Die Bedeutung und Entwicklung der deutschen Sprache in Ostmitteleuropa

Vorbemerkung

In der EU gibt es über 100 Millionen Menschen mit deutscher Muttersprache, das sind ca. ein Viertel aller EU-Bürger. Hinzu kommen noch zwischen 10 und 20 Millionen Europäer, die das Deutsche gut bis sehr gut beherrschen. Deutsch ist also eine der wichtigsten europäischen Sprachen. Insbesondere im ostmitteleuropäischen Raum = OME (aus mir unerfindlichen Gründen hat sich in der jüngeren Literatur und in amtlichen Verlautbarungen der Begriff Mittelosteuropa = MOE eingeschlichen, der jeglicher Logik entbehrt). Wenn wir uns auf den traditionellen Europabegriff verständigen, nämlich die Landmasse vom Atlantik bis zum Ural, dann liegt der Mittelpunkt Europas in Litauen. Mitteleuropa wäre demnach Deutschland und der östlich davon liegende Staatengürtel von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Die Bedeutung und Entwicklung der deutschen Sprache in diesem Raum, also dem ostmitteleuropäischen Raum, ist Gegenstand dieser Ausführungen.

Begriffsklärung

Wir können feststellen, daß gerade in diesem Raum die deutsche Sprache eine herausragende Rolle gespielt hat und auch heute noch spielt, wenn sie auch durch den weltweiten Siegeszug des Englischen nur noch an zweiter Stelle steht. Bevor wir uns den Ursachen und dem Verlauf dieses Phänomens zuwenden, müssen wir uns darüber verständigen, was wir unter Deutsch verstehen wollen. Wir unterscheiden drei Kategorien: zum einen Hochsprache, Literatursprache, Nationalsprache, Schriftsprache, Kultursprache, Einheitssprache, Verkehrssprache, Umgangssprache, dann Dialekt, Mundart, Verkehrsmundart, Halbmundart und schließlich Volkssprache, Gemeinsprache und Sondersprache. Die Problematik dieser Terminologie ist wissenschaftlich noch keineswegs geklärt. An wenigen Beispielen möchte ich die Problematik andeuten: Was ist das Siebenbürgisch-Sächsische? Ein Dialekt, eine Mundart, eine Volkssprache oder eine Sondersprache? In der Literatur herrscht keine Klarheit. Oder das Jiddische, das bis zum Holocaust von vielen Millionen Menschen gesprochen wurde? Ich neige dazu, sie für Sondersprachen zu halten. Beide sind keine traditionellen Schriftsprachen, spielten jedoch in ihrem Geltungsbereich eine große Rolle als Verkehrssprache. Die vielen deutschen Sprachinseln im europäischen Osten, die zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind und häufig keine Verbindung zueinander pflegten, haben unterschiedliche Idiome entwickelt, die auf ihre geographische Umgebung als Kommunikationsinstrument jeweils entscheidend einwirkten und nicht selten die Nachbarsprachen beeinflußten. Denken Sie hierbei an die vielen deutschen Lehnwörter vor allem im handwerklichen Bereich.
Sicher haben die deutschen Sprachinseln eine große Rolle für die Verbreitung und Verwendung der deutschen Sprache gespielt, es gab aber auch andere Ursachen, denen wir in groben Zügen nachgehen wollen. Dabei wollen wir uns aber auf die Hoch- bzw. Schriftsprache beschränken, nachdem die Mundarten infolge der gewaltigen Bevölkerungsverschiebungen im 20. Jh. ihre Bedeutung nahezu vollständig eingebüßt haben.

Mittelalterliche deutsche Ostsiedlung

Ausgangspunkt für die Bedeutung des Deutschen im Osten Europas war zweifellos die große deutsche Ostsiedlung, die die gesamte Region in ethnischer aber insbesondere in kultureller Hinsicht umformte. Auch die Siebenbürger Sachsen und die Zipser in der Slowakei gehören in diesen Zusammenhang. Entgegen einiger Polemiken in jüngerer Zeit handelte es sich bei dieser frühen Ostsiedlung nicht um eine von Deutschland her betriebenen imperialistische Kolonisierung, sondern genau umgekehrt um ein großes Anliegen der Landesherren in den jeweiligen Aufnahmeländern.

