Immer wieder Trianon

Für Ungarn war der Vertrag von Trianon vom 04.06.1920 eine nationale Tragödie, während er für Rumänien den größten nationalen Triumph seiner Geschichte darstellte.

Immer wieder Trianon Aktuelle Diskussionen

Der Vertrag von Trianon vom 04.06.1920 erhitzt auch 100 Jahre nach seiner Unterzeichnung immer noch die nationalistischen und ideologischen Gemüter in Ungarn und in Rumänien.
Für die ungarische Regierung ist dieser Jahrestag kein Grund zum feiern, sondern ein Tag der Trauer und der Schmach. Immerhin verlor Ungarn durch diesen Vertrag 2/3 seines Vorkriegsterritoriums und 68% seiner Vorkriegsbevölkerung. Es musste sogar hinnehmen, dass ab da ca. 3 Millionen ethnische Ungarn im Ausland lebten. Trianon wurde so zum Trauma der Ungarn und ist es bis zum heutigen Tage geblieben. Immer wieder wurde und wird dieser Tag propagandistisch beschworen. Mit außerordentlichem Pathos ließ die Regierung in Budapest in diesem Jahr anlässlich dieses Gedenktages in großem Stil die Grenzen von „Großungarn“, also die von vor dem I. Weltkrieg, propagieren und ließ verkünden „Grenzen sind Staatsgrenzen und nicht die Grenzen von Nationen“.

Auch in Rumänien wurde dieser Vertragsunterzeichnung gedacht, aber in genau umgekehrtem Sinne, nämlich als Tag des Triumphes und der nationalen Gerechtigkeit. Vielerorts wurde dieser Tag zelebriert, denn immerhin besiegelte er die nunmehr über 100-jährige Zugehörigkeit Siebenbürgens und des Banats zu Rumänien, eine Zugehörigkeit, die am Tag der Vertragsunterzeichnung schon längst Tatsache war. Die ungarische Minderheit in Rumänien deutete diesen Tag eher wie die Budapester Regierung und zog prompt heftige Kritik der rumänischen Nationalisten auf sich.

Brisanz hat dieser Tag erhalten, als fanatische Nationalisten innerhalb der PSD (Sozialdemokratische Partei) ihre Fraktion, die im Parlament die Mehrheit stellt, beschwatzten, in aller Hast und in purem Populismus ein Gesetz zu verabschieden, in dem der 04.06., also der Tag der Vertragsunterzeichnung, zum offiziellen nationalen Gedenktag bestimmt wird. Dieses Gesetz stellt nicht nur eine extreme Brüskierung der ungarischen Minderheit dar, sondern entbehrt auch jeglicher Logik, denn der Tag der nationalen Einheit ist aus guten Gründen der 01.12. Der 04.06.1920 hat die Vereinigung nicht herbeigeführt, sondern die schon längst existierende Einheit lediglich bestätigt.
Der Staatspräsident weigert sich demzufolge zu Recht, das Gesetz zu unterzeichnen, und hat es sogar an das Verfassungsgericht verwiesen. Dieses wiederum nehmen ihm die Sozialisten übel und ihr radikaler Flügel wirft ihm mangelnden Patriotismus und Verrat an den nationalen Interessen des rumänischen Volkes vor.
Angesichts derartig aufgeheizter Diskussionen um eine 100 Jahre zurückliegende Vertragsunterzeichnung scheint es sinnvoll, den Hintergründen dieses Vertrages stichwortartig nachzugehen.

