Florica

Blumen kauft man in Schäßburg an einer belebten Straßenecke in der Unterstadt bei Zigeunern. „Frische Rosen aus Bulgaria, ganz billig!“ „Hier, Tulipanen aus Olanda!“ „Kommt zu mir Herr, ganz billig!“ „Kauft bei mir, Herr, ich habe zwölf Kinder.“ „Hier, die habe ich selbst gepflückt. Heute morgen.“ „Sei still, Florica, du alte Vettel, du hast kein Recht , hier zu stehen. Wo hast du die wieder gestohlen?“ Die Alte musterte mich mit stechenden Augen und streckte mir einen Frühlingsstrauß entgegen. Ihre Hand war runzelig. „Was willst du haben?“ „Fünfzig (gemeint waren fünfzigtausend Lei)!“ „Was, fünfzig will die haben? Das Gras ist keine fünf Wert. So eine Unverschämtheit! Gebt Ihr fünf, damit sie verschwindet!“ Die Augen der Alten kannte ich. „Kommst du aus Nadesch?“ „Wer will das wissen?“ „Der Ungar Karli.“ „Ungar Karli, so ein verrückter Name! Ungar Karli!“ Die Alte starrte mich an. „Ich kenne keinen Ungar Karli. Habt Ihr Nadesch gesagt?“ „Ja.“ „Dieses gottverdammte Nest! Ungar Karli! Ihr sagt aus Nadesch?“ „Ja.“ „Ich weiß nicht mehr. Ich habe 16 oder 17 Kinder geboren, ich weiß nicht mehr. Niemand kümmert sich um mich. Nur meine Enkelin, die Florica, sie bringt mir manchmal Brot. Sie ist 13 und wird bald heiraten. Ihr Vater hat sich mit einem aus Dumbraveni besoffen. Und der wird sie jetzt heiraten. Ein Auto will er hergeben. Dann bin ich ganz allein. 16 oder 17 Kinder und ganz allein!“ „Hier hast du fünfzig!“ „So ein Verrückter! Der gibt ihr tatsächlich fünfzig für das Gras!“ „Vergelt´s Gott, Ungar Karli!“ Ihr Augen waren glänzend und schön. „Ungar Karli,“ rief sie hinter mir her, „gib acht auf dich! Du bist ein guter Mensch.“ Die Blumen hatte ich eigentlich gekauft, um einen Besuch abzustatten, aber ich trug sie in mein Zimmer und stellte sie in einer Vase auf meinen blauen sächsischen Tisch. Sie rochen gut.

