Die Bergschule von Schäßburg und ihre Ausstrahlung auf das siebenbürgische Geistesleben

„Die Sachsen mußten, was ihnen an zahlenmäßiger Masse abging, durch bessere Leistungen so zu ersetzen trachten, daß sie im Lande immer wieder als unentbehrlich empfunden und ihnen darum jederzeit die nötige Entwicklungs- und Bewegungsfreiheit eingeräumt wurde.“ Sie schrieb Friedrich Müller-Langenthal, der langjährige Schäßburger Seminardirektor und spätere Bischof, im Jahre 1930. Wenn heute davon gesprochen wird, daß in einer globalisierten Welt der Wettbewerb nur durch bessere Bildung bestanden werden kann, so war diese Tatsache für die Siebenbürger Sachsen im regionalen Rahmen von existentieller Bedeutung. Das heißt, die Siebenbürger Sachsen hatten frühzeitig erkannt, daß sie angesichts ihrer relativ geringen Kopfzahl auf Dauer nur bestehen konnten, wenn sie durch überlegene Leistungen hervorstachen. Diese Leistungen konnten sie aber nur hervorbringen, wenn sie über eine solide Bildung und Ausbildung verfügten. Es ist demnach folgerichtig, daß sie bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt darangingen, ein flächendeckendes, differenziertes und sehr leistungsfähiges Schulwesen zu entwickeln.

Auch in Schäßburg war eine Schule mit hoher Qualität immer ein besonderes Anliegen der Bürgerschaft, und die Gemeinde hat über die Jahrhunderte hinweg große materielle Opfer für „ihre Schule“ aufgebracht. Die Hauptstraße vom Burgplatz hinauf zu heißt nicht zufällig „Schulgasse“ und der Bergkegel heißt nicht, wie man zunächst annehmen könnte, „Kirchberg“, sondern „Schulberg“.

Der schon zitierte Friedrich Müller sagte in seiner Denkrede an Friedrich Teutsch, gehalten am 27.08.1933 aus Anlaß der 70. Hauptversammlung des Vereins für Siebenbürgische Landeskunde u.a.:

Man muß das eigentlich Unfaßbare erlebt haben, das an diesem Orte und mit diesen Menschen waltet, um zu verstehen, daß dorther ein rundes Jahrhundert lang die Geistigkeit unsere Volkes so bestimmend werden konnte………………….. . Menschen voll Eigenart gelang es, hier mit der Unergiebigkeit der Erde erfolgreich zu ringen. Und sie haben an der verkehrshemmenden Stelle innerer Verbindungslinien unseres Landes die Fähigkeit in sich ausgebildet, anderen zu dienen und doch das knorrige Selbst zu bewahren. Diese Auseinandersetzung zwischen Mensch und Natur sowie unter Menschen in ihren kräftemehrenden Ordnungen und kämpfeauslösenden Gegensätzlichkeiten geht aber in selten übersichtlicher Weise fort. Fluch und Segen wirken sich auf hart umstrittenem, kargem Boden rasch aus. Die Überlieferung gewinnt wurzelhafte Kraft, Geschichte und Gegenwart durchdringen sich. Das alles nun in der Hut von Menschen, wie sie da wuchsen und sich ausprägten, einfach und hart, in sich wurzelnd, zugleich gemeinschaftsgeneigt und brüderlich fördersam – auf sich bedacht und kärglich sparsam, zugleich ausgreifend und unternehmend, darin opfer- und gebefreudig -, im kleinen treu und engbegrenzt, zugleich in  ihren führenden, den Zusammenhang nach außen suchenden Köpfen aufgeschlossen, geistig gründig und zwingend.“

Heinz Brandsch schreibt in dem Schäßburger Heimatbuch von 1998:

…..Die Schäßburger lebten für und mit ihren Schulen: Es lebten die Schüler von dem Fleiß der Bürger dieser Stadt, es lebten die Bürger im Jahresrhythmus ihrer Schulen, im Alltag wie bei Festlichkeiten, an ernsten wie an fröhlichen Tagen. Sichtbar ‚teil-haftig‘ vereint waren sie bei allen kirchlichen und staatlichen Feiertagen, aber auch bei der Wahl der Honoratioren der Stadt und der studentischen Selbstverwaltung, bei Fasching, Richttag, Skopationsfest, Abschlußfeier und Exitus……..  .“ Dann zitiert er einen Zeitzeugen von vor 100 Jahren: „Nein, der Schäßburger hält auch jetzt noch sehr viel auf seine Schule – ja, er ist stolz darauf!“. Entsprechend hoch war dann auch das Sozialprestige der Lehrer. Brandsch  schließt seine Ausführungen mit dem nachdenklichen Satz: „Dies eine Gretchenfrage an Gegenwart und Zukunft.“

