Zoll

Seit vielen Jahren leben meine Frau und ich im sagenumwobenen Transsylvanien, meiner Heimat. Hier herrschen besondere Sitten. Die Politiker weisen es weit von sich, es herrsche dort eine grassierende Korruption. Dieses Phänomen erklären sie kurzerhand als eine besondere Kultur, sich für einen erwiesenen Gefallen zu bedanken.

Jetzt sind wir noch nicht einmal zwei Wochen in Transsylvanien und haben so viel erlebt und gewerkelt, wie normalerweise in einem halben Jahr. Man ist versucht, eine Fortsetzungsgeschichte zu schreiben.

Als Beispiel hier die erste Folge:

Am Sonntag abend, als wir in Schäßburg ankamen, gab es in unserer Wohnung nur ein ausziehbares Kanapee, auf dem wir die erste Nacht geschlafen haben. Unsere Möbel mussten noch den Zoll passieren. Am nächsten Morgen bin ich verabredungsgemäß um 9 Uhr zum Zoll gefahren, allerdings mit einem flauen Gefühl im Magen, da mir klar war, dass es zu einem balkanischen Handel kommen wird. Der Lastwagen war natürlich nicht da. Ich rief meinen Freund G., der mir den Lastwagen besorgt hatte, an, und er machte sofort alles rebellisch. Er rief mich zurück und verkündete: Wenn die in 10 Minuten nicht dort sind, schneide ich ihnen die Eier ab. Sie brauchten nur 8 Minuten. Jetzt setzte ein Lehrstück balkanischen Abpressens von Bakschisch ein. Bevor der Lastwagen auftauchte, war ich mit meinem Faktotum, Bondy, zur Frau des Zollchefs gegangen, um die Formalitäten einzuleiten. Dazu musss gesagt werden,dassss der rumänische Zoll, die Abwicklung der Formalitäten an private Kommissionärsfirmen „outgesourced“ hat. Die Inhaberin einer solchen Firma ist die Frau des Zollchefs, die arbeiten also Hand in Hand zusammen. Solche Verquickungen sind hierzulande gang und gäbe. Die Frau Kommissionärin und Ehefrau des Zollchefs, ganz egal, von welcher Seite man das sieht, begrüßte mich überschwänglich, denn sie hat ein Kind auf der Bergschule und hatte meiner Rede anlässlich der Übergabe nach der Renovierung der Bergschule andächtig zugelauscht. Bondy grinste und murmelte: „Wir haben gewonnen“. Die Dame musterte die Papiere und setzte plötzlich eine Bürokratenmiene auf. „Oh, oh, da haben wir Riesenprobleme! Sie müssen nach Klausenburg zur Oberzollbehörde fahren und sich eine Bescheinigung holen. Vor übermorgen können Sie nicht abladen“. Bondy säuselte freundlich mit ihr und stellte meine ungeheure Bedeutsamkeit für die Stadt Schäßburg heraus. „Ach, da fällt mir ein, ich habe ja in Klausenburg bei der Oberzollbehörde eine Freundin. Die faxt mir die Bescheinigung bis um zwei Uhr durch. Wir sind ja nicht so. Wir helfen, wo wir können. Gehen Sie unterdessen zum Herrn Zollchef (sie sagte nicht „meinem Mann“) und reden Sie mit ihm. Also gingen wir zum Zollchef, und Bondy lieferte die erste Probe seines Könnens ab. „Guten Tag, Herr Zollchef. Wie geht es Ihnen? Wie weit sind Sie mit Ihrem Häuschen? Sie wissen ja, ich bin Bauingenieur. Wenn Sie irgendein Problem haben, ich habe immer noch die besten Verbindungen.“ „Gut dass Sie kommen. Sagen Sie, wie bekomme ich die Nässe aus meinem Souterrain heraus. Die Isolierung ist perfekt gemacht, aber die Innenwände triefen vor Nässe. Was kann da los sein?“ „Das kenne ich. Es ist immer dasselbe. Sie haben die Ziegeln bestimmt in Schäßburg gekauft. Die sind nicht richtig gebrannt und sind jetzt durch Putz usw. klitschnass. Oh, je, das hätte ich Ihnen gleich sagen können. Warum haben Sie mich nicht gefragt? Wissen Sie was? Das trifft sich gut. Herr Dr. S. hat zwei Luftentfeuchter aus Deutschland mitgebracht. Die brauchen wir für das Haltrich-Lyzeum. Die lösen die Probleme in nullkommanix.“ Ich dachte, mich trifft der Schlag. Ich wußte nämlich, dass es nur mit großen Schwierigkeiten möglich ist, die Geräte über die Grenze zu bringen, und hatte sie in der Inventarliste unterschlagen. Bondy wußte das, und ich verdächtigte ihn, dass er mit dem Feuer spiele. „Sind die auf der Liste?“ fragte der Zollchef. „Natürlich nicht. Wir wollen das ganze nicht noch verkomplizieren.