Kürzlich hat die illegale sogenannte Regierung des abtrünnigen moldauischen Gebiets Transnistrien Russland offiziell um Hilfe gegen die Republik Moldau ersucht. Damit rückt Bessarabien wieder einmal in den internationalen Focus. Eine offizielle oder gar militärische Reaktion Putins gibt es noch nicht. Aber es ist einen neue Front ins Visier genommen.
Bessarabien, der ewige Spielball
Das kleine und arme Land, die heutige Republik Moldau (im Volksmund Moldawien genannt), hat eine wechselvolle und tragische Geschichte. Sein historischer Name ist Bessarabien, ein zwischen dem Pruth und dem Dnjester gelegener Landstrich.
Der Name Bessarabien wurde nach türkischer Gepflogenheit zunächst auf das Donaufürstentum Walachei (Muntenien) angewandt, und zwar nach der lange herrschenden Fürstenfamilie Basarab. Das Donaufürstentum Moldau wurde lange Zeit nach seinem Gründer Bogdan Bogdanien genannt.
Später und zum ersten Mal erscheint der Name Bessarabien im Frieden von Kütschük-Kainardschi (27. Juli 1774) als eigenständiger Begriff neben Moldau und Walachei bezogen auf das heute zur Ukraine gehörige Südbessarabien mit der geografischen Bezeichnung Buceag. Zum zweiten Mal erscheint er im Friedensvertrag von Jassy (09.01.1792). Im Friedensvertrag von Bukarest (18.05.1812) wird der Name nicht genannt, sondern es wird lapidar gesagt, dass der Pruth in Zukunft die Grenze zwischen dem russischen und dem türkischen Reich bilden solle. Das Fürstentum Moldau, das dadurch geteilt wurde, stand zu dem damaligen Zeitpunkt unter türkischer Suzeränität. Die abgetretenen bzw. einverleibten Gebiete werden zwar im Vertrag nicht namentlich benannt, aber der Name Bessarabien wurde seither allenthalben geläufig.
Eine selbständige Geschichte hat Bessarabien bis zum Zerfall der Sowjetunion Ende 1991 nie gehabt. Als östlicher Teil des Donaufürstentums Moldau war es immer ein Spielball seiner mächtigeren Nachbarn (Königreich Ungarn, Osmanisches Reich, Polen- Litauen, Russisches Reich, Rumänien, Sowjet-Union).
Im 12. und 13. Jahrhundert bildeten sich im Schatten der tatarischen Goldenen Horde östlich der Karpaten mehrere zunächst ethnisch nicht genau konturierte „Banat“-Herrschaften (Knesate), die mit massiver ungarischer Unterstützung und durch verstärkten Zuzug aus der rumänisch besiedelten Maramures zunehmend romanisiert wurden. Um 1360 eroberte und vereinigte der Regionalfürst der Maramures Bogdan mit ungarischer Hilfe diese „Streuherrschaften“ und schuf dadurch das Fürstentum Moldau, das seine Macht über den Pruth hinaus mit offenen Grenzen nach Osten ausdehnte. In der Folgezeit stand das Fürstentum immer im Schatten der mächtigeren Nachbarn und musste wiederholt Bessarabien teilweise oder ganz abtreten. 1812 bis 1918 gehörte es zum russischen Reich. Nach dem ersten Weltkrieg gelangte es Gänze an das auf der Siegerseite stehende Königreich Rumänien.
In Bessarabien verfolgte Russland eine Kolonisierungspolitik, die die Einwanderung von Russen, Ukrainern, Bulgaren, Deutschen, Juden und Gagausen – einem turksprachigen Volk mit orthodox- christlichem Glauben – in die Provinz förderte. Um 1900 hatte sich Bessarabien, dessen Bevölkerung im Jahr 1812 mehrheitlich rumänischsprachig war, in eine ethnisch vielfältige Provinz verwandelt. Die Russifizierungspolitik stellte sicher, dass fortan die russische Sprache und Kultur in Bessarabien vorherrschten.