Nachdem der ostmitteleuropäische Raum endgültig christianisiert war und sich Landesherrschaften herausgebildet hatten, war ein deutliches kulturelles und wirtschaftliches Gefälle erkennbar, das die Landesherrn durch Anwerbung mittel- und westeuropäischer Bauern, Handwerker, Bergleute und Kaufleute auszugleichen suchten. Im großen Stil wurde den Siedlern Gemarkungen zur Verfügung gestellt und großzügige Privilegien verliehen. Der Adreanische Freibrief der Siebenbürger Sachsen ist ein Beispiel dafür. Es kamen nicht nur Deutsche,sondern auch Flamen, Wallonen und Franzosen, wobei sich aber das deutsche Element recht früh durchsetzte. Die Siedler behielten ihre mitgebrachten Lebensformen bis in die Neuzeit bei und prägten dadurch auch ihre Umwelt. Es ist hier nicht der Ort, die vielen Verästelungen der deutschen Ostsiedlung zu erörtern, wichtig ist hier nur, daß sie den Grundstein für die Verbreitung der deutschen Sprache legte.

Städtegründungen in Ostmittel- und Südosteuropa

Vielleicht noch bedeutsamer für den Aufstieg des deutschen Kultureinflusses und die Verbreitung der deutschen Sprache waren die umfangreichen Städtegründungen bis nach Rußland hinein. In Deutschland war der Städtebildungsprozess bereits weit fortgeschritten, wohingegen dem Osten Europas dieser Prozeß noch bevorstand. Die sich allmählich formierenden Gesellschaften Ostmittel- und Südosteuropas waren rein agrarischer Natur und hatten durch die bäuerliche deutsche Ostsiedlung bereits einen gewissen Fortschritt erzielt. Die Landesherren waren jedoch in ihren Wirkungsmöglichkeiten durch die landbesitzende Adelsschicht erheblich eingeschränkt. Insbesondere wegen der Abgabenfreiheit des Adels fehlte es den Landesherren an Einnahmen. Um sich nun eine stabile Einnahmequelle zu schaffen und um die landesspezifischen Produkte vermarkten zu können, waren sie an Städtegründungen nach deutschen Vorbildern höchst interessiert. In raschem Tempo entstanden nun Städte, die den gesamten ostmitteleuropäischen Raum wie ein Netz überzogen. In Böhmen, das ohnehin zum Deutschen Reich gehörte setzte dieser Städtegründungsprozeß am ehesten ein, pflanzte sich fort in den polnischen Hezogtümern und weit darüberhinaus. Im Königreich Ungarn waren die Siebenbürger Sachsen die Motoren der Städtegründungen. In kurzer Zeit entstanden wichtige städtische Zentren wie Hermannstadt, Kronstadt, Bistritz, Klausenburg u.a. Die Sachsen überschritten auch den Karpatenbogen und gründeten beispielsweise Curtea de Arges, Langental, Piatra Neamt, Cotnar bei Jasi und andere städtische Zentren in den rumänischen Fürstentümern. Im Baltikum waren durch die Siedlungstätigkeit des Deutschen Ordens rein deutsche Landstriche entstanden. Aber auch außerhalb des Ordensgebiets entstanden deutsche Städte und es etablierte sich eine wohlhabende und starke deutsche Ritterschaft. Eine Sonderform der Expansion deutschen Städtewesens waren die rege Handelstätigkeit der Deutschen Hanse. Sie unterhielt ihre Kontore sogar in der russischen Stadt Novgorod, dem äußersten Vorposten des Städtebundes. Die Ostsee galt über zwei Jahrhunderte als deutsches Meer. Deutsch entfaltete sich ganz zwangsläufig als lingua franka nicht nur an der Küste, sondern auch im Binnenland, wo in raschem Tempo Städte nach deutschem Vorbild und mit deutscher Bürgerschaft entstanden. Alle Städte etablierten das deutsche Stadtrecht, wobei das lübische und das Magdeburger Recht dominierten, aber auch das Wiener und Nürnberger Recht übten großen Einfluß aus und diese rechtsgebenden Städte wurden auch zu den Vororten, d.h. Gerichtshöfen bei eventuellen Rechtsstreitigkeiten.