Die Existenz einer Schule in Schäßburg ist uns urkundlich 1522 definitiv belegt, wobei mit Sicherheit davon ausgegangen werden muß, daß eine solche schon viel länger bestanden hat. Die hohe Anzahl von Studenten an den Universitäten von Wien und Krakau (allein in Wien studierten in der Zeit von 1445 bis 1521 nachweislich 95 Schäßburger Studenten) lassen vermuten, daß es schon lange vorher in Schäßburg eine Schule gegeben hat. Die Quelle von 1522 ist die älteste und einzige erhalten gebliebene Gemeinderechnung (das entspricht in etwa einer städtischen Haushaltsniederschrift mit Einnahmen und Ausgaben) aus der Zeit des Königreiches Ungarn. Frühere Gemeinderechnungen hat es, wie in anderen sächsischen Städten bezeugt, sicher gegeben, sie sind jedoch verloren gegangen. Im Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde, Neue Folge, Erster Band, vom Jahre 1853 hat Georg Daniel Teutsch die Urkunde ausgiebig ausgewertet. Auf Seite 158 schreibt er: „Daß zu der Zeit eine Schule in Schäßburg bestanden, läßt sich nur aus dem erweislichen, weit frühern Dasein derselben im gesamten Sachsenlande, oder daraus schließen, daß, einfache Gewerbeleute, im Stande waren, eine umfangreiche Rechnung in lateinischer Sprache zu stellen: sondern diese führt – eine sehr werthvolle Stelle – geradezu eine auf sie verwendete Ausgabe an. Dem damaligen Rektor derselben, einem Baccalaureus, verehrte der Rath der Stadt ein Kleid im Werthe von 4 Gulden, damit er sich Mühe gäbe mit den Jünglingen (ut haberet diligentiam cum juvenibus)“. Es muß wohl ein sehr wertvolles Kleid gewesen sein, denn 4 Gulden waren zu der Zeit ein kleines Vermögen. Damals schon genossen die Lehrer offensichtlich eine hohe Wertschätzung. Die „schola maioris“ befand sich vermutlich zunächst auf der Burg in der Nähe der Kapelle, deren Grundmauern auch heute noch neben dem Eingang zur Schülertreppe und dem Predigerhof emporragen. In den Jahren 1607/08 wird die „schola maioris“ auf den Berg verlegt, etwa an die Stelle, wo heute die Bergschule steht. Das ist die Geburtsstunde des Schäßburger Gymnasiums, der Bergschule. Seither heißt der Berg auch im Volksmund Schulberg. Zur chronologischen Weiterentwicklung der Schule bis in die Gegenwart empfehle ich den Aufsatz von Egon Machat im Schäßburger Heimatbuch von 1998 und den Artikel von Hermann Baier in der Festschrift zur Wiedereinweihung der Schule im  Jahre 2007.