Das zwanzigste Jahrhundert: Bessarabien zwischen der Sowjetunion und Rumänien
Nach der Russischen Revolution 1917 drohte die neue unabhängige Ukraine, die aufgrund der in Bessarabien lebenden großen ukrainischen Bevölkerungsgruppe Ansprüche auf die Provinz erhob, Bessarabien mit der Annektierung. Als Reaktion darauf erklärte zunächst die bessarabische Führung im Januar 1918 die Provinz zur Unabhängigen Demokratischen Republik Moldau, aber die militärische und wirtschaftliche Schwäche sowie der anhaltende Druck aus der Ukraine führten im März des gleichen Jahres zur Vereinigung der Republik mit Rumänien. Diese Vereinigung wurde dann 1919 in der Friedensregelung von Paris bestätigt. Die rumänische Regierung war in der Zwischenkriegszeit nicht in der Lage, Bessarabien (wie die Provinz erneut genannt wurde) voll in den rumänischen Staat zu integrieren, da nur etwa 56% der drei Millionen Menschen umfassenden bessarabischen Bevölkerung rumänisch sprechende Moldauer waren. Insbesondere die ethnischen Minderheiten blieben unerschütterlich russischsprachig und russophil.
Die Sowjetunion hatte zwar auf Bessarabien verzichten müssen erhielt jedoch den Rechtsanspruch aufrecht, indem sie 1924 östlich des Dnjester (etwas größer als die illegale heutige Republik Transnistrien) eine autonome sozialistische Republik Moldau innerhalb der Sozialistischen Sowjetrepublik Ukraine bildete.
Im Juni 1940 akzeptierte die rumänische Regierung infolge des Hitler-Stalin-Pakts vom August 1939 notgedrungen die Forderung der Sowjetunion nach Abtretung Bessarabiens, das fortan Moldauische Sozialistische Sowjetrepublik (MSSR) genannt wurde. Stalin sprach den nördlichen und südlichen Teil der MSSR, die beträchtliche ukrainische Bevölkerungsanteile hatten, der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik zu. Der Rest der MSSR wurde mit einem schmalen Streifen der MASSR am linken Dnister-Ufer vereint; dieses Gebiet bildet das heutige Transnistrien. Im Zuge dieser regional-politischen Neugestaltung wurden die annähernd 100.000 Deutschen ins Deutsche Reich bzw. in den polnischen Wartegau umgesiedelt. 1941 wurde die MSSR von der rumänischen Armee erobert und erneut mit Rumänien zusammengelegt. Die Rumänen dehnten ihren Herrschaftsbereich nun auch weiter nach Osten aus und errichteten zwischen dem Dnjester und dem Bug unter Einbeziehung der bedeutenden Hafenstadt Odessa das Gouvernement Transnistrien. Dieses Transnistrien erlangte einen unrühmlichen Ruf dadurch, dass der Staatsführer Antonescu ca. 185.000 Juden, die die vorausgegangenen Massacker in der Bukowina und in Bessarabien überlebt hatten, und ca. 25.000 moldauische Zigeuner dorthin deportieren und in Lager einpferchen ließ. Mehr als die Hälfte von ihnen fanden einen jämmerlichen Tod durch Hunger, Erschöpfung und durch Seuchen. 1944 fiel das gesamte Gebiet in die Hände der Roten Armee und wurde wieder ein Teil der Sowjetunion. Die wiedergeschaffene MSSR erlangte die gleiche Ausdehnung wie im Juni 1940.
Nach dem Krieg förderten die sowjetischen Behörden die Einwanderung von Russen und Ukrainern in die MSSR. Die höhere Geburtenrate unter den Moldauern sorgte jedoch dafür, dass die ethnisch moldauische Bevölkerung im Jahr 1989 insgesamt 64% der Gesamtbevölkerung der MSSR ausmachte. Aber Ukrainer und Russen dominierten in der Kommunistischen Partei und der staatlich gelenkten Wirtschaft. Die wenigen Moldauer, die eine bedeutende Position erreichten, kamen fast alle von der transnistrischen Seite des Dnjester.