Städte und Deutschtum in Ostmitteleuropa

Die überwiegend deutsche Bürgerschaft konnte sich auf den wirkungsvollen Schutz der Landesherren insbesondere gegen den agrarischen und steuerbefreiten Adel stützen und entfaltete sich rasch. Das Handwerk, der Bergbau und der Handel blühten in kürzester Zeit und brachten nicht nur der Bürgerschaft, sondern auch den Landesherren enorme Einnahmen. Bis in die beginnende Neuzeit, teilweise sogar bis ins ausgehende 18. Jh., konnten die Städte, aber auch die deutschen bäuerlichen Siedlungen ihren deutschen Charakter bewahren. In der jüngeren Literatur ist dieser Umstand teilweise als pangermanischer Imperialismus interpretiert worden, was jedoch den wahren Sachverhalt verkennt. Dieses Phänomen hing nämlich weniger mit ethnisch-nationalistischem Denken zusammen, das späteren Jahrhunderten vorbehalten war, sondern mit der allenthalben vorherrschenden Ständestruktur. Die Gesellschaften Ostmittel-und Südosteuropa waren zu dem damaligen Zeitpunkt noch rein agrarische Feudalgesellschaften, in denen die Landesherren ihre finanzielle Unabhängigkeit mit Hilfe der Städte und den freien bäuerlichen Siedlungen zu sichern bestrebt waren. Beide, die Städte und die freien deutschen Siedlungen, stellten auf landesherrliches Betreiben hin ein Gegengewicht gegen den steuerbefreiten Feudaladel dar und entwickelten sich rasch als kraftvolle Stände im Staatsgebilde. Der deutschsprachige Charakter dieser neuen Stände war rein siedlungsgeschichtlich und rechtshistorisch und nur scheinbar ethnisch-national bedingt. Bekanntermaßen war der Wechsel von einem zum anderen Stand nur dann möglich, wenn man sich den Rechtsgepflogenheiten des jeweiligen Standes unterwarf. Ein Adliger beispielsweise konnte die Bürgerschaft in einer Stadt nur dann erwerben, wenn er auf die adligen Privilegien verzichtete und sich in das städtische Milieu integrierte. Da das städtische Milieu deutsch war, blieb es nicht aus, daß in solchen Fällen das Deutschtum angenommen wurde. Aber auch umgekehrt, wenn ein städtischer Bürger zum Landbesitzer wurde, ging er in dem anderen Ethnikum auf. Das galt auch für die freien bäuerlichen Siedlungen. Wenn ein höriger Bauer, der in der Regel einem nichtdeutschen Ethnikum angehörte, es schaffte sich freizukaufen und sich in einer freien bäuerlichen Siedlung niederließ, ging er im Deutschtum auf, wie auch umgekehrt, freie Bauern, die in die Hörigkeit absanken, nach kurzer Zeit ihr Deutschtum verloren. Die letzteren Fälle waren häufiger als die ersteren. In Siebenbürgen konstatieren wir hinsichtlich der deutschen Siedler auf Komintatsboden einen Sonderfall.

Universitäten und Buchdruck

Ein neuer Aufschwung des deutschen Sprach- und Kultureinflusses erfolgte mit den Universitätsgründungen in rascher Folge. In Prag entstand 1348 die erste deutsche Universität, Prag wurde durch die Luxemburger und Habsburger Kaiser auch zum politischen Zentrum des Deutschen Reiches. 1364 folgte die Universität Krakau, beide waren deutsch geprägt und spielten später mit dem Aufkommen des Humanismus eine entscheidende Rolle. Zwar war die Wissenschaftssprache immer noch Lateinisch, aber das Deutsche begann sich spätestens mit dem Buchdruck, der von Mainz aus seinen Siegeszug nahm, noch mehr zu etablieren und es erschienen massenhaft auch Schriften in deutscher Sprache. Deutsche Papiermühlen und Druckereien überschwemmten ganz Ostmittel- und Südosteuropa. Die Nationalsprachen schienen auf das Niveau von Volkssprachen oder Gemeinsprachen herabzusinken. Die vielen deutschen Universitätsgründungen in rascher Folge brachten es mit sich, daß nicht mehr Paris und die italienischen Universitäten zentrale Studienorte für die gebildete Schicht Ostmitteleuropas war, sondern die deutschen Länder.