Seit 1545 sind uns alle Rektoren, unter denen es bedeutende Persönlichkeiten gegeben hat, namentlich bekannt. Von Anfang an verstanden sich die Lehrer bzw. Professoren, wie sie später genannt wurden, nicht nur als Pädagogen, sondern auch als Wissenschaftler. Martin Kelb legte den Grundstein für die einzigartige Schul- bzw. Dokumentarbibliothek, die uns Gott sei Dank bis zum heutigen Tag erhalten geblieben ist, im Jahre 1684. Die Schule erfuhr mehr und mehr Zuspruch, sodaß auf Betreiben des überregional bekannten Rektors Johann Gottlieb Mild in den Jahren 1792/93 ein neues Schulgebäude errichtet wurde. Seither schmückt die Schule die Aufschrift : PATRIAE FILIIS VIRTUTI PALLADIQUE SESE VOVENTIBUS SACRUM (den Söhnen des Vaterlandes, die sich der Tugend und Wissenschaft weihen, ein Heiligtum). Die Schulpraxis entsprach kurze Zeit danach aber durchaus nicht mehr der Aufschrift. Georg Paul Binder, der spätere Bischof, schildert in seinen Lebenserinnerungen „…das Elend unserer Schule…. Als ich endlich im Sommer 1798 als Chlamydat an das Gymnasium promoviert wurde, befand sich dasselbe, was ich schon damals fühlte, in einem kläglichen Zustande. Der sonst gutgesinnte Rector war selbst ganz neu und unerfahren, die übrigen Gymnasiallehrer mittelmäßig oder gar schwach, wenigstens ohne Credit…. Wenn irgend etwas bewußtlosen Vorsatz in mir niederlegte, künftig einmal, falls mein Schicksal es so fügen würde, zur Verbesserung des Schäßburger Gymnasiums mein Theilchen beizutragen, so war es die Wahrnehmung dieses, von mir und meinem wackeren Freunde Mich. A. Bertleff von Kleinschenk, der aber schon nach einem Jahre Schäßburg mit Hermannstadt vertauschte, schon damals oft besprochenen Elends unter den Lehrern sowohl als auch unter den Schülern auf demselben..“.  Die Gelegenheit sollte bald kommen, denn bereits 1808 wurde Binder „Honorär-Extraordinarius“ an der Bergschule und begann unverzüglich im Einvernehmen mit dem Rektor Martin Zay mit energischen Reformbemühungen. „…Wir Lehrer traten unabhängig und selbstständig zusammen; denn der damalige Stadtpfarrer und Schulinspector kümmerte sich theils wegen seines vorgerückten Alters, theils wegen angewöhnter Bequemlichkeit wenig um Schule und Schulwesen, und das Ortsconsistorium ließ uns ebenfalls unbeaufsichtigt und unbeirrt gewähren…“ Als nun Binder 1822 selbst Rektor wurde, konnte er auf die bereits realisierten inneren Reformen aufbauen und schuf die Grundlagen für den späteren Höhenflug der Schule, dies insbesondere durch das Heranziehen tüchtiger und  wissenschaftlich renommierter Lehrkräfte wie Wilhelm Seiwerth, Michael Schuller und vor allem Carl Goos d. Ä.. Friedrich Teutsch sagt in seiner Denkrede auf Georg Daniel Teutsch zur Eröffnung der 46. Generalversammlung des Vereins für siebenbürgische Landeskunde am 17.  August 1894: „ Mit dem letzteren (Carl Goos) insbesonders, der seines Lehrers, des späteren Bischofs Binder, Traditionen fortsetzte, war der lebendige Hauch der deutschen Wissenschaft in die Schule mächtig eingezogen…Er hat mit G. P. Binder der Schäßburger Schule den Charakter des Ernstes aufgeprägt, den Teutsch später weitergebildet hat….“. Der eigentliche Höhenflug trat Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Auftreten von Georg Daniel Teutsch ein. In erster Linie ihm, aber auch  seinen nicht minder begabten Lehrerkollegen, die er um sich scharte, sowie seinen Nachfolgern im Amte ist es zu verdanken, daß das Schäßburger Gymnasium für beinahe ein Jahrhundert zur führenden siebenbürgischen Bildungsstätte, zur „Referenz-Schule“ wurde. Es war daher auch nicht verwunderlich, daß das Unterrichtsministerium1864 die Schäßburger Schule neben dem Hermannstädter Gymnasium als einzige Anstalt zum Schulaustausch mit Deutschland bestimmte. Michael Albert, unser großer Dichter, selbst Schüler und Lehrer an der Bergschule, schrieb in seinen „Tage(n) der Erinnerung“: „Wir fühlten uns beseelt und gehoben durch die Ideale des wissenschaftlichen Geistes, der auf dem waldumgrünten hohen Schulberge, von lebhaften, ehrenvollen Traditionen getragen, eine eifrig gepflegte Heimstätte fand. Die Schuldisziplin war eine strenge, aber nicht kleinlicher Art….Römische Mannestüchtigkeit, die ‚virtus‘, stand täglich gebieterisch vor unserer Seele… geistige Strebsamkeit, unnachsichtige Pflichterfüllung, strenges Rechtsbewußtsein lehrte man uns als edlen Stolz empfinden“. 