Transnistrien war innerhalb der MSSR wirtschaftlich und politisch von großer Bedeutung. Ein Drittel der Industrieproduktion und 90% der Energieproduktion der Republik kamen aus Transnistrien (Die Energieversorgung des heutigen Moldawien ist immer noch abhängig von Transnistrien). Auch strategisch war Transnistrien äußerst wichtig für die militärischen Fähigkeiten der Sowjetunion während des Kalten Krieges. Von 1956 an war die 14. sowjetische Armee dort stationiert. Im Kriegsfall sollte sie in den Balkan, in Griechenland und in die Türkei einmarschieren. In der Nähe von Tiraspol wurde ein Militärflughafen gebaut, und die in der Stadt entstehenden Industrien verwandelten Transnistrien in einen Hauptlieferanten von Waffen und technischer Ausrüstung für das sowjetische Militär.
In der MSSR herrschten die russische Sprache und Kultur vor. Das Erlernen der „moldauischen“ Sprache – wie die rumänische Sprache bezeichnet wurde – war in Schulen nicht obligatorisch. In landwirtschaftlichen und schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen fand man eher Moldauer als Russen und Ukrainer. Angesichts dieser Situation wuchs in den 1980er Jahren unter den ethnischen Moldauern der Groll. Darüber hinaus erlebte die Republik schwere Wirtschafts- und Umweltkrisen, und ihre politischen Führer waren in Korruption verstrickt. Michail Gorbatschows Reformagenda in der Sowjetunion der späten 1980er Jahre machte den Reformwilligen in der MSSR Mut.
Die 1989 gegründete Moldauische Volksfront strebte die Souveränität für Moldawien an und forderte die Verwendung der moldauischen Sprache als Amtssprache ein. Viele ihrer Mitglieder befürworteten die Vereinigung mit Rumänien. Die Volksfront gewann 1990 die Wahlen und machte somit den kommunistischen Machtanspruch zunichte. Im April übernahm die Regierung die Flagge des rumänischen Nachbarlandes mit den vertikalen blau-gelb-roten Streifen als Nationalflagge. Hinzugefügt wurde ein römischer Adler, der den Auerochsenkopf auf der Brust trug – das heraldische Symbol des mittelalterlichen Fürstentums Moldau.
Die pro-rumänische Politik der Volksfront löste unter der russischsprachigen Bevölkerung der MSSR eine Gegenreaktion aus. Die im Süden der MSSR lebenden Gagausen riefen im August 1990 die Gagausische Sozialistische Sowjetrepublik aus, die später die Bezeichnung Gagauz Yeri oder Gagausien trug. Heute ist sie das „Autonome Gebiet Gagausien“. Im darauffolgenden Monat gab die transnistrische Führung die Gründung einer Sozialistischen Dnjester-Sowjetrepublik als Bestandteil der Sowjetunion bekannt. Im Mai 1991 wurde die MSSR in Republik Moldau umbenannt und erklärte am 27. August ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Am 1. Dezember wurde die Sozialistische Dnjester-Sowjetrepublik in Moldauische Dnjester-Republik umbenannt und erklärte wiederum ihre Unabhängigkeit von der Republik Moldau. Dies löste militärische Auseinandersetzungen zwischen den Separatisten und der Zentralregierung aus, die im Sommer 1992 zu einem umfassenden Krieg eskalierten. Auf beiden Seiten kämpften auch Freiwillige aus anderen Ländern, auf moldauischer Seite zumeist Rumänen, während Transnistrien durch Freiwillige aus Russland und der Ukraine unterstützt wurde. Moldawien verlor im Laufe des Konflikts endgültig die Kontrolle über Transnistrien.Als im Juli der Waffenstillstand geschlossen wurde, waren in diesem Konflikt, den die Transnistrier mit der Unterstützung der 14. sowjetischen Armee gewonnen hatten, 500 Menschen zu Tode gekommen. Oberkommandierender der russischen Armee war zu diesem Zeitpunkt der General Alexander Lebed, der den Afghanistan-Krieg brillant beendet hatte und seither sehr populär war. Dass am 09.04.1989 unter seinem Kommando Fallschirmjäger eine gewaltlose Demonstration vor dem Parlamentsgebäude in Tiflis aufgelöst hatten, wobei 20 Georgier getötet und Hunderte verletzt worden waren, war schon vergessen. Der Vorfall hatte allerdings seinerzeit zu starken Spannungen in Georgien geführt und war einer der Auslöser für die Unabhängigkeitserklärung der Kaukasusrepublik im Jahre 1991 gewesen. Lebed wurde Ende der 90er Jahre als Sekretär des Sicherheitsrates zu einer der beliebtesten Persönlichkeiten, war für viele eine große Hoffnung und galt als aussichtsreicher Präsidentenkandidat. In dieser Funktion handelte er auch im August 1996 das Friedensabkommen von aus, mit dem der Erste Tschetschenienkrieg beendet wurde (hierfür erhielt er 1998 den ). Wohl auf Betreiben politischer Rivalen degradierte ihn daraufhin der Präsident und ließ ihn zum Gouverneur von Krasnojarsk wählen. Wladimir Putin nannte das Abkommen später einen „Betrug an Russland“ und äußerte sich verächtlich über den General. Im April 2002 kam er durch einen mysteriösen Hubschrauberabsturz ums Leben.