Die Verhandlungen

Es gehört zu den wenig bekannten Tatsachen, dass Österreich-Ungarn einen separaten Frieden mit Frankreich, Großbritannien und den USA anstrebte und sich anbot, Deutschland zur Rückgabe vom Elsaß und von Lothringen an Frankreich zu bewegen. Im Austausch dafür erhoffte sich Karl IV. (I.) eine Garantie für die Aufrechterhaltung der Doppelmonarchie nach Kriegsende. Im Mai 1918 wurde dann aber Österreich-Ungarn von Deutschland gezwungen, ein politisches, militärisches und wirtschaftliches Bündnis zu unterzeichnen. Mit der Schließung dieses Bündnisses, das sich als kurzlebig erweisen sollte, wurden alle Chancen für einen separaten Frieden zunichte gemacht und Österreich-Ungarn wurde in den kommenden Monaten bis zum Kriegsende auf einen deutschen Satellitenstatus reduziert. Sein Schicksal war damit wohl besiegelt. Als erster sprach offiziell der US-Aussenminister Robert Lensing in einem Memorandum an den Präsidenten Wilson von einer Zerstückelung Österreich-Ungarns. Dieses Memorandum wurde zur Grundlage der später mit großem Pomp verkündeten 14 Wilsonschen Punkte. Im Gegensatz dazu zögerten die europäischen Staaten eher, auf die Zerschlagung Österreich-Ungarns zu setzen, aber die massive Beteiligung der USA an den Kriegsanstrengungen machte einen möglichen Widerstand gegen die Zerstückelung der Doppelmonarchie unmöglich. Die feste Entschlossenheit der Tschechen, Slowaken, Rumänen und der Nationen des späteren Königreichs Jugoslawien, eigene Nationalstaaten zu gründen, rückte die Idee einer Aufrechterhaltung der Monarchie in noch weitere Ferne. Die Hauptfigur in diesem Prozess war Tomas Masaryk, der massiv in den USA Lobby für diese Ideen gemacht hatte. Die Mobilisierung der slowakischen und anderer Auswanderer in den Vereinigten Staaten trug wesentlich zum Erfolg dieser Aktion bei. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass ungarische Politiker eine Zeit lang Masaryks Bemühungen sogar unterstützten. Mihaly Karolyi sandte ihm Ende Oktober 1918 eine Nachricht, in der er seinen Wunsch nach einer Zusammenarbeit der Ungarischen Volksrepublik mit dem neuen tschechoslowakischen Staat zum Ausdruck brachte.

Bei der Beurteilung des Vertrags von Trianon muss selbstverständlich die Tatsache hervorgehoben werden, dass zum Zeitpunkt der Verhandlungen in Ungarn ein kommunistisches Regime unter Bela Kun herrschte, und die Gefahr bestand, dass die kommunistische Idee auch in den jungen Nationalstaaten auf fruchtbaren Boden fallen könnte. Der kommunistische Internationalismus kollidierte aber auch direkt mit dem Bestreben der ungarischen Eliten, in der einen oder anderen Form die Doppelmonarchie aufrechtzuerhalten. Die Tschechoslowakei wurde am 28. Oktober 1918 offiziell aus der Taufe gehoben. Kroatien und die serbisch bewohnten Gebiete in Österreich-Ungarn waren auf dem besten Wege, sich Serbien anzuschließen. Siebenbürgen hatte am 1. Dezember 1918 beschlossen, sich mit Rumänien zu vereinen, und Masaryk gelang es, die ruthenische Minderheit zu überreden, sich der Tschechoslowakei anzuschließen, indem er auch die ruthenische Diaspora in den Vereinigten Staaten mobilisierte. Andererseits bestand durchaus auch die Möglichkeit, das transkarpatische Ruthenien in einem neuen ungarischen Staat zu halten. In Ungarn dachte aber niemand daran, Gespräche mit den Ruthenen zu suchen, um herauszufinden, unter welchen Bedingungen diese sich ein Ungarn unter Einschluss Transkarpatiens vorstellen könnten.