Reformation und Entdeckung neuer Verkehrswege

Das 16. Jahrhundert brachte in vielerlei Hinsicht einen dramatischen Wandel mit sich. Die Erschließung neuer Handelswege und das Aufkommen einer modernen Geldwirtschaft mit weltweit gespannten Handelsströmen ließen die ostmitteleuropäischen Städte ins Hintertreffen geraten. Sie verloren nach und nach ihre einstmals bedeutende Wirtschaftskraft. Auch der einstmals stark deutsch geprägte Charakter dieser Städte wandelte sich hin zu mehrsprachigen Gebilden, nachdem sich ein zunehmend autochthones städtisches Bürgertum etablierte. Die siebenbürgisch.sächsischen Städtebildeten auch hier noch eine Ausnahme. Die Reformation, die anfänglich in Ostmitteleuropa auf große Resonanz stieß, brachte ebenso große Veränderungen mit sich. Zwar schien die deutsche Sprache durch die reformatorischen Schriften einen neuen Aufschwung zu erfahren, aber der nicht zuletzt durch die Reformatoren selbst angeregte Druck geistlicher Schriften in den Nationalsprachen ließ diese wieder erstarken und ein intellektuelles Profil gewinnen. Die deutsche Sprache verlor nach und nach ihre überragende Bedeutung, obgleich sie immer noch für längere Zeit dominant blieb. Erste Ansätze eines „Sprachenkampfes“, vor allem in Polen und den ungarischen Ländern, der vor allem das 19.Jahrhundert prägte, wurden allerdings jetzt schon bemerkbar.

Wiederbelebung der deutschen Sprache im Zeitalter der Aufklärung

In der Folgezeit verschob sich die Kulturlandschaft erneut zugunsten der deutschen Sprache durch den Umstand, daß Deutschland zum fast alleinigen Vermittler der europäischen politischen und kulturellen Strömungen, also des Absolutismus, des Rationalismus und der Aufklärung, des Barock auf dem Gebiet der Architektur und der Kunst, sowie des Merkantilismus auf dem Gebiet des Wirtschaftens wurde. Nicht nur Peter der Große sondern fast alle Landesherren holten massenhaft Deutsche an ihre Höfe mit dem Ziel, ihre Länder zu modernisieren. Auch eine gewaltige neue Welle der deutschen Ostsiedlung wurde vor allem im 18. Jahrhundert in Gang gesetzt, die dem Deutschtum und damit der deutschen Sprache neuen Auftrieb gab. Nachdem sich die deutsche Literatur der französischen Dominanz entledigt hatte und in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ihren Höhenflug antrat, wurde sie für lange Zeit zum entscheidenden Impulsgeber und zum Vorbild der in diesen Ländern entstehenden Nationalliteraturen. Man denke nicht zuletzt an die große Rolle, die die deutsche Literatur, aber auch die deutsche Philosophie für Mihai Eminescu später gespielt hat.

Deutsch als Verwaltungssprache in der Habsburger Monarchie

In der durch die Zurückdrängung des Osmanischen Reiches und die polnischen Teilungen gewaltig angewachsenen Habsburger Monarchie, die einen Großteil Ostmittel- und Südosteuropas umfaßte, wurde 1784 schließlich das Deutsche sogar als ausschließliche Verwaltungssprache verordnet, sodaß die Beherrschung der deutschen Sprache geradezu lebenswichtig wurde. Dies stieß allerdings im ungarischen Reichsteil, aber auch in den polnischen Gebieten auf großen Widerspruch. Gerade bei diesen beiden Völkern hatte sich anders als bei den anderen Völkern schon recht früh ein ausgeprägtes National- und Sprachbewußtsein entwickelt und die Gegenreaktion ließ nicht lange auf sich warten.