Nachdem die Separatisten östlich des Dnjester die Macht übernommen hatten, schwand die Unterstützung für die Volksfront im Rest der Republik Moldau. Nach den 1994er Wahlen übernahm die Agrardemokratische Partei die Regierung. Die meisten ihrer Mitglieder unter Führung des Präsidenten Mircea Snegur waren Reformkommunisten, die eine Vereinigung mit Rumänien ablehnten und sich für die Beibehaltung wirtschaftlicher Beziehungen zu Russland aussprachen. Bei einem nachfolgenden Referendum stimmten 90% der moldauischen Bevölkerung für die Unabhängigkeit. Zu den Gründen für die nachlassende Unterstützung der Vereinigung mit Rumänien gehörten die akuten politischen und wirtschaftlichen Probleme Rumäniens in den frühen 1990er Jahren. Dennoch gibt es bis zum heutigen Tag in der moldauischen Gesellschaft eine gut organisierte und sehr präsente pro-rumänische Bewegung.
Das einundzwanzigste Jahrhundert: Moldawien zwischen Russland und dem Westen
Mit der durch die Auflösung der Sowjetunion bedingten und durch die russische Finanzkrise im Jahr 1998 verschärften wirtschaftlichen Krise fand sich Moldawien in der wenig beneidenswerten Position des ärmsten Landes Europas. Die Partei der Kommunisten der Republik Moldau (PCRM) gelangte 2001 unter der Führung von Wladimir Woronin an die Macht. Die Anziehungskraft der Partei erwuchs aus der Sehnsucht der Menschen nach der scheinbaren Stabilität der Sowjetunion und ihrer staatlich gelenkten Wirtschaft. Die PCRM versprach nicht nur wirtschaftliche Stabilität, sondern auch die Stärkung des Status der russischen Sprache. Der PCRM nahestehende Intellektuelle trugen die gleichen Argumente wie die Sowjets im zwanzigsten Jahrhundert vor: das moldauische Volk und das rumänische Volk seien ethnisch und sprachlich verschieden; Moldawiens Platz sei an der Seite Russlands. Woronin war jedoch nicht in der Lage, eine Lösung für das Problem Transnistrien zu finden. Er beleidigte den russischen Präsidenten Wladimir Putin, indem er 2003 seine Zustimmung zum Kozak-Memorandum zurückzog, mit dem Russland vorgeschlagen hatte, aus Moldawien einen föderalen Staat mit umfangreichen Befugnissen für Transnistrien und Gagauz Yeri zu machen. In der Folge weigerte sich Putin, die russischen Truppen aus Transnistrien abzuziehen. Daher sind bis heute 1 500 bis 2.500 russische Soldaten in Transnistrien stationiert. Ausserdem wird das Cobasna-Munitionsdepot an der östlichen Grenze Transnistriens als eines der größten, wenn nicht sogar als das größte Munitionsdepot in Osteuropa bezeichnet und enthält bis zu 20.000 Tonnen Munition und Waffen aus der Sowjetzeit. In diesem Depot wurden die Munition und das kleinere Kriegsgerät, die nach 1990 aus der DDR und der Tschechoslowakei abtransportiert worden waren, gelagert. Allerdings sind mehr als die Hälfte der Munition aus dem Cobasna-Depot wohl abgelaufen und für die weitere Verwendung oder den Transport nicht mehr geeignet. Vermutlich können aber immerhin 7-8 Tausend Tonnen dieser Munition einsatzbereit sein.