Mit seinem Dienstantritt an der Bergschule im Jahre 1842 als Geschichtslehrer begann Teutsch sofort mit ungeheurer Energie und Schaffenskraft seine pädagogischen und wissenschaftlichen Aktivitäten zu entfalten. Der junge Historiker, geprägt vom Nestor der deutschen Geschichtsschreibung, Leopold von Ranke, den er in Berlin gehört hatte, wurde auch sehr schnell zu einem Kristallisationspunkt des 1840 gegründeten und 1842 in Schäßburg mit seinen Aktivitäten startenden „Verein(s) für siebenbürgische Landeskunde“, der vor allem in Deutschland bald sehr hohe Anerkennung fand. Der Verein war zwar eine sächsische Einrichtung, stand aber ungarischen und rumänischen Wissenschaftlern offen gegenüber. Gerngesehene Mitglieder waren beispielsweise die Ungarn Istvan und Josef Teleki, Paul Bethlen, die Nachfahren des Fürsten Achatius Barcsay (1658 – 1660), Kuun Laszlo, Martin Debreczeni, der ungarische Polyhistor sächsischer Abstammung Samuel Brassai, der Politiker und zeitweilige Gouverneur Siebenbürgens Imre Miko sowie der rumänische Gelehrte George Baritiu. Auf Teutschs Anregung hin beschloß der Verein 1843, ein Urkundenbuch zu Geschichte der Siebenbürger Sachsen nach dem Vorbild der von Freiherr von Stein initiierten „Monumenta Germaniae Historicae“  erstellen zu lassen, mit dessen Vorbereitungen er selbst beauftragt wurde. Das Projekt scheiterte zwar zunächst aus verschiedenen Gründen, wurde aber später von Franz Zimmermann wieder aufgegriffen und in die Tat umgesetzt. Gleichzeitig arbeitete er an seinem bahnbrechenden Werk „Geschichte der Siebenbürger Sachsen für das sächsische Volk“, das 1852 bis 1856 in einzelnen Heften erschien. Daneben veröffentlichte er zahllose Einzeluntersuchungen, unter anderem „Die Schäßburger Gemeinderechnung von 1522“, der wir den ältesten urkundlichen Hinweis auf eine Schule in Schäßburg verdanken. Der Geschichtsforschung und dem Landeskundeverein, dessen Vorstand er 1870 wurde, blieb er lebenslang treu. Seine wissenschaftliche Solidität brachte ihm hohe Anerkennung ein: Ehrendoktorwürde der Universitäten Berlin und Jena, Mitgliedschaft im Gelehrtenausschuß des Germanischen Museums in Nürnberg, Mitgliedschaft in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und der Göttinger Gesellschaft für Kirchenrecht, Ordensverleihung durch Herzog Ernst von Sachsen, Ehrenmitgliedschaft im Leipziger Schillerverein u.a. Mit den Historikern Wilhelm Wattenbach (Herausgeber der MGH), Dahlmann und Weitz (beide Herausgeber der berühmten „Quellenkunde der deutschen Geschichte“) sowie Johann Gustav Droysen (Autor des Standardwerks „Geschichte des Helenismus“) stand er in enger Beziehung.

Selbst wenn er auch als Bischof und Politiker der Geschichtswissenschaft treu blieb, so war seine wissenschaftlich fruchtbarste Phase, die Zeit seines Lehramtes und Rektorats in Schäßburg. Es gelang ihm, in der Schule ein Klima der wissenschaftlichen und pädagogischen Ernsthaftigkeit zu schaffen, das seine Lehrerkollegen mitriß.

Egon Machat schreibt im Schäßburger Heimatbuch von 1998: „Die kirchliche Schule bildete den geistig-kulturellen Lebensnerv des Sachsenvolkes und wurde zur Quelle sächsischer Lebenseinstellung. Geistiger Träger einer solchen Schule in Schäßburg war auch das Lehrerkollegium, das das Glück hatte, nicht nur vier Rektoren in lückenloser Reihenfolge als Bischöfe in Hermannstadt zu sehen (1843 – 1867 Georg Paul Binder, 1867 – 1893 Georg Daniel Teutsch, 1893 – 1906 Friedrich Müller d. Ä., dann von 1906 – 1933 Friedrich Teutsch, der Sohn von Georg Daniel Teutsch), die fast ein Jahrhundert lang die Geschichte der Siebenbürger Sachsen wesentlich mitbestimmten, sondern daneben in seinen Reihen auch Persönlichkeiten zu haben, die als Pädagogen und Wissenschaftler weit über ihre Schule hinaus bekannt waren. Ein handfester Beweis sind die wissenschaftlichen Arbeiten, die diese Lehrer jeweils am Ende des Schuljahres von 1852 bis 1914 im sogenannten ‚Programm des evangelischen Gymnasiums A. B. In Schäßburg‘ veröffentlicht haben. In diesen 62 Jahren finden wir im ‚Programm‘ 42 Namen (manche mehrere Male)“. In der tat war es ein Glücksfall, daß gleichzeitig mit Teutsch und danach etliche hochrenommierte Wissenschaftler als Pädagogen wirkten und den Ruf der Schule außerordentlich erhöhten.