“ „Na, Gott sei Dank. Aber, aber, welcher Teufel hat Sie denn geritten, dass Sie die Zimmerblumen und die Kochplatte auf die Liste getan haben? Für die Zimmerblumen brauchen Sie eine Bescheinigung von der zuständigen deutschen Agrarbehörde, dass keine Zimmerblumenkrankheit in Ihrer Gegend grassiert. Für die Kochplatte brauchen Sie eine Bescheinigung aus Bukarest vom Handelsministerium. Das kann Tage dauern. Oh, je, oh, je, was sehe ich da? Hundefutter haben Sie auch noch mitgebracht. Das ist ja die Höhe. Da kriegen wir die dicksten Probleme. Na, ja, mal sehen, was ich tun kann. Gehen Sie zurück zur Kommissionärin und erledigen Sie die Papiere. Um drei Uhr kommen Sie noch einmal bei mir vorbei. „Es sieht nicht schlecht aus“, feixte Bondy. Beim nächsten Akt geriet aber selbst er fast aus der Fassung. Die Kommissionärin und Frau des Zollchefs teilte uns freundlich, aber kurz mit, der Vorgang sei einen Stock höher bei der Konkurrenzfirma gelandet, einem Zweigunternehmen unserer Transportfirma. Die Chauffeure wären mit den Originalpapieren gleich dorthin gegangen und dort würde jetzt die Musik spielen. „Und was ist jetzt mit der Bescheinigung aus Klausenburg?“ Ich begann mich jetzt selbst einzuschalten. „Na, die besorge ich Ihnen selbstverständlich. Haben Sie mit dem Zollchef gesprochen? Irgendwie wird alles klappen!“ Das Signal war angekommen. Ich hielt es für angebracht, Annemarie auf dem laufenden zu halten. Die war allein im leeren Haus und wartete ungeduldig auf den Möbelwagen. Sie nahm alles erstaunlich gelassen hin. Ich hetzte in die Stadt, machte ein paar Besorgungen, besichtigte die Baustelle und die Bergschule. Aus allen Winkeln schossen die Leute, Lehrer, Schulangestellte usw. auf mich zu und brabbelten mir die Ohren voll. Ich war wie betäubt. Ich kam noch nicht einmal dazu, mein Büro aufzusuchen und mir einen ersten Überblick über die anfallenden Erledigungen zu machen. Anschließend hetzten Bondy und ich wieder zum Zoll, diesmal zur Konkurrenzfirma. Dort lungerten ein paar junge Leute herum und wendeten ein Papier nach dem anderen herum. Es waren unsere Zollpapiere. Es wurde sofort klar, dass die keine Ahnung hatten. Sie behaupteten aber felsenfest, sie hätten alles im Griff und sie warteten nur auf die Bescheinigung aus Klausenburg. Dann hinge alles nur noch vom Zollchef ab. Also gingen wir wieder zum Zollchef. Der hatte mittlerweile ganz glänzende Augen und roch nach Schnaps. „Die Blumen, die Blumen! Ist aber auch zu dumm. Und die Kochplatte! Ich verstehe Sie ja. Aber Sie müssen mich auch verstehen. Ich riskiere Kopf und Kragen. Wissen Sie was? Laden Sie schon mal ab! Ich nehme es auf meine Kappe. Erledigen Sie die Papiere und alles andere morgen!“ „Wieviel wollen Sie ausgeben?“, fragte Bondy beim Hinausgehen. Mir wurde blitzartig klar, was „alles andere“ hieß. Der Lkw-Fahrer grinste, zerschlug routiniert die Plombe und startete. Ich alarmierte ein paar Helfer, und los ging’s. Annemarie dirigierte das Abladen wie ein Feldmarschall und eineinhalb Stunden später saßen wir da inmitten unseres Durcheinanders. Am nächsten Morgen kaufte ich zwei Flaschen Cognac und zwei Päckchen Tschibokaffe, die eine Hälfte für die Frau des Zollchefs, die andere für die Nasenbohrer im ersten Stock. Dort wurde uns eröffnet, wir müssten beide Ladelisten (ich hatte ja auch eine Hilfssendung für das Haltrich-Lyzeum mitgenommen) Posten für Posten mit dem jeweiligen Gewicht und Preis versehen werden, eine Heidenarbeit. Bondy, der auf geheimnisvolle Weise meine Einkäufe losgeworden war, und Radu, der Administrator der Schule, machten sich an die Arbeit. Ich konnte endlich ein paar Dinge erledigen (Kontoeröffnung, Büroarbeiten u.a.). In der Zwischenzeit bekam ich einen Anruf von der Frau Zollchefin, sie würde jetzt doch alles für uns erledigen, denn der Bruder des Inhabers der Konkurrenzfirma sei besoffen in die Kokel gefahren und alle Angestellten müssten zur Beerdigung. Als wir die Listen wieder zurückbrachten, hieß es plötzlich, die Preise seien nicht in Lei, sondern in EURO anzugeben. Also musste