Florica! Florica! Ein sonniger Herbstnachmittag in Nadesch. Wir hatten noch Schulferien. Seiler Mischi riß unsere Hoftür auf und brüllte: „Karli, komm, wir gehen um Buretz!“ Buretz war die volkstümliche Bezeichnung für Pilze. „Warte, ich will nur meine Peitsche holen.“ „Du brauchst keine Peitsche. Wir gehen zum Tanzplatz hinauf. Da gibt es keine Zigeuner.“ Im Pfaffental war tiefer Morast, es hatte in der Nacht geregnet. Am letzten Hof stand das Tor auf. Unser Schulfreund Heini hackte wütend auf einem Scheit Holz herum. „Hast du wieder Dresche bekommen?“ „Halt´s Maul!“ Am Berghang brach Mischi einige junge Maiskolben ab und verstaute sie in einem Leinenbeutel. „Jetzt sind sie genau richtig. Weiter oben holen wir uns noch ein paar Kartoffeln.“ „Ich denke, wir gehen um Buretz.“ „Wart´ ab, Zwiebel und Salz habe ich auch eingesackt.“ Auf dem Tanzplatz, einem mit Gras bewachsenen, ebenen Rondell am Berghang oberhalb des Dorfes, steuerte er schnurstracks auf einen Hexenring Champignons zu. „Das gibt ein Festmahl!“ Die geschälten Maiskolben mit noch milchigen Körnern und die Kartoffeln lagen im Feuer und zischten. „So, jetzt tun wir die Buretz dazu.“ Zwei geschälte und geviertelte Zwiebel lagen im Gras. Mischi streute Salz darüber. „Gleich ist es so weit.“ „Gebt ihr mir auch was?“ Ein Zigeunermädchen mit stechenden Augen stand plötzlich neben uns. „Was willst du hier? Verschwinde! Das ist unser Tanzplatz!“ „Das war eurer, jetzt gehört er allen.“ „Wir hätten doch unsere Peitschen mitnehmen sollen.“ Mischi suchte nach einem Stock. „Bist du der Ungar Karli?“ „Ja, warum?“ „Mein Großvater ist dein Freund.“ „Ich habe keine Freunde unter den Zigeunern.“ „Doch, mein Großvater hat es gesagt.“ „Wer ist dein Großvater?“ „Na, der Russi, der Musikant.“ „Ach der! Ja ,der ist mein Freund. Aber der ist ja gar kein richtiger Zigeuner. Der kann ja lesen und schreiben.“ Der alte Russi war als junger Musikant Geiger im k.u.k. Heeresmusikkorps gewesen und hatte dort lesen und schreiben gelernt, allerdings nur deutsch. Er sprach ein Wiener Kucheldeutsch und tadellos sächsisch. Ihn hatte meine Großmutter beauftragt, mir gegen eine wöchentliche Ration Honig das Violinspielen beizubringen. Da meine Mutter eine passionierte Imkerin war, litten wir nie Mangel an Honig, damals ein seltener Luxus. Das erste Stück, das er mir beibrachte war „Ich bete an die Macht der Liebe“ aus dem Großen Zapfenstreich. Dabei erzählte er burleske Episoden aus seiner Militärzeit. Ich mochte ihn sehr gerne. Er war in unserer aller Achtung sehr gestiegen, als er unsere alte Familiengeige auf geheimnisvolle Weise so gespannt hatte, daß sie danach wie eine echte Konzertgeige klang. „Na, siehst Du? Mein Großvater lügt nie. Ich heiße Florica.“ „Also gut, setz dich hin! Aber nicht zu nahe! Du hast bestimmt Läuse und Flöhe.“ Mischi war versöhnlich geworden. „Ich habe keine Läuse.“ „Aber Flöhe? He?“ „Manchmal.“ Mischi warf ihr ein Stück Zwiebel zu, das sie geschickt auffing. Unten im Dorf war es still. Alle waren auf dem Feld. Nur meine Großmutter ging mit einem Buch in der Hand im Hof auf und ab. Gegenüber, am anderen Hang, auf dem „Putzireech“ (Zigeunerberg), wo eine Menge windschiefer und bunter Hütten stand, kläfften die Hunde. „Jetzt haben wir das Wasser vergessen. Die Buretz machen durstig.“ Mischi wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab. „Wollt ihr Trauben?“ Schnell holte Florica einen vollen Korb aus dem Gebüsch. „Wo hast du die denn gestohlen?“ „Na, da unten aus dem Garten.“ „Der gehört doch dem alten Zintz. Wenn der dich erwischt, der schlägt dich blau.“ „Er hat mich aber nicht erwischt.“ Der Korb war schnell leer und Mischi rülpste. „Ich werde bald heiraten.“ „Donnerwetter! Wie alt bist du?“ „Ich glaube zwölf oder dreizehn.“ „Und da willst du schon heiraten?“ „Mein Vater hat sich mit dem Ioane in Zuckmantel besoffen, und jetzt wird der mich heiraten.“ „Was gibt er für dich?“ „Zwei Fohlen und einen Jagdhund.“ „Du bist aber teuer.“ Florica knöpfte ihre Bluse auf. „Ich habe ja auch die schönste Brust im Dorf.“ Mischi wurde ganz rot im Gesicht und stocherte im Feuer herum. „Joi, jetzt muß ich noch einmal zum alten Zintz. Wenn ich ohne Trauben nach Hause komme, schlägt mich meine Mutter blau.“ Florica sah uns mit stechenden Augen an und lief dann die Böschung hinunter. „Das ist ein Volk! Aber so eine Brust habe ich noch nie gesehen. Und die soll erst zwölf sein. Das kann ich nicht glauben.“ Wir packten zusammen und gingen nach Hause. Der Frühlingsstrauß auf meinen blauen sächsischen Tisch verwelkte. Ich warf ihn weg und ging zu den Zigeunern an der Ecke. „He, das ist doch der Ausländer, der der Florica für Gras einen Fünfziger gegeben hat. So ein Spinner.“ „Frische Rosen aus Bulgaria, ganz billig!“ „Tulipanen aus Olanda!“ „Kauft von mir, Herr, ich habe zwölf Kinder!“ „Ganz billig! Nur dreißig für diesen Strauß!“ „Wo ist die Alte?“ „Ach, die! Die ist nicht mehr hier. Die Polizei hat sie verjagt. Die hat niemals Standgebühr bezahlt.“ „Was wollt ihr von der? Die ist doch verrückt. Vielleicht ist sie zurück nach Nadesch.“ „Hier, Herr, ganz frisch aus dem Garten. Kostet fast nichts.“

Ich habe keine Blumen mehr gekauft.