Der langjährige Lehrerkollege und Nachfolger im Amt des Rektors war Friedrich Müller, der ihm später auch im Amt des Bischofs folgte. Später erzählte man sich scherzhaft: Wer nicht die Bergschule durchlaufen hat, sei es als Lehrer, oder zumindest als Schüler, ist nicht ‚papabel‘.

Müller galt als „durus Segesvarinus“, also als sturer Schäßburger, was er ja wohl auch war. Er achtete auf eiserne Disziplin und forderte strenge Zucht und Pflichterfüllung, Forderungen, die er auch an sich selbst richtete. Sein gründlich vorbereiteter Unterricht und seine eindrucksvolle frei Rede faszinierte die Schüler und sie brachten ihm trotz seiner Strenge große Achtung entgegen. Anders als Teutsch war er in seiner wissenschaftlichen Arbeit nicht am „großen Wurf“ interessiert, sondern konzentrierte sich auf mannigfaltige Einzelthemen, die allerdings sehr weit gestreut waren. Nach zahlreichen Arbeiten über Baugeschichte ging er nach vielfältigen Forschungen zur siebenbürgischen Glockenkunde, dann zur Archäologie und Vor- und Frühgeschichte über. Auf diesem Gebiet leistete er gemeinsam mit dem Hammersdörfer Pfarrer und renommierten Mineralogen, Geologen und Frühgeschichtler Johann Michael Ackner, ebenfalls ein Schäßburger, aber auch ganz selbständig, Hervorragendes. Die Sammlung römischer Inschriften aus Siebenbürgen, ein Gemeinschaftswerk Müllers mit Ackner, erhielt die Anerkennung des großen Historikers und späteren Nobelpreisträgers Theodor Mommsen. Darüber hinaus sammelte er siebenbürgische Sagen und Sprachdenkmäler und schrieb Aufsätze zur Kirchengeschichte.

Nicht weniger fruchtbar war sein wesentlich jüngerer Fachkollege Carl Goos d. J., der allzu früh mit 37 Jahren starb. Dieser war der Sohn seines verehrten Lehrers gleichen Namens. Goos galt als überhaupt bester Kenner des trajanischen Daziens und als Historiker von Format. Gleichzeitig war er ein begeisternder Geschichtslehrer. Seine „archäologischen Analecten“ riefen in Deutschland so große Aufmerksamkeit hervor, das Theodor Mommsen, der große Hoffnungen in ihn setzte, es sich nicht nehmen ließ, sie im berühmten „Corpus inscriptionum Latinorum“ veröffentlichen zu lassen. Seine herausragenden Werke sind seine „Studien zur Geographie und Geschichte des Trajanischen Daziens (mit Karte)“ sowie seine „Untersuchungen über die Innenverhältnisse des Trajanischen Daziens“.

Georg Daniel Teutschs Schwager und enger Freund, Joseph Haltrich, der heutige Namensgeber der Schule, galt als liebenswürdigste Persönlichkeit im Schäßburger Schuldienst. Er hat ihm in seiner Denkrede zur Eröffnung der 40. Generalversammlung des Vereins für siebenbürgische Landeskunde am 22. August 1887 ein schönes Denkmal gesetzt. Wir kennen Haltrich vor allem als emsigen Sammler siebenbürgisch-sächsischer Märchen. In der Tat galt der Welt der Märchen sein Hauptinteresse. Unermüdlich und über Jahrzehnte widmete er sich dieser Aufgabe und erntete damit nationale und internationale Anerkennung. Kein geringerer als Jacob Grimm, mit den Brüdern Grimm stand er auf vertrautem Fuß, sorgte dafür, daß seine gesammelten Märchen zuerst in Berlin erschienen. Es folgten mehrere Auflagen in Siebenbürgen selbst, aber auch in Wien. Er korrespondierte mit allen führenden Germanisten in Deutschland, unter ihnen Karl Simmrok, dem wir bis heute die beste Übersetzung des Nibelungenliedes verdanken. Daneben beschäftigte er sich auch intensiv mit anderen Aspekten der siebenbürgisch-sächsischen Volkskunde wie dem sächsischen Volkswitz und Volkshumor, der „Macht und Herrschaft des Aberglaubens“, der „Kulturgeschichte der Sachsen in Siebenbürgen“. Von großer Bedeutung waren auch seine Vorarbeiten zur Herstellung eines „Wörterbuchs der sächsischen Mundart“ Er war es nämlich, der den „Plan zu Vorarbeiten für ein Idiotikon der siebenbürgischen Volkssprache“ erstellte. Generationen von Forschern haben dieses Werk fortgesetzt, das aus den verschiedensten Gründen aber leider immer noch nicht zu einem endgültigen Abschluß gelangt ist. Er unterrichtete mit großem Erfolg Latein, Griechisch, Deutsch, philosophische Propädeutik, gelegentlich auch Geographie und Geschichte. Die Kenntnisse zur Geschichte erwarb er sich durch aktive Mitarbeit an dem Projekt eines Urkundenbuches, daß Georg Daniel Teutsch in Angriff genommen hatte. Nicht zuletzt war er auch der Initiator eines geregelten Turnunterrichts, der später zu beachtlicher Blüte gelangte. Auf ihn geht der Turnplatz, der an der Südseite der Schule angelegt wurde, zurück. Zum Anlaß der Einweihung der Turnhalle im Jahre 1863, heute die Totenhalle der evangelischen Kirchengemeinde, verfasste er ein Festgedicht, dessen erste Strophe lautete:

Denn in des Leibes kraftgewandtem Ringen

Erwachsen auch der Seele neue Schwingen;

Gesunder, freier regt sie sich im Schaffen,

Kann auch der Leib zur Freiheit auf sich raffen.

Daß er auch über ein gerüttelt Maß an feinem Humor verfügte, schildert eine Episode, die Teutsch in seiner Denkrede berichtete: „Wenn der Sommer dort das graue Gemäuer mit dem Blütenduft der alte Linde durchhauchte, und der Blick entzückt über die Giebel und Thürme der unter ihm liegenden, an geschichtlichen Erinnerungen so reichen ‚Burg‘ hinüberflog zum formschönen, mit Rebengrün und dunkelm Laubwald geschmückten Bergzug, an dessen Fuß durch wolgepflegtes Thalgelände sich windungsreich die Kokel sich hindurchschlängelt, da fragt er wol mit herzlicher Freude lachenden Auges den, von solcher landschaftlichen Schönheit überraschten Gast, wie hoch doch der Wert solcher Zugabe zu seinem Gehalt zu veranschlagen sei“.

Natürlich ließen sich noch weitere bedeutenden Lehrerpersönlichkeiten schildern: den Botaniker und Volkskundler Franz Friedrich Fronius, den Historiker Karl Fabritius, dem wir die Veröffentlichung der Chronik von Georgius Krauss zu verdanken haben, den Germanisten Johann Mätz, der in enger Zusammenarbeit mit Haltrich sächsische Sitten, Gebräuche, herkömmliche Reden und Redensarten sammelte, den Käferforscher Karl Petri, den Kunsterzieher und Pionier der Photographie Ludwig Schuller, der Vater der Malerin Betty Schuller, und viele andere mehr. Ein großer Gewinn für die Schule war auch Michael Albert, der im Verlaufe der Zeit durch sein dichterisches Werk im ganzen Land mehr und mehr populär wurde. Gott sei Dank fanden sich auch würdige Nachfolger. Ich nenne die Rektoren Daniel Höhr (1878 – 1905), Dr. Johann Wolff (1905 – 1927) und Dr. Julius Hollitzer (1927 – 44), denen es gelang, das Niveau der Schule weitgehend zu halten. Zu erwähnen ist noch die bedeutende Lehrerpersönlichkeit Heinrich Höhr (1875 – 1949), der Sohn des Rektors Daniel Höhr. Als Naturkundelehrer wirkte er von 1900 bis 1949. Daneben betätigte er sich intensiv als Botaniker, Zoologe, Ornithologe und Geologe. Etwa 100 Arbeiten und Artikel stammen aus seiner Feder. Die bedeutendsten Arbeiten sind: „Schäßburgs Archegoniaten“, „Die Vogelwelt der beiden Kokeltäler in Siebenbürgen“ und „Die geologisch-paläontologischen Verhältnisse des Groß-Kokelgebiets bei Schäßburg“.