alles noch einmal geschrieben werden. Mittlerweile hatte sich auch der Schuldirektor dazugesellt und drückte die geschätzten Preise auf ein Minimum. Die Listen, die in der Eile handschriftlich erstellt worden waren, wurden wieder zurückgewiesen. Sie müssten auf Schreibmaschine oder Computer geschrieben werden und wir sollten morgen um 8 Uhr noch einmal kommen. Und das mit den Blumen und der Kochplatte sei aber immer noch ein Riesenproblem, und erst das Hundefutter! Bondy raunte mir zu: „Ich halte 50 EURO für angemessen. Der Kaffe und der Cognac für die Trottel da oben waren leider eine totale Fehlinvestition“. Radu versicherte, er würde um Punkt 8 Uhr die Listen sauber getippt zum Zoll bringen. Am nächsten morgen um 9 Uhr rief mich die Zollchefin an, wo denn die Listen blieben. Ohne die Listen könnte sie die Bescheinigung aus Klausenburg nicht beschaffen und dann hätten wir ein dickes Problem. Dass die Listen nach Klausenburg gefaxt werden sollten, war eine völlig neue Variante. Vorher hieß es immer, sie seien für die Akten im Hinblick auf eine eventuelle spätere Kontrolle vonnöten. Ich hetzte zu Radu, der im Zweifingersystem an seinem Computer herumhackte und sich alle 20 Sekunden den Schweiß von der Stirn wischte. Ob er denn das nicht die Sekretärin schreiben lassen könne? Es sei schließlich halb zehn. Das könne die nicht, das seien wichtige Papiere und die müsse er schon selber schreiben. In zehn Minuten sei er fertig. Sein Drucker sei zwar kaputt, aber irgendwie würde er es schon schaffen. Ich flitzte hin und her. Bondy hatte auch zu tun. Nach einer Stunde wieder ein Anruf, wo die Listen blieben. Ich zu Radu. Er sei gleich fertig, nur noch zwei Stunden. „Sind Sie wahnsinnig?“ Ich war am verzweifeln. Anruf, wo die Listen blieben. Außerdem sollten wir sofort eine Kopie meines Reisepasses durchfaxen. Das sei bisher vergessen worden, und ohne diese Kopie sei alles für die Katz. Natürlich war der Kopierer im Sekretariat kaputt. Radu wischte sich den Schweiß von der Stirn, versetzte dem Kopierer einen Fausthieb und oh Wunder, er funktionierte wieder. Ich wischte mir auch den Schweiß von der Stirn. Bondy und ich fuhren zum Zoll. Attila, der Mitarbeiter der Chefin schrieb an seinem Computer. Die Chefin war abwesend. Er schien uns erwartet zu haben. Bondy palaverte mit ihm auf ungarisch und beide fingen an zu lachen. Wie durch einen Zaubertrick hatte der Umschlag mit den 50 EURO die Taschen gewechselt. Ich hatte nichts bemerkt und mir wurde klar was für ein Stümper ich bin. „Kommen Sie! Wir gehen einen Kaffe trinken.“ Bondy war bestens gelaunt. Im Café wurde ich aufgeklärt. Die Liste sei zwar unbedingt nötig, aber man bräuchte sie eigentlich gar nicht, alles Ermessensfrage, und jetzt sei ja sowieso alles geregelt. Und was sei nun mit den Blumen und der Kochplatte? Davon sei überhaupt keine Rede mehr. Und überhaupt! Es sei doch eigentlich alles prima gelaufen. Als wir wieder zum Zoll schlenderten kam Radu angehetzt und hatte ein paar verschmierte Zettel in der Hand und fluchte über seinen Drucker. Als ich sie kritisch betrachtete, grinste er und meinte, es sei ja alles nicht so wichtig. Ich war anscheinend der einzige der das ganze Spiel nicht durchschaute. Wir gingen zu Attila, tauschten ein paar Höflichkeiten aus und 5 Minuten später war alles erledigt. Als wir das Haus verließen, ging gerade der Zollchef vorbei und nickte mir huldvoll zu.

Nachspiel:

„Guten Tag Herr Doktor, wie geht es Ihnen? Haben Sie sich schon eingerichtet?“ „Danke der Nachfrage. Wir sind fast fertig. Ohne Ihre freundliche Hilfe und die Großzügigkeit Ihres Mannes wäre es sicher nicht so reibungslos gegangen. Wir sind Ihnen sehr dankbar.“ „Oh, nicht doch! Das war doch eine Selbstverständlichkeit. Man hilft sich doch gegenseitig, nicht wahr? Wenn Sie wieder irgendein Problem haben, wenden Sie sich ruhig an uns. Wir tun dann, was wir können. Übrigens, mein Mann ruft Sie die nächsten Tage an. Auf Wiedersehen und alles Gute!“ „Auf Wiedersehen!“…….Ich habe dazugelernt. Findet Ihr nicht auch?