Nachdem keine russische Unterstützung mehr zu erwarten war, propagierte Woronin bei den Wahlen im März 2005 die Integration in die EU als politisches Ziel; die PCRM ging aus dieser Wahl als Sieger hervor. Aber Russland konnte einen stärkeren wirtschaftlichen Hebel in Moldawien ansetzen als die EU. Das 2006 verhängte russische Embargo auf moldauische Weine und Agrarprodukte hatte schwerwiegende Konsequenzen zur Folge. Moldawien blieb nicht nur das ärmste Land in Europa, wobei mehr als ein Drittel des BIP aus den Geldtransfers von mehr als 300.000 im Ausland arbeitenden Moldauern stammte, das Land stand außerdem auf dem dritten Platz des weltweiten Korruptionsindex.
Im April 2009 wurden Neuwahlen angesetzt; die Wählerschaft war gespalten in diejenigen, die eine engere Anbindung an Russland wünschten, und diejenigen, die eine Integration in die EU anstrebten. Die PCRM gewann die Wahl, aber in den sozialen Medien rief die Opposition wegen angeblicher Fälschung der Ergebnisse zu Demonstrationen in Kischinev auf. Durch die im Verlauf dieser sogenannten „Twitter-Revolution“ ausbrechende Gewalt starben drei Menschen. Präsident Woronin beschuldigte die rumänische Regierung, einen Putsch organisiert zu haben, nachdem der rumänische Präsident Basescu versprochen hatte, die Gewährung der rumänischen Staatsbürgerschaft für Moldauer zu erleichtern.
Bei einer weiteren Wahl im Juli 2009 übernahm das Pro-EU-Bündnis für Europäische Integration die Macht. Nach der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU im Juni 2014, das der Republik Moldau zollfreien Zugang zum EU-Markt gewährte, verhängte Russland zur Strafe ein Embargo auf moldauische Produkte. Auch Transnistrien stellte weiterhin für die moldauische Regierung ein Problem dar. Nachdem Russland im März 2014 die Krim von der Ukraine abgetrennt und annektiert hatte, forderte die politische Führung Transnistriens die Aufnahme durch Russland. Die Russen taten ihr den Gefallen jedoch nicht.
Das Bündnis für Europäische Integration wurde 2014 durch einen Bankenskandal erschüttert: 12% des Bruttoinlandsprodukts waren aus den Banken gestohlen worden, aber die Regierung schaffte es nicht, die dafür Verantwortlichen vor Gericht zu bringen. Im Lauf der Jahre 2015 und 2016 fanden zahlreiche Anti-Regierungs- und Anti-Korruptionsdemonstrationen statt, während derer viele die Vereinigung mit Rumänien forderten, obwohl sich auch pro-russische Demonstranten unter die Menge mischten.
Igor Dodon, der pro-russische Führer der Partei der Sozialisten, gewann 2016 die Präsidentschaftswahl und versuchte, die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland zu normalisieren. Russlands bestehende Einfuhrverbote für moldauische Produkte hatten aber inzwischen zu einer Neuorientierung des Handels der Republik Moldau in Richtung EU geführt. Die nachfolgenden Parlamentswahlen spiegelten die noch immer bestehende Spaltung zwischen dem pro-russischen und dem pro-europäischen Lager wider. Die derzeitige Präsidentin ist die europafreundliche Politikerin Maia Sandu, die 2020 die Präsidentschaftswahl gewann. Sandus Aktions- und Solidaritätspartei stellt seit 2021 die Regierung.
Der Angriffskrieg auf die Ukraine: Ein Wendepunkt in der Geschichte Moldawiens?
Jahrzehnte hindurch schwankte die Republik Moldau zwischen Russland und Rumänien/der EU. Russlands Einmarsch in die benachbarte Ukraine im Februar 2022 könnte sich jedoch als entscheidender Moment herausstellen. Im März stellte die Sandu-Regierung einen förmlichen Beitrittsantrag in die EU. Meinungsumfragen zeigen unter der Bevölkerung eine 70%ige Zustimmung zum Beitritt. Etwa 40% der Befragten sprachen sich auch für eine Vereinigung mit Rumänien aus. Anfang April sagte die EU der Republik Moldau ein Hilfspaket zu, um die Folgen des Ukraine-Krieges und insbesondere die Flüchtlingskrise bewältigen zu können, und um die Energie-Abhängigkeit von Russland und Transnistrien zu beenden.
