sie sich zur Annahme des Schiedsspruches entscheiden müssten, ganz gleich ob er zur Zufriedenheit ausfalle oder nicht. Die Ungarn stimmten sofort zu, während die Rumänen zögerten. Die Dramatik wurde der rumänischen Delegation erst richtig klar, als die dazugehörige Karte ausgebreitet wurde, in der der gesamte nördliche Teil Siebenbürgens einschließlich des Szeklerzipfels als nun ungarisches Gebiet markiert war. Der Aussenminister Manoilescu erregte sich dermassen, dass er eine heftige Herzattacke erlitt. Carol entschied sich notgedrungen zur Annahme und Manoilescu mußte unterschreiben. In Rumänien heißt dieser Vorgang bis zum heutigen Tage nicht „Wiener Schiedsspruch“ sondern „Wiener Diktat“.

Der Kronrat und Carol hatten sich für die Annahme entschieden, weil die Rote Armee in Bessarabien Truppen konzentriert hatte und Ungarn seine Streitkräfte hatte aufmarschieren lassen. Es wurde somit ein Krieg sowohl mit Ungarn als auch mit der Sowjetunion befürchtet, was das Ende Rumäniens bedeutet hätte. Auch Hitler war bei seiner Entscheidung unter dem Eindruck eines rumänisch-ungarischen Krieges und in dessen Gefolge eines sowjetischen Griffs auf Rumänien gestanden, womit für die deutsche Kriegswirtschaft das Erdöl verloren gegangen wäre.

Der Zweite Wiener Schiedsspruch und seine Folgen

Die neue Grenzziehung traf die rumänische Öffentlichkeit bis ins Mark: Immerhin war die Befürchtung, dass auch das Banat abgetrennt würde, nicht eingetreten. Die rumänische Armee mußte innerhalb von zwei Wochen abziehen. Die neue Staatsmacht Ungarn verpflichtete sich, den Bewohnern die Staatsbürgerschaft zu gewähren. Wer die bisherige Staatsbürgerschaft behalten wollte, hatte innerhalb eines Jahres, ohne Nachteile in vermögensmäßiger Hinsicht, nach Restrumänien umzusiedeln. Der Einmarsch der ungarischen Armee war durch Aggressivität und Ausschreitungen gekennzeichnet. Flucht und Vertreibung von Rumänen aus Nordsiebenbürgen sowie von Magyaren aus dem rumänisch gebliebenen Siebenbürgen und ethnische Säuberungen folgten. Ungarn knüpfte in seiner Innen- und Nationalitäten-Politik nahtlos an die Zeit von vor 1914 an. Eine rabiate Magyarisierungspolitik wurde wieder aufgenommen. Die nach 1918 rumänisierte Universität Klausenburg (Cluj) wurde wieder ungarisch, nachdem der rumänische Lehrkörper nach Hermannstadt (Sibiu) übersiedelt war.