Nationalismus im 19. Jahrhundert

Der durch die Ideen der französischen Revolution populär gewordene Begriff der modernen Nation ergriff auch die Völker Ostmittel- und Südosteuropas mit einer Wucht, die die Leidenschaften hochpeitschte und in ihrer Schärfe zu bisher unbekannten ethnischen Spannungen führte. Vor allem bei den Ungarn, aber auch bei anderen Völkern der Habsburger Monarchie erfolgte eine leidenschaftliche Besinnung auf das eigene Ethnikum und die eigene Sprache mit dem Endziel einer nationalstaatlichen politischen Ordnung, die alle multiethnischen Herrschaftsgebilde rigoros in Frage stellte. In Polen, das von der politischen Landkarte getilgt worden war, war schon längst ein nationales Zusammengehörigkeitsgefühl und ein polnischer Patriotismus entstanden. In einem solchen Klima war die bisherige Dominanz des Deutschen selbstverständlich ein Ärgernis und wurde jäh in Frage gestellt. Die Ironie der Geschichte wollte es, daß ein anderer starker Impuls für die Besinnung auf das eigene Ethnikum und das Verwerfen der deutschen Sprache ausgerechnet vom Wirken der deutschen Romanitik ausging. Johann Gottfried Herder, der große deutsche Theoretiker und Volkskunler hat diesen Prozeß maßgeblich in Bewegung gesetzt. Die Sprachen dieser Völker waren durch die Reformation zu Schriftsprachen geworden, im Zeitalter der Aufklärung aber wieder auf den Stand von Haus- und Umgangssprachen zurückgefallen. Sie schienen keine Zukunft zu haben. Das Tschechische beispielsweise war geradezu am Erlöschen. Seine Ideen waren beseelt von der gottgewollten Originalität der Völker, die sich in Sprache und Dichtung, Volkskunst und Brauchtum offenbarte. In seinen „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ schuf er unter anderem das überaus wirksame Bild von einem heiter-friedlichen, demokratischen Volk der Slawen, das von den Deutschen brutal unterdrückt worden sei, aber nun ein neues Zeitalter des Friedens und der Humanität heraufzuführen bestimmt sei. Deutsche Forscher und Gelehrte nahmen sich hiervon inspiriert diesen Völkern und Sprachen an und legten die Grundlage für die Wiederbelebung dieser Sprachen. Den Deutschen folgten bald Literaten und Wissenschaftler dieser Völker selbst, die allesamt durch die Schule der deutschen Romantik gegangen waren. Sie erforschten ihre Grammatik, bereicherten ihren Wortschatz, indem sie ihre Sprachen von Germanismen reinigten und sie dadurch literaturfähig machten. In erstaunlicher kurzer Zeit gelang es allenthalben Literatursprachen mit beeindruckender Tiefenwirkung aus dem Boden zu stampfen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das dadurch stark geförderte Selbstwertgefühl der Völker in politische Forderungen nach staatlicher Selbstbestimmung umschlug, ein Vorgang, der später sogar zur völkerrechlichen Norm des „Selbstbestimmungsrechts der Völker“ wurde. Sehr schnell stellte sich in der Propaganda auch die passende Parole ein, nämlich die „Wiedergeburt“, ein Begriff, der bis heute als Schlagwort verwendet wird. Die Folge war ein Sprachenkampf, der dann in verschiedenen Facetten die folgende Zeit bestimmen sollte. Der Erste Weltkrieg, der die überkommene politische Landkarte zerfetzte, hatte seine Ursachen nicht zuletzt in dieser kulturell-politischen Gärung und verhalf dem Nationalstaatsprinzip zum Durchbruch, ein Prinzip, das angesichts der europäischen Integration anscheinend seinen Zenit schon wieder überschritten hat. Der bisherige dominierende Rang der deutschen Sprache schien damit endgültig verloren zu gehen.

Deutsch als Wissenschaftssprache

In geradezu dialektischer Weise erreichte die deutsche Sprache aber gerade in dieser Phase erneut eine große Bedeutung, jetzt nicht mehr so sehr als Verkehrssprache, sondern als Wissenschafts- und Kultursprache. Nicht zuletzt durch die Humboldtschen Bildungsreformen erfuhr die deutsche Wissenschaft in allen Disziplinen einen ungeheuren Aufschwung. Die deutschsprachige Philosophie, Literatur- und Geschichtforschung, die Musik, die Naturwissenschaften und die Technik, gelangten zu ihrem Höhepunkt und erreichten die Weltspitze. Bis in die unselige Zeit des Nationalsozialismus war die führende Wissenschaftssprache das Deutsche. So blieb es nicht aus, daß die Eliten aller ostmitteleuropäischen Länder ihre wissenschaftliche Ausbildung überwiegend in Deutschland genossen, wodurch die Beherrschung der deutschen Sprache in den Bildungsschichten zur Selbstverständlichkeit wurde. Auch die rumänischen Eliten genossen ihre akademische Ausbildung außer in Frankreich zum großen Teil in Deutschland. Diesen hohen Rang hat, wie wir alle wissen, das Deutsche mittlerweile eingebüßt. Das Englische ist zur weltweiten lingua franca, auch als Wissenschaftssprache, geworden.