Dank seines pädagogischenGeschicks verstand er es, die Schüler für die Naturkunde dermaßen zu begeistern, daß er mit ihnen zusammen in den Jahren 1906 bis 1910 auf mehreren Flächen im Bereich des Gymnasiums und der Bergkirche den legendären Schäßburger Botanischen Garten mit etwa 205 Pflanzenarten anlegen konnte, von dem jedoch heute leider nichts mehr zu erkennen ist. Sein Hauptwerk war jedoch der Ausbau der naturwissenschaftlichen Lehrmittelsammlung des Gymnasiums in ein naturwissenschaftliches Museum mit über 3.800 geologisch-mineralogischen und zoologischen Sammelobjekten, einem Herbarium mit etwa 3.300 Pflanzenbelegen und die Erstellung einer 451 Titel umfassenden Fachbibliothek. Diese Sammlungen sind in den letzten Jahrzehnten bedauerlicherweise sehr vernachlässigt worden und nicht wenige Objekte sind abhanden gekommen. Anlässlich der Generalsanierung des gesamten Haltrichlyzeums in den Jahren 2002 bis 2007 wurden sie in einen separaten Raum im Alberthaus verlegt und harren dort einer fachgerechten museumspädagogischen Aufbereitung.

Beginnend mit dem Eintritt von Georg Daniel Teutsch in den Dienst der Schäßburger Schule wurde  das humboldtsche universitäre Prinzip der Einheit von Lehre und Forschung ein Jahrhundert lang in idealer Weise verwirklicht, wodurch der legendäre Ruf der Schule begründet wurde. In diesem geistigen Klima erhielten viele Schüler ihre Prägung, die später zu nationaler und internationaler Bedeutung gelangten. Ich nenne nur drei: den Journalisten und Wirtschaftsfachmann Carl Wolff, Hans Otto Roth und natürlich den Raketenforscher Hermann Oberth.

So konnte es nicht ausbleiben, daß immer mehr Schüler von fern und nah um Aufnahme ansuchten.  Sie kamen nicht nur aus Siebenbürgen, sondern auch aus dem Banat, dem Buchenland, der Dobrudscha und aus Bessarabien, und die Schule drohte bereits in den 1880er Jahren aus allen Nähten zu platzen. So entschloß man sich schließlich, die Schule aufzustocken und für die vielen auswärtigen Schüler ein Internat zu errichten. Die Schule wurde 1901 umgebaut und erweitert, wohingegen das Internat neben dem Stundturm bereits 1898 fertiggestellt werden konnte. Das Internat erhielt dem großen sächsischen Volksdichter zu Ehren den Namen „Alberthaus“. Beide Gebäude blieben im Wesentlichen bis heute unverändert.

Wenn man den Siebenbürger Sachsen die Tendenz zur Isolation nachsagt, so trifft das auf ihr Bildungssystem sicher nicht zu. Alle Schulen, natürlich auch die Bergschule, waren für andere Nationalitäten immer offen. Nicht wenige Rumänen, Ungarn, Armenier und Juden haben sie durchlaufen. Allein in den Jahren 1864 bis 1923 haben 327 Rumänen in der Bergschule ihre schulische Ausbildung genossen. Ein großer Teil von ihnen trat später in den rumänischen Schuldienst ein, wo sie dann als segensreiche Deutschlehrer und Pädagogen wirkten. Andere nahmen in der rumänischen Gesellschaft bedeutende Positionen ein. Besonders zu erwähnen sind der international renommierte Elektrophysiker Remus Radulet, der hochbegabte Literat und Journalist Ilarie Chendi und der bedeutende rumänische Gelehrte Zaharia Boiu. 

Der Durleser orthodoxe Pfarrerssohn Ilarie Chendi (1871 – 1913) studierte nach seinem Bakkalaureat in Schäßburg, das er mit Bravour ablegte, zunächst in Hermannstadt orthodoxe Theologie, wandte sich aber dann dem Literaturstudium in Bukarest zu. Daraufhin arbeitete er an der Herausgabe der Rumänischen Enzyklopädie unter Leitung von Corneliu Diaconovoci in Hermannstadt und in der Redaktion der Zeitschrift „Tribuna poporului“ in Arad mit. 1898 zog er endgültig nach Bukarest, wurde Bibliothekar an der Akademie der Wissenschaften und rief mehrere Zeitschriften ins Leben. Es sind dies: „Viata literarea“ (1906, „Viata literara si artistica“ (1907), und „Cumpana“ (1909), letztere zusammen mit Mihail Sadoveanu, Stefan Octavian Iosif und Dimitrie Anghel, und war führend tätig im Rumänischen Schriftstellerverband. Er schrieb eine Unzahl literarischer Artikel, Rezensionen, literarische Porträts und Essays . Er galt als der profundeste Kenner des rumänischen geistigen und literarischen Lebens. Am 23. Juni 1913 setzte er auf tragische Weise seinem Leben ein Ende. Der Anlaß dazu war der überraschende Tod seines engen Freundes, des hochbegabten Poeten und Übersetzers Stefan Octavian Iosif, der unter anderem die Romanzen von Heinrich Heine brillant ins Rumänische übertragen hat. Sie beide hatten in jungen Jahren Blutsbrüderschaft getrunken und sich geschworen, auch im Tode vereint zu bleiben. Nicht bestätigte Überlieferungen wollen wissen, daß Chendi mit diesem Ritual im Schäßburger Cötus, also der burschenschaftlich organisierten Schülerselbstverwaltung, vertraut geworden sei und daß er zur Begründung seines Selbstmordes auf Deutsch gesagt haben soll: „Ein Mann, ein Wort“. Auch wenn wir dieses in den Bereich der Legende verweisen wollen, so ist aber bestätigt, daß er über seine Schäßburger Schulzeit stets in anerkennender Weise berichtet hat.