In diesem Kontext begannen die Friedensverhandlungen im Januar 1919 in Paris. Ein Großteil der von Ungarn seit der Bildung der Doppelmonarchie im 19. Jahrhundert beherrschten Gebiete waren de facto bereits in neuen Nationalstaaten aufgegangen, die nun die offizielle Anerkennung ihrer Unabhängigkeit forderten. Ungarn selbst befand sich zum Zeitpunkt der Pariser Gespräche bereits in einem Zustand der Anarchie. Bela Kun lehnte es ab, eine ungarische Delegation zu den Friedensgesprächen zu entsenden. Die Existenz einer bolschewistischen Regierung in Budapest war sicher einer der wichtigsten Faktoren bei der Konzipierung des Vertrags von Trianon in seiner endgültigen Form. Auch ein demokratisches Ungarn hätte die Friedensverhandlungen natürlich in nur geringem Maße beeinflussen können, aber es wäre sicherlich auf mehr Offenheit gestossen. Angesichts des äußerst aggressiven Potenzials eines bolschewistischen Staates in Mitteleuropa bestand der Zweck der Friedenskonferenz nicht nur darin, die Grenzen der neuen Staaten festzulegen, sondern vor allem darin, Bestandsgarantien für die neuen Staaten zu schaffen und den Frieden langfristig zu sichern. Den ungarischen Politikern mißtraute man hinsichtlich ihres Friedenswillens. Die Zusammensetzung der Friedenskonferenz war zudem für Ungarn sehr ungünstig. Es hatte nämlich von sich aus auf die Teilnahme verzichtet und nicht erkannt, dass eine gemeinsame Verhandlung von Vorteil gewesen wäre, insbesondere was die Grenzziehungen betraf. So wurden zwei Ausschüsse gebildet, die die Frage der ungarischen Grenzen zu Rumänien bzw. der Tschechoslowakei getrennt behandelten. Erst am Ende dieser Verhandlungen erkannte Ungarn, dass die gesamten territorialen Verluste erheblich waren. Wenn eine andere, eine demokratische, Regierung in Budapest an der Macht gewesen wäre, wäre die Bitte, alle territorialen Fragen in einem einzigen Format zu erörtern, zumindest auf die Tagesordnung gelangt. Als in Paris über die Grenzen Rumäniens und der Tschechoslowakei verhandelten wurde, war noch nicht klar, dass das Ergebnis dieser Vorgespräche endgültig sein würde. Es wurde nämlich lange angenommen, dass das Ergebnis der technischen Gespräche auf politischer Ebene in nachfolgenden Verhandlungen nochmals aufgegriffen und eventuell modifiziert würde. Entscheidend dafür, dass letzteres nicht geschah, war die Unfähigkeit Ungarns, das technische Ergebnis zunächst hinzunehmen, und zu versuchen, im richtigen Augenblick mit politischen Mitteln das Ergebnis zu verbessern. Rumänien hatte in kleinerem Maßstab vor dem gleichen Problem gestanden, aber es war ihm gelungen, im richtigen Augenblick die politische Initiative zu ergreifen und zu überzeugen. Die US-Delegation bestand auf der strikten Anwendung des ethnischen Prinzips bei der Festlegung künftiger Grenzen, und diese Position war entscheidend. Der ethnische Faktor hatte Vorrang vor möglichen wirtschaftlichen Überlegungen. England hatte vorsichtig versucht, die wirtschaftliche Lebensfähigkeit dieser Staaten ins Gespräch zu bringen, aber die USA waren in ihrer Haltung unnachgiebig. Bei der Ziehung der Grenze zwischen der Tschechoslowakei und Ungarn wurden beispielsweise Straßen- oder Schienenverbindungen nicht berücksichtigt. Der amerikanische Vorschlag befürwortete eine rein ethnische Grenze, während der britische Vorschlag vorsah, den Eisenbahnlinien zu folgen, wodurch aber Zehntausende Ungarn zusätzlich zu denen, deren Schicksal bereits entschieden war, Teil der Tschechoslowakei geworden wären. Harold Nicolson vermerkte in seinem Tagebuch ausdrücklich seine Enttäuschung, dass der britische Vorschlag nicht berücksichtigt worden war. Hätten die Grenzen anders ausgesehen, wenn Ungarn aktiv an der Friedenskonferenz teilgenommen hätte? Dies erscheint eher unwahrscheinlich. Die Würfel waren bereits gefallen, denn das ethnische Argument war zu dieser Zeit unschlagbar. So paradox es auch erscheinen mag, verfolgten die USA, die sich mit ihrer Verhandlungslinie vollends durchgesetzt hatten, nur sekundär eigene Interessen. Die Interessen Frankreichs dagegen waren sehr viel vitaler. Italien konnte sich während der Friedensverhandlungen nicht wirksam gegen die Bildung eines starken jugoslawischen Staates wehren (das Problem wurde auch nach diesen Verhandlungen nicht gelöst und Italien strebte auch weiterhin danach, die Grenze in Illyrien zu revidieren, was etwas später zur Besetzung von Rijeka führte). Aufgrund dieses Problems war Italien nicht an der Frage der mitteleuropäischen Grenzen interessiert. Frankreich dagegen hatte erkannt, dass das Fehlen Italiens bei diesem Verhandlungsprozess die Frage der ungarischen Grenzen nur wenige Akteure vital interessieren würde, was natürlich die Rolle Frankreichs erheblich stärkte. Hätte Ungarn mit einer anderen Regierung an der Macht gute Beziehungen zu Italien mit dem Ziel einer konstruktiven Einigung anknüpfen können? Auch diese Möglichkeit erscheint eher unwahrscheinlich. Italien hatte, wie gesagt, eine eigene Agenda. Ein weiterer Nachteil für Ungarn war sein Status als besiegter Staat, wohingegen die Rumänen, Serben, Slowaken und Tschechen Verbündete der westlichen Staaten gewesen waren.

