Penelope

Ein Leben ohne Weihnachtsplätzchen ist möglich, aber sinnlos.

Weihnachten ist der Höhepunkt des Jahres, eine Zeit der Glückseligkeit. Nicht der Weihnachtsbaum mit seinem Glitzerzeug, nicht die obligatorischen Geschenke und nicht das Oh-du-fröhliche-Gedudel sehne ich innig herbei. Nein, es sind die Plätzchen, denen ich schon in der Adventszeit entgegenfiebere. Sie allein geben dem Fest aller Feste den Glanz. Nun meine ich natürlich nicht irgendwelche Plätzchen, nein, schon gar nicht das gekaufte, hermetisch dicht in Plastiktüten gestopfte Fabrikgebäck. Es sind die Plätzchen meiner Penelope, meiner treuen und umsichtigen Hausfrau, die meine Sinne erregen. Penelope ist beschenkt mit Zauberhänden, mit denen sie wahre Wunder der Backkunst vollbringt. Wären die alten Götter nicht im Hades versunken, so säße sie schon längst im Olymp und Gottvater Zeus würde nicht mehr jedem Weiberrock nachlaufen, sondern nur noch von ihren Plätzchen naschen. Hera könnte ihren Hallodri endlich beruhigt und sorgenfrei am Kinn kraulen.

Am dritten Advent beginnt die Erregung. Stundenlang steht Penelope in der Küche, rührt, knetet, walkt und sticht mit runden, gezackten und eckigen Formen aus. Geduldig legt sie die weißlichgelben Rohlinge in Backbleche, um sie dann in den vorgewärmten Backofen zu schieben. Oh, welch heilige Handlung! Nervös gehe ich auf und ab. „Setz‘ Dich hin und lies in deinen gescheiten Büchern. Gut Ding will Weile haben und ich kann dich hier nicht gebrauchen.“ Penelope schiebt mich sanft zur Tür hinaus. Also setze ich mich hin und lese. Aber ach, meine Gedanken schweifen ab. Es zieht sie in die Küche. Meine Nase wittert süße Köstlichkeiten. Ich schiele in die Küche. Penelope hantiert mit Eiweißschaum, Kokosraspeln, Puderzucker, Zimt, Safran, Korinthen und Sultaninen, Ingwer, Honig und natürlich Vanille herum und summt vergnügt bayerische Schnadahupferl. Gläser mit Marmeladen und Gelees stehen bereit. Die Königin der Früchte ist die Himbeere, blaßrot und duftend. Neidisch blickt ihre derbere Schwester, die Brombeere, auf sie und ärgert sich schwarz. Himbeermarmelade treibt mich zur Extase. Für sie könnte ich zum Einbrecher werden. Mit einigem Abstand folgt das Quittengelee, gelb und zittrig, doch selbstbewußt und stolz. Ich halte die Spannung nicht mehr aus. Ich muß hinaus in die Natur. Gedankenverloren irre ich durch die Straßen. Bekannte drehen sich verwundert nach mir um und schütteln verständnislos ihr Haupt. Penelope und ihre Plätzchen sausen in meinem Kopf herum.

Jetzt muß es so weit sein. Voller Vorfreude mach ich mich auf den Heimweg. Penelope führt mich am Arm ins Wohnzimmer. „Nicht anfassen! Die müssen zehn Tage ruhen.“ Der Duft überwältigt mich: zwei große Kristallschüsseln aus Bodenmais, die eine muranorot, die andere weißlich glitzernd voller bunter Spezereien! Oh, welch ein Anblick! Kulleraugen, Spekulatius, Zimtsterne, Marmeladenecken, Himbeerherzen, Limetten-Taler, Linzer Plätzchen, Prinzenecken, Non-plus-ultra, Husarenkipfel und natürlich die unübertroffenen Vanillipipferl!!!! Vanillikipferl sind die Krönung, der Gipfel kulinarischer Glückserfüllung. Oh, wie sie mich alle anlächeln! Können denn Weihnachtsplätzchen lächeln? Ich versichere bei meiner Ehre: Sie können! „Wie bitte? Zehn Tage ruhen? Schrecklich! Unmenschlich! Nun gut, ich werde es erdulden. Verzicht ist die Tugend großer Männer.“

Die zehn Tage der Wehmut, des Schmachtens, ja des Leidens gehen schließlich zu Ende. Endlich, endlich ist es so weit. Penelope nimmt vorsichtig die Abdecktücher von den Schalen. Ein unbeschreiblicher Anblick! Die bunte Pracht lächelt immer noch. „Greif zu!Greif zu!“ höre ich sie säuseln. Hurra, hurra! Freudig greife ich zu. Das Glück ist unbeschreiblich. Welch ein Genuss! Alle Widerwärtigkeiten des Daseins sind vergessen. Das Leben ist schön. Wohlbehagen durchströmt meinen Leib und meine Seele. Mein Weihnachten hat begonnen. Endlich! Penelope grinst zufrieden vor sich hin.