Zukunft und Perspektiven der deutschen Minderheit in Rumänien

Das abgedruckte Thesenpapier wurde anlässlich einer Tagung vom 13. bis 15. November 2009 in Hermannstadt von Benjamin Józsa, Dr. Hans Klein, Dr. Paul Philippi, Dr. Karl Scheerer und Winfried Ziegler vorgelegt. In diesem Papier werden Vorschläge zu einer Vitalisierung und Festigung der sehr klein gewordenen deutschen Gemeinschaft in Rumänien gemacht. Es ist eine Reaktion auf die programmatische Rede von Dr. Karl Scheerer am Sachsentreffen in Birthälm im September 2008. Während der Diskussion des Thesenpapiers wurde als wichtig erachtet, das Thema Schule ebenfalls einzubringen sowie die notwendige intensive Zusammenarbeit zwischen dem Forum und den anderen für unsere Minderheit relevanten Vereinen und Institutionen in Rumänien.

Zukunft und Perspektiven der deutschen Minderheit in Rumänien

Thesenpapier vorgelegt anlässlich einer Tagung vom 13. bis 15. November in Hermannstadt

Das DFDR hat in den 20 Jahren seiner Existenz eine hervorragende Leistung vorzuweisen und ist auch heute noch eine beachtliche und effektive gesellschaftliche Kraft. Dennoch haben es die Massenauswanderung der 90er Jahre und andere Umstände mit sich gebracht, dass die deutsche Gemeinschaft als Ganzes sehr geschwächt ist, und es besteht die Gefahr, dass sie angesichts ihres sehr hohen Durchschnittsalters und infolge des Mangels an aktiven Leistungs- und Funktionsträgern ihre Lebenskraft einbüßt. Deshalb ist es geboten, neue Wege zur Stärkung und Vitalisierung der Gemeinschaft zu suchen. Es gilt, die Ressourcen zu aktivieren und neue zu erschließen, die vorhandenen Kräfte effektiver zu koordinieren und darüber hinaus weitere Personenkreise, die sich dem Deutschtum und der deutschen Kultur verpflichtet fühlen, in die Forumsstrukturen zu integrieren. Die folgenden Vorschläge bieten die Chance, der deutschen Gemeinschaft zusätzliche Impulse zu verleihen und für das Gemeinschaftsleben neue Akzente zu setzen.

1.1 Einbeziehung von ethnisch Nichtdeutschen ins Forum

1.2 Einbeziehung von Deutschen ohne rumänische Staatsbürgerschaft

In Anbetracht einer überalterten Bevölkerungsstruktur der rumäniendeutschen Gemeinschaft und der damit verbundenen Abnahme der Zahl der Rumäniendeutschen und unter Berücksichtigung der zahlenmäßig nicht zurückgehenden zu bewältigenden Aufgaben sind zwei heranzuziehende Gruppen für das Forum von vitaler Wichtigkeit.

Das Forum muss ethnischen Nichtdeutschen, die sich der deutschen Gemeinschaft verpflichtet oder zugehörig fühlen eine erweitertere Plattform als bisher zur Verfügung stellen, damit sie sich zum Wohle der Gemeinschaft einbringen können. Dieses gebieten sowohl der Respekt vor ihren Bemühungen aber auch der Blick in die Zukunft. Die wachsenden Belange der Rumäniendeutschen können nicht mehr exklusiv von diesen wahrgenommen werden. Die in Rumänien lebenden EU-Bürger deutscher Muttersprache, die aber keine rumänische Staatsbürgerschaft besitzen, sollten aufgrund ihrer Brückenfunktion Vollmitglied im DFDR werden können, sofern sie einen festen Wohnsitz in Rumänien haben.

1.3 Einbeziehung der eigenen Mitglieder

Dieselbe Sorge muss das Forum seinen rumäniendeutschen Mitgliedern angedeihen lassen. Die Einbeziehung in die Entscheidungen der Forumsstruktur, das Heranziehen weiterer ehrenamtlicher Aktiver und die Einbindung in politische Willensbildungsprozesse sind einige Themenfelder, die weiter ausgebaut werden müssen. Jeder Aktive, der aus dem einen oder anderen Grunde dem Forum den Rücken kehrt, wird nicht mehr zu ersetzen sein.