Die Lage Ungarns

Die bolschewistische Revolution in Ungarn hat die Arbeit der Friedenskonferenz sicher sehr beschleunigt. Die Festlegung der Grenzen auf technischer Ebene wurde politisch schnell umgesetzt. Erst mit dem Abschluss der politischen Gespräche wurde klar, dass sich insgesamt drei Millionen Ungarn außerhalb der ungarischen Grenzen befinden würden.
Es wäre ein guter Zeitpunkt für Ungarn gewesen, nun seine eigenen Argumente neu zu formulieren, aber das Fehlen eines glaubwürdigen Dialogpartners in Budapest hat dies unmöglich gemacht.
In den folgenden Monaten waren die Erfolge der russischen Revolution und die Gefahr einer Ausbreitung der kommunistischen Idee in Europa entscheidend für die Positionierung gegenüber Ungarn. Das Hauptanliegen war zwar nicht, einen Korridor zwischen Sowjetrussland und Ungarn zu legen, denn die ungarischen Streitkräfte waren auf 35.000 Freiwillige beschränkt, was nicht ausreichte, um die neuen Grenzen zu verteidigen, zumal Ungarn eventuellen Invasionen aus allen Richtungen ausgesetzt war und keine natürlichen Grenzen mehr hatte (Karpaten). Aber die Eroberung des subkarpatischen Ruthenien oder eines Teils Rumäniens durch sowjetische Truppen hätte ausgereicht, einen Invasionskorridor für die bolschewistischen Streitkräfte zu schaffen, der den Weg nach Mitteleuropa geebnet hätte. Um dieser möglichen Gefahr zu begegnen, wurde noch im gleichen Jahre unter der Patronage Frankreichs die Kleine Entente (Jugoslawien, Tschechoslowakei, Rumänien) geschaffen. Diese Kleine Entente wurde in der Literatur häufig als reines Bollwerk gegen das Wiederaufleben eines ungarischen Revisionismus gedeutet, eine Sichtweise, die den explizit antibolschewistischen Akzent des Bündnisses ignoriert.
Die Westmächte hatten richtig erkannt, dass ein für Ungarn nur sehr schwer erträgliches Ergebnis zur Radikalisierung des internen politischen Klimas, zu irredentistischen und ultra-nationalistischen Manifestationen führen würde. Immerhin hatte Lloyd George schon im März 1919 erklärt, dass es in Mitteleuropa keinen Frieden geben würde, wenn es in jedem Nachbarstaat Ungarns eine große ungarische Minderheit gäbe. Das Argument wurde aber nicht weiterverfolgt, und die Meinung von Lloyd George wurde sogar von seinem eigenen Außenministerium heruntergespielt. Im Fokus stand eindeutig die bolschewistische Gefahr, die von Ungarn ausging.
Selbst wenn es auf der Konferenz hätte mitreden können, wäre Ungarn aus innenpolitischen Gründen wohl handlungsunfähig gewesen. Nach der Beendigung des Bela Kun-Experiment war das Klima theoretisch günstiger, aber ein weiterer Faktor wirkte sich zu Ungunsten Ungarns aus: Die Müdigkeit, die sich nach vier Jahren Krieg und über einem Jahr diplomatischer Verhandlungen aufgestaut hatte. Harold Nicolson bemerkte in seinem Tagebuch, dass es ein Fehler war, dass man Ungarn nach dem Fall von Bela Kun nicht zu Gesprächen eingeladen hatte, fügte allerdings hinzu: „Es wäre sowieso nicht wichtig gewesen.