Die Rumänen und die deutsche Sprache

Die deutsche Sprache hat in Rumänien aufgrund seiner historisch-territorialen Geschichte eine unterschiedliche Verbreitung gefunden. In Siebenbürgen und später im Banat hat sie selbstverständlich eine große Rolle gespielt. Das außerordentlich hoch entwickelte deutsche Schulwesen war auch ein Magnet für die Eliten der anderen Völker, nicht zuletzt der Rumänen. Viele rumänische Gelehrte, Geistliche und Politiker haben das sächsische Schulwesen durchlaufen und waren mit der deutschen Kultur vertraut. Von Siebenbürgen ging dann auch die sogenannte Wiedergeburt der Rumänen aus und strahlte von hier aus ins Altreich hinein. Der griechisch-katholische Bischof I. Micu-Klein hätte ohne die perfekte Kenntnis der deutschen Sprache seinen beachtlichen Kampf für die Rechte der Rumänen nicht führen können. Auch die Verfasser des Supplex Libellus Valachorum hatten einen deutschen Bildungshintergrund. Als sich die vereinigten rumänischen Fürstentümer für den Fürsten Karl von Hohenzollern-Sigmaringen entschieden, erlebte die deutsche Sprache auch im Altreich einen Aufschwung. Während die politisch-kulturellen Eliten der Walachei eher der französischen Sprache und der französischen Kultur zuneigten, formierte sich in der Moldau, vor allem in Jassy, eine germanophile Gruppierung, die in der Folgezeit sowohl kulturell wie auch politisch eine außerordentlich große Rolle spielen sollte, die „Junimea“. Gründer dieser Bewegung war Petre Carp, der sein Studium in Bonn absolviert hatte und in Jassy sogar in Nachahmung deutscher studentischer Vereinigungen eine Art Verbindung ins Leben rief. Zu ihr gesellten sich hochbegabte junge Intellektuelle wie der Kronstädter Titu Maiorescu, Barbu Delavrancea und später auch Mihai Eminescu und viele andere Literaten, Gelehrte und Politiker. Eminescu hatte das deutsche Lyzeum in Czernowitz besucht und später in Wien und Berlin studiert. Eine Zeit lang war er herausgeber des Organs der Junimea „Timpul“. Von dieser Vereinigung, die später auch politisch sehr aktiv war, gingen wichtige Impulse für das rumänische Kulturleben aus. Während in Bukarest nach wie vor die französische Sprache favorisiert wurde, dominierte in Jassy das Deutsche. Bis heute ist Jassy eine Hochburg der Germanistik. Ein Großteil der studentischen Jugend war fasziniert von der deutschen Wissenschaft und studierte mindestens teilweise in Deutschland. Als Beispiel für viele andere sei stellvertretend der Historiker Nicolae Iorga genannt.

Die Bukowina und die deutsche Sprache

Einen zusätzlichen Bedeutungsschub erfuhr die deutsche Sprache in Rumänien, als nach dem Ersten Weltkrieg die Bukowina angegliedert wurde. In diesem bisherigen österreichischen Kronland war eine einzigartige Kulturlandschaft entstanden, die beachtliche deutschsprachige Kulturleistungen vor allem auf dem Gebiet der Literatur hervorbrachte. Das besondere daran war, das die Träger der deutschsprachigen Kultur vor allem Juden waren. Rose Ausländer, Paul Celan und viele andere sind Beispiele dafür. Diese Region hat für die Verbreitung der deutschen Sprache und die deutschsprachige Kultur eminent viel geleistet. Der nationalsozialistische Rassenwahn hat tragischerweise auch dieser Kulturlandschaft brutal ein Ende gesetzt.

Schlußbemerkung

Abschließend ist festzuhalten, daß die deutsche Sprache in Ostmittel- und Südosteuropa immer noch eine große Rolle spielt, auch wenn sie den ersten Rang zugunsten des Englischen eingebüßt hat. Dies gilt besonders für Rumänien, das als einziges Land des sowjetischen Machtbereichs die Deutschen nicht vertrieben und auch das deutsche Schulwesen im wesentlichen intakt belassen hat.
Speziell in Siebenbürgen erfreut sich die deutsche Sprache immer noch einer außergewöhnlichen Beliebtheit. 95% der Schüler an unseren deutschsprachigen Schulen sind mittlerweile ethnische Rumänen, was für ihre sehr hohe Akzeptanz spricht. Bliebe noch zu fragen, ob die Ursache dafür vor allem an der deutschsprachigen Tradition der Region und der Sympathie für deutsche Sprache und Kultur liegen, oder ob mittlerweile vielmehr andere Interessen, wie bessere Karrierechancen eine Erklärung sind. Wie dem auch sei! Wir freuen uns über die große Beliebtheit der deutschen Sprache, aus welchen Gründen auch immer, und betrachten sie als Ansporn für unsere Tätigkeit.