Man versuchte nun der rumänischen Öffentlichkeit verständlich zu machen, dass es keine Alternative zur Abtretung Nord-Siebenbürgens gegeben habe, und dass die „tragische Tatsache“ wenigstens dadurch gemildert wurde, dass Deutschland und Italien eine Garantie für die Grenzen des Reststaates und damit für seine Existenz abgaben. „Ich kehre mit schmerzerfüllter Seele aus Wien zurück und leide wie alle Rumänen“, betonte der Aussenminister Manoilescu und bemühte sich, Zuversicht zu wecken: „So lange ein rumänischer Staat besteht, der den grössten Teil der Nation umfasst, kann auch die Nation bestehen und auf eine bessere Zukunft hoffen“. Doch die Beschwichtigungen halfen wenig. Während der Verlust Bessarabiens noch einigermassen ruhig hingenommen worden war, rief die Abtretung Nord-Siebenbürgens helle Empörung hervor. Sie entlud sich in Strassenunruhen und erschütterte das politische Leben in einem Ausmaß, dass der König zur Erkenntnis kam, die Lage nur im Griff halten zu können, indem er am 04. September General Ion Antonescu zum Ministerpräsidenten ernannte und ihn mit umfangreichen Vollmachten ausstattete. Für sich behielt er nur Repräsentationsrechte. Antonescu war einer der wenigen, auf die große Hoffnung gesetzt wurde, ein Karrieresoldat seit dem Ersten Weltkrieg mit politischer Erfahrung, der auch im Ausland eine hohe Reputation genoss. Mit einem General als Regierungschef versicherte sich der König auch des Rückhalts der Armee. Antonescu benutzte seine Vollmachten, um reinen Tisch zu machen. Zwei Tage später, am 06. September 1940, zwang er den König zur Abdankung zugunsten dessen Sohnes Michael, der erneut, wie schon 1927 bis 1930, nun aber im Besitz der Volljährigkeit, dieses Amt übernahm. Die Stimmung in der Öffentlichkeit, die diesen Vorgang, obwohl es sich um einen Staatsstreich handelte, begrüßte, zeigte deutlich, wie tief das Ansehen Carols II. gesunken war. Der neue König bestätigte umgehend die Vollmachten Antonescus. Carol bleib nur die überstürzte Flucht. In Temeswar versuchten Legionäre, den Sonderzug anzuhalten, Carol die mitgeführten Wertgegenstände abzunehmen und seine Geliebte Elena Lupescu (Wolf) sowie den mitreisenden Haushofmeister in ihre Gewalt zu bringen. Der Lokführer rettete die Situation, indem er trotz Beschusses ein Haltesignal mißachtete und zur jugoslawischen Grenze durchfuhr. Eine der ersten unerfreulichen Aufgaben des Generals war die Unterzeichnung des Vertrags über die Abtretung der Süd-Dobrudscha an Bulgarien (7. September 1940). Auch hier folgten Bevölkerungsverschiebungen. Rumänen siedelten nach Rumänien und Bulgaren aus der bei Rumänien verbliebenen Nord-Dobrudscha nach Bulgarien um. Die Süd-Dobrudscha verblieb auch nach dem Ende des II Weltkrieges bei Bulgarien. Das 1918/19 entstandene und im Vertrag von Trianon bestätigte Großrumänien hatte nun insgesamt etwas mehr als ein Drittel seines Territoriums verloren.

Ungarn konnte sich aber nicht lange seines Zugewinns aus dem Zweiten Wiener Schiedsspruchs erfreuen, denn mit dem Frontwechsel Rumäniens am 23. August 1944 mußte es Nord-Siebenbürgen wieder räumen und Rumänien nahm wieder Besitz davon, was dann auf der Pariser Friedenskonferenz vom 29. Juli bis zum 15 Oktober 1946 offiziell legitimiert wurde. Bessarabien und die Nord-Bukowina blieben aber verloren. Bei dieser Gelegenheit verlor Ungarn auch die Erwerbungen aus dem Ersten Wiener Schiedsspruch vom 02. November 1938 wieder. Hierbei handelte es sich um ein breiten Streifen im Süden der Slowakei und Transkarpatien, die beide durch den Vertrag von Trianon an die Tschechoslowakei gefallen war. Auch das war nur ein kurzer Traum.

Die Demographie Nord-Siebenbürgens hatte sich in den Jahren 1940 bis 1945 allerdings erheblich verändert. Nicht nur dass durch den zweimaligen Landeswechsel Rumänen und Ungarn in erheblicher Zahl hin- und hergeschoben wurden, sondern auch die recht zahlreiche jüdische Vorkriegsbevölkerung in den Städten war fast restlos ermordet worden. Hinzu kam noch, dass die Siebenbürger Sachsen aus Nord-Siebenbürgen im Herbst 1944 durch eine großangelegte Evakuierungsaktion ihre Wohnstätten verließen und nach erheblichen Mühsalen in Österreich und Deutschland Zuflucht fanden. Es handelte sich um immerhin ca. 50.000 Personen. Nur ein sehr kleiner Teil von ihnen kehrte freiwillig oder unter Druck wieder zurück. Die Familie des Verfassers dieser Zeilen gehörte zu diesen Heimkehrern, siedelte aber Jahre später im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland über. In den verlassenen Dörfern und städtischen Wohngebieten der Siebenbürger Sachsen wurden Motzen (eine rumänische Subethnie) aus den Westkarpaten angesiedelt, oder es ließen sich Rumänen und Roma mit verschiedener Stammeszugehörigkeit aus anderen Landesteilen nieder.