2. Hineinwachsen der Mitglieder des Jugendforums in die Forumsstruktur

Eine grundlegende Wichtigkeit kommt in der Zukunftsperspektive des Forums der Jugend zu, ist sie doch der Teil, der per se den Fortbestand des Forums garantiert. In Anbetracht der Tatsache, dass sich die Mitglieder der Jugendforen überwiegend aus Nichtdeutschen zusammensetzen, kommt der Begleitung durch die Foren eine große Rolle zu. Jugendverantwortliche sollen durch Rat und Tat darauf hinweisen, was das Unverwechselbare der rumäniendeutschen Gemeinschaft ausmacht und den Prozess der Annäherung an gemeinsame Werte wie Gemeinschaftssinn, Korrektheit und Gestaltungswillen begleiten. Desgleichen muss dem Umstand Rechnung getragen werden, dass aufgrund der fehlenden Generation der 40- bis 50-Jährigen die Jugendlichen schneller an Aufgaben heran müssen, als es in der Vergangenheit vorgesehen war. Dem vorausschauenden Vorbereiten der geeigneten Kandidaten muss das gesamte Augenmerk gewidmet werden.

3. Optimierung der Willensbildung innerhalb des Forums

Die Forumsmitglieder müssen diejenigen sein, welche die wichtigen Entscheidungen treffen, und nicht nur gutheißen. Dafür müssen von den Leitungsgremien die notwendigen Informationen vollständig vorgelegt werden, und es muss eine Atmosphäre gesichert werden, in welcher offen über gegensätzliche Ideen kontrovers diskutiert werden kann. Eine solche Diskussionskultur muss gezielt gefördert werden. Die Auseinandersetzung mit Themen betreffend die eigene Gemeinschaft trägt zur Identifikation des Einzelnen mit eben dieser Gemeinschaft bei. Konkrete Ansatzpunkte in diese Richtung sind, abgesehen von einer entsprechenden Gestaltung der Vorstandssitzungen und Vertreterversammlungen, die Gründung von themenbezogenen Arbeitsgruppen und Kommissionen sowie die Veranstaltung von Tagungen, Gesprächsrunden und Fortbildungen. Nach dem Vorbild der Schulkommission sollten andere themenbezogene permanente Kommissionen ins Leben gerufen werden.

4. Vitalisierung und Koordinierung des Gemeinschaftslebens

Das hergebrachte Gemeinschaftsleben der deutschen Minderheit ist fast vollständig verschwunden. Der Gebrauch der Muttersprache geht zurück, emotionale Bindekräfte innerhalb der Gemeinschaft und das Zusammengehörigkeitsgefühl (Wir-Gefühl) verlieren zunehmend an Bedeutung. Zur Vitalisierung und Koordinierung des Gemeinschaftslebens bieten sich folgende konkrete Schritte an:

1. Verstärktes Zusammenbringen der Mitglieder zu Veranstaltungen, welche das Gemeinschaftsbewusstsein wecken, das Gemeinschaftsgefühl stärken und gemeinschaftliche Handeln fördern

2. Nutzung der modernen Medien über die traditionellen hinaus

3. Zusammenarbeit der Institutionen und Verantwortlichen innerhalb unserer Gemeinschaft um nicht in Konkurrenz zueinander zu geraten, sondern gemeinsam aufzutreten

4. Sinnvollen Einsatz der vorhandenen Ressourcen für gemeinschaftsfördernde Maßnahmen

 

5. Umgang mit den Organisationen unserer Ausgewanderten

Die Organisationen unserer Ausgewanderten sind seit ihrem Richtungswechsel auf verstärkte Zusammenarbeit mit dem DFDR eingestellt und erkennen, dass sie auf die Rückbindung an die Deutschen in Rumänien auch für ihre eigene Identität angewiesen sind. Sie übernehmen (hauptsächlich, aber nicht nur, als Heimatortsgemeinschaften) vermehrt Verpflichtungen in der „alten Heimat“ und sind zu struktureller Investivhilfe bereit. Diese Bereitschaft gilt es anzunehmen und partnerschaftlich auszubauen.

Andererseits hat sich aber auch ein Klima herausgebildet, in dem beide Seiten das Ausgewandertsein als selbstverständlich gelten lassen, so als sei eine Existenz als Siebenbürger Sachse oder Banater Schwabe in Deutschland ebenso authentisch möglich wie in Siebenbürgen oder im Banat, ja, vielleicht sogar noch authentischer (bezeichnend ist der zunehmend zu beobachtende Wechsel in der Redeweise von „alter Heimat“ zu „Herkunftsgebiet“). Diese Fehleinschätzung von Heimatverbundenheit gilt es, freundlich aber deutlich zu entmythologisieren. Mit den Organsiationen der Ausgewanderten sollten wir Deutsche in Rumänien uns über die unterschiedliche Wertigkeit siebenbürgisch-sächsischer bzw. schwäbischer Existenz hier bzw. dort verständigen und im Dialog eigenständige Wertkategorien artikulieren.