“ Nicolson hatte absolut Recht: Es war zu spät, um Ungarn einzuladen. Die Entscheidungen waren bereits getroffen worden, und die Delegierten wollten diesen diplomatischen Marathon so schnell wie möglich beenden. Also erhielt Ungarn eine Einladung zur Schlusssitzung vom französischen Ministerpräsidenten Clemenceau. Die von Graf Albert Apponyi geleitete Delegation traf am 6. Januar 1920 in Paris ein. Der Vertragsentwurf, über den die Diskussionen begannen, war tatsächlich identisch mit dem Text, der zu Beginn des Jahres 1919 auf technischer Ebene vereinbart worden war. Erst von diesem Moment an begann Ungarn, seine eigenen Argumente vorzulegen. Das einzige Argument, das als akzeptabel angesehen werden konnte, betraf die Organisierung von Volksabstimmungen in Gebieten, die anderen Staaten zugefallen waren, in denen aber eine erhebliche ungarische Minderheit lebte. Aber dafür war es inzwischen zu spät. Beispielsweise der in Alba Iulia zum Ausdruck gebrachte Wille zum Anschluß Siebenbürgens an Rumänien war bereits umgesetzt worden und konnte nicht mehr angefochten werden. Da dieser Weg also derzeit nicht gangbar war, verfolgte die ungarische Delegation einen anderen Ansatz. Apponyi erkannte, dass der Logik, Grenzen nach rein ethnischen Kriterien zu ziehen, nur eine Mischung ethnischer und wirtschaftlicher Erwägungen entgegengesetzt werden konnte. Nach der Rückkehr der ungarischen Delegation nach Budapest begannen die spektakulärsten und verzweifeltsten Verhandlungen vor dem Vertrag von Trianon: Ungarn versuchte, sich an Frankreich anzulehnen, und bot ihm im März 1920 einen Vertrag über den Bau eines Handelshafens an der Donau und die Mehrheitsanteile an der ungarischen Kreditbank an. Ungarn erwartete von Frankreich eine ihm gewogenere Haltung bei den Pariser Verhandlungen mit Rumänien und der Tschechoslowakei als Gegenleistung für diese Zugeständnisse. Der Versuch Ungarns, günstigere Bedingungen herbeizuführen, wurde von Maurice Paleologue, dem neuen Generalsekretär des französischen Außenministeriums, brüsk zurückgewiesen. Frankreich war zur Ansicht gelangt, dass es seine außenpolitischen Ziele in Mitteleuropa nur auf der Grundlage seiner ursprünglichen Position wirksam durchsetzen könne, und die Zugeständnisse Ungarns wurden als belanglos eingestuft. Die Gespräche wurden im Mai 1920 unter der Führung des neuen Premierministers Etienne Millerand wieder aufgenommen, der Clemenceau abgelöst hatte. Millerand begann den Dialog mit Apponyi in einem kompromißlosen Ton: „Ein Zustand, auch ein tausendjähriger, kann nicht existieren, wenn sich herausstellt, dass er gegen die Gerechtigkeit verstößt.“ Der Antrag auf Volksabstimmungen wurde ebenfalls ausdrücklich abgelehnt. Millerands Begründung verdient es, vollständig wiedergegeben zu werden: „Der Wille des Volkes wurde im Oktober und November 1918 anlässlich des Zusammenbruchs der Doppelmonarchie zum Ausdruck gebracht, als sich die so lange unterdrückten Völker für die Einheit mit ihren italienischen, rumänischen, jugoslawischen und tschechoslowakischen Brüdern aussprachen. Die Ereignisse, die seitdem stattgefunden haben, sind ein weiterer Beweis für die Gefühle der Nationalitäten, die in der Vergangenheit der Krone des heiligen Stephanus unterworfen waren. Die verspäteten Maßnahmen der ungarischen Regierung, um die Forderung der Nationalitäten nach Autonomie zu erfüllen, können keine Illusionen hervorrufen. Seit langem sind alle Bemühungen der ungarischen Politik darauf gerichtet, dass die Stimme ethnischer Minderheiten nicht gehört wird. “