Angesichts der eigenen militärischen Schwäche und des ungelösten Problems der in Transnistrien stationierten russischen Truppen fürchten viele Moldauer einen russischen Angriff auf ihr Land. Am 22. April 2022 äußerte ein russischer General, Russlands Ziel sei es, die südliche Ukraine einzunehmen und somit einen Zugang zu Transnistrien zu gewinnen, wo – wie er behauptete – die russischsprachige Bevölkerung unterdrückt werde. Dies löste Befürchtungen aus, dass der Krieg in der Ukraine auf Moldawien übergreifen könnte. Einige Tage danach kam es zu unerklärlichen Explosionen in Transnistrien. Die moldauische Regierung lehnte in der Folge ein Angebot der Ukraine ab, das Problem durch eine Annektierung Transnistriens – das einmal zur sowjetischen Ukraine gehört hatte – zu lösen. Sowohl die EU als auch die amerikanische Regierung versprachen eine Verstärkung der militärischen Hilfe für die Republik Moldau. Am 20. Mai 2022 sagte die britische Außenministerin Liz Truss, dass Moldawien „nach NATO-Standards ausgerüstet“ werden müsse, um das Land vor russischer Aggression zu schützen.
Die Sandu-Regierung vollführt derzeit eine Gratwanderung. Einerseits begrüßt sie die Unterstützung der EU und anderer westlicher Länder, andererseits ist die Neutralität Moldawiens in außenpolitischen Angelegenheiten in der Verfassung von 1994 festgeschrieben. Die Politik Sandus ist für Russland offensichtlich eine Provokation. Dieses Empfinden wurde durch die kürzlich erfolgte Festnahme des früheren pro-russischen Präsidenten Igor Dodon wegen Korruptionsvorwürfen noch verstärkt. Es bleibt daher abzuwarten, ob die derzeitige Politik der moldauischen Regierung einen entscheidenden Wendepunkt in der geopolitischen Ausrichtung der Republik darstellt, oder ob es nur ein weiterer Pendelausschlag in einem Land ist, das von Russland aus historischen Gründen seinem Einflussbereich zugeordnet wird.
Umtriebe zum Sturz der Präsidentin Maia Sandu
Die demokratisch und europäisch gesinnte Präsidentin Maia Sandu und ihre Regierung haben zwar eine stabile Mehrheit, stehen aber unter russischem „Dauerfeuer“ und mussten sich darüberhinaus diverser von Russland unterstützter Umsturzversuche und sogar mehrerer Anschlagsversuche erwehren. Die erbittertsten Gegner sind zwei extrem korrupte Oligarchen, die sich beide der Strafverfolgung durch Flucht entzogen haben, der eine nach Israel, der andere in die Türkei und von dort mit ihrem ungeheuren, ergaunerten Vermögen in die Innen- und Außenpolitik des Landes eingreifen. Es handelt sich zum einen um den Finanzjongleur Ilan Schor, der neben anderen Korruptionsvergehen 2014 die moldawischen Banken um knapp eine Milliarde Dollar bestohlen hat und dadurch nicht nur diese Banken ruiniert hat, sondern auch den Staatshaushalt in Bedrängnis brachte. Der Strafverfolgung entzog er sich durch Flucht in sein Geburtsland Israel, was ihn aber nicht daran hindert, weiter die Fäden in der von ihm gegründeten Parlamentspartei SHOR zu ziehen. Er finanzierte auch die seit Januar 2023 stattfindenden heftigen Proteste gegen die Regierung und die prorussischen Umtriebe in Gagausien. Außerdem betreibt er im ganzen Land eine aggressive antiwestliche und prorussische Propaganda. Angeblich hat ihn Wladimir Putin im Falle eines geglückten Putsches in Kischinev schon als seinen Statthalter in Moldawien auserkoren. Der zweite flüchtige Oligarch ist Vlad Plahotniuc, der an dem Bankenbetrug von 2014 beteiligt war, aber über noch mehr kriminelle und gewinnbringende Netzwerke