Auf jeden Fall sollte aber der partnerschaftliche Dialog und Informationsfluss weiter intensiviert werden.

6. Programm für Neu- und Rücksiedlung

Ein wesentlicher Impuls für die Vitalisierung der deutschen Gemeinschaft könnte eine verstärkte Neu- bzw. Rücksiedlung jüngerer Leistungsträger sein, seien es Ausgewanderte, seien es andere Personengruppen aus dem deutschsprachigen Raum, die im Rumänien von heute die Chance eines Neuanfangs sehen. Einige, jedoch zu wenige, sind diesen Weg schon gegangen. Hier gilt es, unse-rerseits initiativ zu werden und für eine solche Rück- bzw. Neusiedlung zu werben.

Wirkungsvoll könnte ein Kontaktbüro sein, das folgende Funktionen erfüllen sollte:

1. fachmännische juristische und organisatorische Beratung Ansiedlungswilliger und Hilfestellung bei anfänglichen Alltagsproblemen

2. Werbeaktionen im deutschsprachigen Raum, insbesondere bei Organisationen und Veranstaltungen ausgewanderter Deutscher aus Rumänien

3. Hilfe bei der Integration in die deutsche Gemeinschaft in Rumänien, Ermunterung zur Teilnahme am deutschen Gemeinschaftsleben und Motivierung zur Übernahme ehrenamtlicher Verantwortung Die Möglichkeit der Mitgliedschaft im Forum sollte für Neu- und Rücksiedler deutscher Sprache aus EU-Ländern als gegeben angesehen werden, sofern sie sich „zur deutschen Minderheit bekennen“.

7. Zusammenarbeit Forum Kirche (speziell Siebenbürgen)

Da sowohl die evangelische Kirche als auch die einzelnen Foren es in ihrer jeweiligen Arbeit im Wesentlichen mit demselben Personenkreis zu tun haben, also sie „im gleichen Weinberg“ arbeiten, bietet sich eine engere Zusammenarbeit geradezu an. Möglichkeiten einer Bündelung der Kräfte bieten folgende Bereiche:

1. engere Zusammenarbeit im Bereich Immobilien: Rückerstattung, Management, Instandsetzungen und Nutzungen

2. Abstimmung der jeweiligen Publikationen

3. bessere Koordinierung und Abstimmung der jeweiligen Veranstaltungen

4. vermehrte Planung gemeinsamer Veranstaltungen (z. B. gemeinsame Sommerfeste und andere Aktivitäten)

5. Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Kirche und Forum auf allen Ebenen durch laufenden Dialog und gegenseitige Präsenz in den Gremiensitzungen

6. kirchliche Unterstützung des Neu- und Rücksiedlerkonzepts

7. Ermunterung zur besseren Vernetzung Forum – Kirche auf allen Ebenen (Engagement und Funktionsübernahme in beiden Bereichen)

8. verstärkte Kooperation in der Jugendarbeit

9. verstärkte gemeinsame Bemühungen zur Festigung und Zukunftssicherung der EAS als Gemeinschaftseinrichtung

Eine enge Zusammenarbeit zwischen der Kirche und den weltlichen Strukturen der Gemeinschaft ermöglicht eine wesentliche Effektivitätssteigerung und entspricht darüber hinaus guter sächsischer Tradition.

Um die deutsche Gemeinschaft in Rumänien zu erhalten, ist ein Bündel von Maßnahmen erforderlich. Jede oben vorgeschlagene Maßnahme für sich reicht nicht aus. Die Summe der Maßnahmen jedoch bietet eine realistische Chance, den Weiterbestand der deutschen Gemeinschaft zu sichern.

Das abgedruckte Thesenpapier wurde von Benjamin Józsa, Dr. Hans Klein, Dr. Paul Philippi, Dr. Karl Scheerer und Winfried Ziegler vorgelegt. Während der Diskussion des Thesenpapiers wurde als wichtig erachtet, das Thema Schule ebenfalls einzubringen sowie die notwendige intensive Zusammenarbeit zwischen dem Forum und den anderen für unsere Minderheit relevanten Vereinen und Institutionen in Rumänien.