Ungarn hatte damit praktisch keine Spielkarten mehr. Die einzige Reaktion bestand folglich lediglich darin, den Vertrag von Trianon von zweitklassigen Beamten unterzeichnen zu lassen, um die Unterschrift nicht als beschämende Kapitulation erscheinen zu lassen. Der Vertrag wurde am 4. Juni 1920 von einem ungarischen Minister und dem Botschafter in Frankreich unterzeichnet. Die 1919 weitgehend abgeschlossenen Grenzziehungen hätten nur durch Bschluss der Westmächte geändert werden können, eine Möglichkeit, die allerdings nie in Erwägung gezogen wurde. Die technischen Kommissionen, die während der Pariser Friedenskonferenz arbeiteten, hatten ein begrenztes Mandat: eine Begründung für die Ziehung der Grenzen zu formulieren, die de facto bereits gezogen worden waren. Die von Ungarn vorgeschlagenen Volksabstimmungen waren damit obsolet geworden. Hätte beispielsweise eine solche Volksabstimmung im Szeklerland stattgefunden, so hätte ein Votum für Ungern dennoch keine Berücksichtigung finden können, da das Gebiet zu weit von der Grenze entfernt war. Selbst in den Grenzgebieten – Arad, Oradea, Satu Mare -, die zu dieser Zeit von einer ungarischen Mehrheit bevölkert waren, wäre eine Volksabstimmung nicht schlüssig gewesen. In diesen Städten lebten nämlich inzwischen kompakte in rasantem Anwachsen befindliche rumänische Gemeinschaften. Das gleiche wäre in den von Ungarn in der Slowakei bewohnten Gebieten gewesen. Die einzige Region, in der die Logik der Volksabstimmung hätte funktionieren können – und funktioniert hat -, war das Sopron(Ödenburg)- Gebiet. Die Volksabstimmung fand anderthalb Jahre nach dem Vertrag von Trianon im Dezember 1921 statt, und 2/3 der Befragten stimmten für die Eingliederung nach Ungarn. Es war eine minimale Entschädigung, die Ungarn erhielt – tatsächlich die einzig mögliche in diesem Zusammenhang. Wie kann man sich am Ende die Tatsache erklären, dass Ungarn 2/3 seines Territoriums und 68% seiner Bevölkerung von vor 1918 verloren hat? Dieser enorme Verlust ist nicht auf Friedensverhandlungen oder auf die Niederlage Österreich-Ungarns im Krieg zurückzuführen (Deutschland hat auch eine Niederlage erlitten und trotzdem außer den immer umstrittenen Landschaften Elsaß und Lothringen nur einen winzigen Teil seines Territoriums von vor 1918 eingebüsst). Die bolschewistische Herrschaft über Budapest spielte wohl die entscheidende Rolle für die Unfähigkeit Ungarns, einleuchtende Argumente zu seinen Gunsten zu formulieren und in Paris Gehör zu finden. Der Vertrag von Trianon war darüberhinaus die logische Folge der Verhältnisse in Ungarn im letzten Jahrhundert. Seit 1848 war die grundlegende Frage der ungarischen Liberalen, wie ein liberales und ein demokratisches Modell ohne Gleichberechtigung der Minderheiten hätte funktionieren können. Diejenigen, die argumentierten, dass eine Gleichberechtigung der Minderheiten der einzige Weg sei, das liberale Modell durchzusetzen, waren letztendlich in der Minderheit. Schließlich wurde sogar das Modell einer einzigen und einheitlichen Nation proklamiert, nämlich der ungarischen. Die Folge war eine rücksichtslose Magyarisierungspoilitik mit dem langfristigen Ziel, alle Minderheiten allmählich zu assimilieren. Rumänen, Slowaken, Kroaten, Serben usw. betrachteten Ungarn folglich nicht mehr als ihren Staat. Ihr Streben nach Unabhängigkeit und ihre Schritte dazu fügten sich nahtlos in in das mittlerweilemzur Norm erhobene Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker, das in den 14 Wilsonschen Punkten seinen politischen Niederschlag fand. Die entscheidenden strukturellen Weichenstellungen erfolgten aber, wie oben dargelegt, fast vollständig im Vorfeld des Vertrags von Trianon, der diese Entscheidungen dann lediglich legitimierte.

Schlußfolgerungen

Tatsächlich hat das Datum des 4. Juni 1920 nicht die Bedeutung eines historischen Ereignisses an sich, sondern die eines Augenblicks, an dem eine historische Periode endete. Für die Ungarn war und ist dieser Moment ideologisch übersteigert und bis heute wird dieses Datum nationalpathetisch als säkulares Unrecht gebrandmarkt und das Vorkriegsungarn nostalgisch beschworen. Für Tschechen, Rumänen, Slowaken, Kroaten und Serben gibt es aber auch keinen keinen Grund zum Feiern – die Forderungen dieser Nationen wurden allesamt schon vor dem 4. Juni 1920 vollständig erfüllt. Für die Gegenwart ist wichtig: Die Idee, die Unterzeichnung des Vertrags von Trianon in Rumänien zu feiern, hat keine Grundlage, weil sie nicht auf der Kette historischer Ereignisse beruht, sondern aktueller ideologischer Propaganda geschuldet ist. Sobald die Trianon-Obsession bei den Ungarn und den Rumänien verschwindet, ist der Weg zur Aussöhnung zwischen Ungarn und Rumänen offen.