verfügt als Schor. Er galt mit 2,5 Milliarden Dollar als der reichste Mann Moldawiens. So fiel es ihm auch leicht, eine politische Partei kurzerhand zu kaufen und sich zu ihrem Vorsitzenden wählen zu lassen, nämlich der Demokratischen Partei Moldawiens (PDM). Er wurde auch Parlamentsmitglied, zog sich aber im Juni 2019 nach dem Sieg der PAS (Aktions- und Solidaritäts-Partei) von Maia Sandu aus der Pülotik zurück. Im März 2017 ließ er sich jedoch zum Vizepräsidenten der Sozialistische Internationale wählen. In dieser Eigenschaft plädierte er öffentlich für den Rückzug Russlands aus dem Donbas, was ihm die Todfeindschaft Russlands einbrachte. Die russische Reaktion blieb nicht aus. Am 26. Juni 2019, zwei Tage nach dem Rücktritt von Vlad Plahotniuk als PDM-Vorsitzender, wurde er von der Russischen Föderation beschuldigt, im großen Stil und durch ein riesiges Netzwerk in Nordafrika über die Europäische Union und in der GUS einschließlich der Russischen Föderation mit Drogen gehandelt zu haben. Mittlerweile wird ihm auch seitens der Republik Moldau die Gründung einer kriminellen Vereinigung, Erpressung, Betrug und Geldwäsche vorgeworfen, und er ist auf die internationale Fahndungsliste gesetzt werden. Anscheinend sinnt er auf Rache, denn ein Teil der Umtriebe gegen die Regierung sollen auf sein Konto gehen. Ob er die Hoffnung hegt, dass durch ein politisches Comeback die Anschuldigungen gegen ihn fallengelassen werden, ist offen. Auf jeden Fall ist er mit seinen Netzwerken und seinen finanziellen Möglichkeiten für die amtierende Präsidentin nicht ungefährlich.
Die größte Gefahr für die moldawische Regierung geht jedoch von der Russischen Föderation aus. Der russische Präsident Wladimir Putin hat am 20.02.2023 ein in der Angelegenheit des eingefrorenen Transnistrien-Konflikts ausschlaggebendes Dekret aus dem Jahr 2012 annulliert. Das Präsidialdekret hatte festgelegt, dass eine endgültige Lösung des Konflikts um das seit 1990 von Moldawien abtrünnige Gebiet Transnistrien ausschließlich „unter Einhaltung der Souveränität, territorialen Integrität und Neutralität von Moldawien“ erfolgen könne.
Putins Beschluss erfolgt vor dem Hintergrund der jüngsten Forderung des neuen moldawischen Premierministers Dorin Recean nach einer „Demilitarisierung Transnistriens“ sowie des Abzugs der russischen Streitkräfte vor Ort. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hatte den proeuropäischen Behörden in Chisinau deswegen erst am Montag „antirussische Hysterie“ vorgeworfen und diese verwarnt, künftig „besonnener“ mit ihren Forderungen zu sein.
Moldawische Sicherheitsbehörden berichten, dass mindestens zwei Anschlagsversuche auf die Präsidentin vom russischen Geheimdienst mit Geldern von Ilan Schor und mit gekauften Auftragskillern aus Tschetschenien und interessanterweise aus Serbien organisiert worden seien. Beweise gibt es dafür nicht. Wiederholte Drohungen von Dimitrij Medwedew und anderen putinnahen Claqueuren gegen Moldawien, falls das Land sich dem Westen zuneigen sollte, werfen ein klares Licht auf die russische Sicht der Dinge. Eine Tatsache scheint aber festzustehen: Russland wird alles ihm mögliche daran setzen, die Situation in Moldawien zu destabilisieren. Es ist nämlich traditionelle russische Taktik, an Russlands Peripherie schwelende Konflikte weiter zu schüren oder neue zu schaffen, um gegebenenfalls intervenieren zu können. Beispiele gibt es zuhauf, wie etwa: Tadschikistan-Kirgistan; Armenien-Aserbaidschan; Georgien-Südossetien- Abchasien.