Der bedeutendste rumänische Bergschüler war zweifellos Zaharia Boiu. Eine ausführliche Würdigung dieser Persönlichkeit hat Claudiu Pop in der Festschrift zur Wiedereinweihung der Schule im Jahre 2007 vorgenommen. Der Pfarrerssohn Zaharia Boiu wurde im Jahre 1834 im Schäßburger Stadtteil Cornesti geboren und war der erste Schäßburger Rumäne, der eine höhere Schulbildung genoß. Zu seinen Lehrern gehörten Georg Daniel Teutsch, Friedrich Müller und Joseph Haltrich und zu seinen Mitschülern Michael Albert und Carl Goos d. J.. Nach seinem glänzenden Bakkalaureat wirkte er zunächst so erfolgreich als Lehrer in Sacele, daß Andrei Saguna auf ihn aufmerksam wurde und ihn als Professor für Pädagogik an die theologische Hochschule nach Hermannstadt berief. Zur wissenschaftlichen Weiterbildung schickte er ihn zum Studium nach Leipzig, wo der junge Pädagoge sich mit den Ideen von Johann Heinrich Pestalozzi und Adolph Diesterweg vertraut machte. Nach seiner Rückkehr schrieb er mehrere bahnbrechende rumänische Schulbücher, die sich auch jenseits der Karpaten großer Beliebtheit erfreuten. Kein Geringerer als Ion Creanga schätzte sie über alle Maßen. Darüber hinaus betätigte er sich auch als Wissenschaftler und Poet. Besondere Aufmerksamkeit erregten seine Arbeiten „Elemente de istorie a naturii si fizicii (Elemente der Naturgeschichte und der Physik)“ und „Elemente de geografie (Elemente der Geographie)“. Zu seinem literarischen Oeuvre gehört die Sammlung „Sunete si resunete“. Dank seines deutschen Bildungshintergrundes beschäftigte er sich zeitlebens mit der deutschen Literatur und verfertigte im Originalmetrum eine Übersetzung des dramatischen Gedichts „Nathan der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing. Daß er sich ausgerechnet dieses Zeugnis religiöser Toleranz auswählte, war nicht zufällig, denn als talentierter Redner sowie als Sekretär des „Asociatiunii transilvane pentru literatura romana si cultura poporului roman (Siebenbürgischer Verein für rumänische Literatur und Kultur des rumänischen Volkes)“  – ASTRA – entfaltete er eine rege publizistische Tätigkeit und kämpfte entschieden für die Gleichberechtigung des rumänischen Volkes in Siebenbürgen, wobei er sich nicht selten auf Stephan Ludwig Roth berief. 1877 wurde er korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften und 1890 deren Vollmitglied. 1903 verstarb er im Alter von 69 Jahren.

Abschließend ist sicher mit gutem Recht festzuhalten, daß kaum eine Schule in Siebenbürgen so stark auf das siebenbürgische Geistesleben ausgestrahlt hat wie gerade die Schäßburger Bergschule. Dies ist im kollektiven Gedächtnis haften geblieben, und auch heute noch zehrt die Schule von diesem Ruf.

Wenn wir uns aber nochmals die Aufschrift am Eingang unserer Schule in Erinnerung rufen:

PATRIAE FILIIS VIRTUTI PALLADIQUE SESE VOVENTIBUS SACRUM (den Söhnen des Vaterlandes, die sich der Tugend und Wissenschaft weihen, ein Heiligtum), die Generationen von Schülern und Lehrern beflügelt hat, müssen wir uns die Frage stellen, wie wir heute mit dieser Aussage umgehen. Ich möchte keine Antwort geben und schließe mit dem Zitat von Heinz Brandsch: „Dies (ist) eine Gretchenfrage an Gegenwart und Zukunft“.